Vetternwirtschaft auf Griechisch Vom Model zur Ministerin – von Tsipras' Gnaden

Turbulenzen an den Börsen, Krise in der EU wegen des Flüchtlingszuzugs, und in Griechenland blühen Patronage wie Korruption. Damit wollte Premier Tsipras aufräumen – eigentlich: Doch er besetzt Ämter mit Günstlingen.

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Tourismusministerin Elena Koundoura (Mitte, hier mit den Ministern Maria Kollia Tsaroucha und Panagiotis Kouroumplis) machte ihren Bruder Nikos zum politischen Berater. Diese Rolle hatte er früher inne – als seine Schwester noch im Hauptberuf Model war. Quelle: Imago

Athen Alexis Tsipras wollte alles anders machen – besser eben. Als der Links-Premier vor einem Jahr sein Amt antrat, versprach er, die Korruption auszumerzen und die politische Vetternwirtschaft zu beenden. Er werde „den gordischen Knoten zwischen den politischen Parteien und dem Staatsapparat zerschlagen“, versprach Tsipras in seiner Regierungserklärung. Nur die „Fähigsten und Ehrlichsten“ sollten fortan zum Zuge kommen.

Doch inzwischen zeigt sich: Die Wirklichkeit sieht anders aus. Ungeniert besetzt die Regierung Posten in der öffentlichen Verwaltung mit Parteifunktionären. Regierungspolitiker schanzen Familienangehörigen lukrative Beraterposten zu.

Seit ihrem Wahlsieg habe die Regierung fast 1200 gut dotierte Berater eingestellt, vor allem aus den Reihen der Regierungsparteien, kritisiert die oppositionelle Union der Zentristen. Stellenausschreibungen fänden mittlerweile „im engsten Familienkreis“ statt, stellt die Mitte-Links-Partei To Potami sarkastisch fest. Giorgos Koumoutsakos, Sprecher der konservativen Opposition, spricht gar von einer „Invasion“ im Staatsapparat: „Überall Genossen , Verwandte und Freunde der Regierung“. Regierungssprecherin Olga Gerovassili kontert: „Alles Lügen!“

Dabei gab Tsipras selbst gleich nach der Wahl die Marschroute vor – mit der Ernennung seines Vetters Giorgos zum Generalsekretär für internationale Wirtschaftsbeziehungen im Außenministerium. Tsipras‘ Koalitionspartner, die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel), folgten dem Beispiel: Die Tochter der Anel-Sprecherin Marina Chryssoveloni kam als Beraterin im Büro des Anel-Chefs und Verteidigungsministers Panos Kammenos unter. Tourismusministerin Elena Koundoura (Anel) machte ihren Bruder Nikos zum politischen Berater – eine Rolle, die er schon früher ausfüllte, als seine Schwester noch im Hauptberuf Model war.

Nicht immer läuft die Vergabe der Posten so direkt wie im Fall von Koundoura. Damit es nicht so auffällt, platzieren Regierungspolitiker ihre Verwandten häufig in anderen Ministerien oder Behörden. So fanden zwei Neffen von Innenminister Nikos Voutsis Jobs als Büroleiter im Amt des Ministerpräsidenten. Bürochef des Kulturministers Nikos Xydakis wurde Panagiotis Douros – seine Schwester ist Regionalgouverneurin von Attika und eine der führenden Syriza-Politikerinnen. Ihr Lebensgefährte Giannis Benisis wurde zum Chef der staatlichen Wasserwerke berufen.

Erst vergangene Woche erklärte Premier Tsipras bei einem Besuch im Nationalen Zentrum für öffentliche Verwaltung (EKDDA), „Klientelwirtschaft, Patronage und Korruption“ im Staatsapparat müssten beendet werden. Pikantes Detail: Tsipras wurde von der Präsidentin der Behörde empfangen, Iphigenie Kamtsidou. Sie ist die Lebensgefährtin von Justizminister Nikos Paraskevopoulos. Damit nicht genug. Zur gleichen Zeit, als Tsipras an der Seite von Kamtsidou der Vetternwirtschaft den Kampf ansagte, wurde bekannt: Die Gattin seines bereits im Außenministerium untergebrachten Cousins Giorgos bekam eine Stelle im politischen Büro des Verkehrsministers Christos Spirtzis.

In der großen Syriza-Familie sorgt man füreinander. Peti Perka, Gattin des Vize-Verteidigungsministers Dimitris Vitsas, wurde Generalsekretärin im Verkehrsministerium. Eine Nichte der stellvertretenden Erziehungsministerin fand einen Job im Büro des Justizministers, eine weitere Nichte holte sich die Vize-Ministerin ins eigene Büro. Für Aufsehen sorgt jetzt, dass der Bruder des Sekretärs der Syriza-Jugendorganisation, Iason Schina-Papadopoulou, zum Sonderberater im Amt des Ministerpräsidenten berufen wurde. Die Mutter des Syriza-Jugendsekretärs wurde ebenfalls versorgt: Sie arbeitet als Beraterin des Gesundheitsministers. Der Syriza-Funktionär verteidigt sich damit, er sei in einer kommunistischen Familie aufgewachsen und habe schon als Junge gelernt, „immer für die Partei, nur für die Partei“ einzutreten.


„Basis der politischen Kultur Griechenlands“

Auch wenn das Bekenntnis des Syriza-Sekretärs besonders krass erscheint, ist diese Form des Nepotismus für griechische Verhältnisse nicht ungewöhnlich. Seit Jahrzehnten verteilten die beiden großen Parteien, die konservative Nea Dimokratia und die sozialdemokratische Pasok, die das Land abwechselnd regierten, Posten im Staatsapparat an Verwandte, Günstlinge und verdiente Parteifunktionäre. Der Historiker Heinz Richter bezeichnet dieses Klientelsystem als . Der griechische Klientelismus sei „ein die ganze Gesellschaft von oben nach unten durchdringendes System“, so Richter.

Die politische Vetternwirtschaft gilt als eine der Ursachen der Schuldenkrise des Landes. Deshalb war man in Brüssel erfreut, als Tsipras zu Beginn seiner Amtszeit gelobte, mit dieser unheilvollen Tradition brechen zu wollen. Umso irritierter ist man nun in EU-Kreisen. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem mahnte beim jüngsten Treffen der Euro-Finanzminister: „Die Politisierung der öffentlichen Verwaltung und der Banken muss aufhören.“

Dijsselbloem spielte damit auf einen Führungswechsel bei der Piraeus Bank an: Ende vergangener Woche erklärte Anthimos Thomopoulos, der CEO Griechenlands größter Bank, seinen Rücktritt – ohne Angabe von Gründen. Der griechische Bankenrettungsfonds, der an Piraeus mit 26 Prozent beteiligt ist, dementiert Medienberichte, wonach er Thomopoulos zum Rücktritt gedrängt habe. Branchenkenner berichten aber von massivem Druck aus Regierungskreisen auf die Bank, Thomopoulos zu entfernen. Die Affäre wiegt umso schwerer, als sich der größte private Anteilseigner der Bank, der US-Investor Paulson & Co. Inc., schriftlich für einen Verbleib von Thomopoulos ausgesprochen hatte.

Für Alarm in EU-Kreisen sorgt auch, dass die Regierung über 70 Direktoren staatlicher Kliniken zum Rücktritt gedrängt haben soll, um die Führungspositionen mit eigenen Vertrauensleuten zu besetzen. Die Zeitung „Kathimerini“ zitierte am Dienstag einen EU-Beamten mit der Sorge, diese Art von Personalpolitik könne das Anpassungsprogramm, dem Premier Tsipras im vergangenen Sommer zustimmte, aus dem Gleis werfen, das Vertrauen der Anleger untergraben und die Rückkehr Griechenlands an die Finanzmärkte vereiteln.

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