Täuscht der Eindruck, oder verstehen es rechte Populisten besonders gut, Verschwörungstheorien als Waffe einzusetzen?
Der Eindruck täuscht. Das liegt daran, dass uns als zumeist liberale Beobachter rechte Verschwörungstheorien mit ihren rassistischen und antisemitischen Elementen stärker stören. Solche Elemente finden sich auch in eher linksgerichteten Verschwörungstheorien, doch da entsteht schnell der Eindruck, es gehe um eine Eliten- oder Kapitalismuskritik, mit der sich Liberale eher anfreunden können, auch wenn ihnen die Kritik etwas überspitzt erscheint. Bernie Sanders agierte im Vorwahlkampf genauso populistisch wie Donald Trump. In Venezuela haben Chavez oder Maduro systematisch Verschwörungstheorien verbreitet. Genauso die Peron-Regierung in Argentinien. Und die würden wir allesamt als Linkspopulisten bezeichnen.
Die Wissenschaftler Yochai Benkler, Robert Fari und Hal Roberts haben im vergangenen Jahr das Buch „Network Propaganda“ veröffentlicht. Darin kommen sie zu dem Ergebnis, amerikanische Medien ließen sich nicht mehr in linke und rechte Medien teilen, sondern es gäbe einen Unterschied zwischen rechten Medien und dem Rest des Mediensystems. Während sich der Rest weitgehend an journalistische Standards halte, verbreiteten Medien wie Breitbart oder Infowars haltlose Geschichten, die wiederum von Fox News aufgegriffen werden. Teilen Sie diese Eindrücke?
Breitbart und Fox News bedienen sich Verschwörungstheorien jedenfalls in einem größeren Maße als es die New York Times oder CNN tun. Aber letztlich ist das nicht so eindeutig zu sagen. Die Obsession, mit der liberale Medien etwa über die Russlandaffäre berichten, die Vermutungen, dass Trump eine Marionette Putins sei, die Schlüsse, die daraus gezogen werden, dass Trumps Übersetzerin sich nicht zu den Gesprächen zwischen Trump und Putin äußern darf – dieses arge Misstrauen der eher linken Medien scheint mir sehr nah an einer Verschwörungstheorie.
Der niederländische Politikwissenschaftler Cas Mudde warnte bereits 2004 vor einem populistischen Zeitgeist in westeuropäischen Demokratien. Sind wir in Deutschland nun so weit wie in den USA?
Die Situation in den USA, aber auch in Ungarn oder Österreich ist deutlich schlimmer als in Deutschland. Jedoch sehen wir auch hier, wie Verschwörungstheorien die Politik beeinflussen. An der Basis der AfD ist zum Beispiel die Theorie vom „Großen Umtausch“ sehr verbreitet...
...laut der Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“ erleben wir keine Migration, sondern einen staatlich organisierten Bevölkerungsaustausch.
So etwas spiegelt sich deswegen in deren Grundsatzprogramm wider. Die führenden AfD-Politiker zieren sich noch, das explizit zu formulieren, weil solche Theorien in Deutschland nach wie vor stigmatisiert sind. Aber letztlich ist die Position der AfD in der Flüchtlingsfrage angestachelt und beeinflusst von verschwörungstheoretischem Gedankengut. Mit der CSU haben wir eine Regierungspartei, die sehr viel von der AfD übernimmt und die Debatte um Geflüchtete extrem nach rechts gerückt hat.
Wie schätzen Sie den Einfluss ein, den Verschwörungstheorien auf die Politik hierzulande haben?
Es ist immer noch verpönt, an Verschwörungstheorien zu glauben, deswegen sprechen wir ja auch darüber. Der Begriff problematisiert dieses Thema nach wie vor. Durch das Erstarken populistischer Bewegungen und das Internet sind Verschwörungstheorien wieder viel sichtbarer, als das noch vor 20 oder 30 Jahren der Fall war. Wir können aber zeigen – und das ist eine beruhigende Nachricht: Vor 200 Jahren prägten Verschwörungstheorien die Lebenswelt der Menschen deutlich stärker als heute.