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Viele Konfliktherde Türkei steckt in schmerzhafter Schwächeperiode

Erst schwächte die Aussicht auf einen stärker werdenden Dollar die türkische Wirtschaft und die Lira, jetzt droht der Konflikt in Syrien, dem Land zu schaden. Investoren werden zunehmend nervöser.

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Blick über Istanbul. Quelle: dpa

Bis vor kurzem galt die Türkei als Wirtschaftswachstums-Wunderland. Regelmäßig konnte das Land am Bosporus mit Wachstumsraten jenseits der Acht-Prozent-Marke auf sich aufmerksam machen, noch im Jahr 2010 legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um satte 9,2 Prozent zu. Seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat sich das Pro-Kopf-Einkommen immerhin verdreifacht. Zahlen, von denen viele Volkswirtschaften nur träumen können.

Doch damit dürfte es auch in der Türkei zunächst vorbei sein. Im Gegenteil - aktuell durchleidet die Türkei, ähnlich wie andere Schwellenländer auch, eine schmerzhafte Schwächeperiode. Sind die goldenen Zeiten der hohen Wachstumsraten damit vorbei? Der Blick auf die Zahlen suggeriert das. Denn für dieses Jahr erwarten Volkswirte nur noch ein BIP-Wachstum von 3,55 Prozent. Im nächsten Jahr soll es zwar mit etwas mehr als vier Prozent wieder etwas besser aussehen, für ein Schwellenland wie die Türkei ist das allerdings kein Anlass für Luftsprünge.

Hauptgrund für die aktuellen Sorgenfalten in den Gesichtern der Volkswirte ist die schwache Lira. Ähnlich wie andere Schwellenländer wie Indien oder Brasilien leidet die Türkei darunter, dass die Investoren ihr Geld wieder abziehen. Während der Finanzkrise floss das Kapital in Strömen, da niemand in Euro oder Dollar investieren wollte. Durch die Ankündigung Bernankes, die expansive Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed bald beenden zu wollen, wird der Dollar wieder attraktiver, aus Ländern wie der Türkei fließt das Geld wieder ab. Seit Mai haben Investoren rund 44 Milliarden Dollar aus Aktien- und Anleihefonds mit dem Schwerpunkt Schwellenländer abgezogen, wie Daten von EPFR Global belegen.

Allein im letzten Monat hat die türkische Lira gegenüber dem Euro über sechs Prozent abgewertet. Auch gegenüber dem Dollar hat die Lira deutlich an Wert verloren. In der vergangenen Woche übersprang der Dollar erstmals die kritische Marke von zwei Lira. Vor drei Monaten noch mussten für einen Dollar nur 1,87 Lira bezahlt werden, zu Beginn des Jahres waren es sogar weniger als 1,80 Lira.

Für die Türkei hat die schwache Lira fatale Folgen. Zum einen werden die Importe immer teurer, das Land ist traditionell von Öl- und Gasimporten abhängig. Werden die jetzt immer teurer, drohen Preissteigerungen und damit Inflation. Zwar gehen Ökonomen davon aus, dass durch die erlahmende Wirtschaft auch die Ölimporte sinken werden, das dürfte das Problem etwas ausgleichen. Schwierig dürfte es dennoch werden, vor allem, sobald der Ölpreis steigt. Das indes ist gerade angesichts der Krise im Nahen Osten sehr wahrscheinlich. Zuletzt kostete die US-Sorte WTI Spitze mit 112,24 Dollar je Fass so viel wie zuletzt vor mehr als zwei Jahren, auch europäisches Brent landete auf einem Sechs-Monats-Hoch. Das Problem: Schon ein Anstieg des Ölpreises um zehn Dollar kann in der Türkei zu rund fünf Milliarden zusätzlichem Leistungsbilanzdefizit führen. Schon jetzt haben die steigenden Ölpreise die Türkei rund 300 Millionen Dollar gekostet, wie die Regierung vor einigen Tagen bekannt gab.

Genau das ist allerdings einer der wunden Punkte des Landes. Bisher ließ sich das Defizit durch die Geldzuflüsse aus dem Ausland gut finanzieren. Bleiben die jetzt aus, wird es eng. "Die Investoren werden zunehmend nervös", sagt Gregor Holek. Türkei-Experte von Raiffeisen Capital Management. Sie zögen sich zwar noch nicht zurück, aber die Unsicherheit nehme deutlich zu. "Keiner weiß, wo die Reise am Ende hingeht", sagt Holek. Insbesondere große Fonds seien zur Zeit kaum in der Türkei aktiv, denen sei das zu heiß geworden.

Ein wichtiger Grund dafür sind auch die innenpolitischen Unruhen. Zu präsent sind die Bilder des besetzten Taksim-Platzes, auf dem Bürger gegen die Regierung Erdogans und dessen gewaltlastige Polizeieinsätze. Zwar ist die Lage während der Urlaubszeit wieder ruhiger geworden. „Die sozialen Unruhen scheinen keinen bleibenden Schaden für das Vertrauen der Investoren zu hinterlassen“, schlussfolgert HSBC-Volkswirtin Metiner. Allerdings rechnen Beobachter damit, dass die Proteste in den kommenden Monaten wieder aufkeimen könnten. Dafür sorgt auch die immer größer werdende Unzufriedenheit der Bevölkerung. Spätestens, wenn die Inflation weiter steigt und die Einkommen der Türken auffrisst, dürfte es erneut zu Protesten kommen. Schon jetzt liegt die Preissteigerung mit knapp neun Prozent sehr hoch. Hier droht ein neuer Konfliktherd.

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