




Saigon, das heutige Ho Chi Minh City, muss einmal eine beschauliche Stadt gewesen sein. Neben dem im französischen Kolonial-Stil erbauten Bahnhof steht eine Kathedrale, um die sich kleine Cafés reihen. Davor verkaufen Straßenhändler frisches Obst. Von der kolonialen Gemütlichkeit ist heute nicht mehr viel übrig. Durch die Straßen brausen unzählige Motorräder. Bohrmaschinen rattern an, Bauarbeiter schreien gegen den Lärm an. Nur wenige Gehminuten vom alten Stadtzentrum entfernt steht der Bilexo-Tower am Ufer des Saigon River. Von dort blickt man auf die andere Seite des Flusses auf Brachland, von Kränen, Werbetafeln und Behausungen für Arbeiter eingerahmt. Auf der Halbinsel soll das neue Finanzzentrum von Ho Chi Minh City entstehen.
Im ehemaligen Saigon leben heute über sieben Millionen Menschen. Der Boom der Stadt ist ein Grund, weshalb die 14. asiatisch-pazifische Konferenz der deutschen Wirtschaft Ho-Chi-Minh-City als Austragungsort gewählt hat. Das Treffen von rund 700 Führungskräften der deutschen Wirtschaft und Politik findet alle zwei Jahre in Asien statt. Mit dabei ist auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel.
Doch Kuala Lumpur, Manila oder Singapur wären nicht weniger passend gewesen. Während Europa Krisenstimmung prägt, ist die Business-Community hier bester Laune. Asien boomt - Vietnams Wirtschaft legt im vergangenen Jahr um sechs Prozent zu. In den Nachbarstaaten mit Ausnahme des politisch gelähmten Thailand sieht es nicht anders aus. Die gesamte Region wächst im hohen einstelligen Prozentbereich. Zwar wird in China für die nächsten Jahre ein leichte Abschwächung von aktuell sieben auf sechs oder fünf Prozent erwartet. Vielen kleineren Volkswirtschaften südlich von China aber steht der Boom erst noch bevor.
"Asien wird das neue Wirtschaftszentrum der Welt werden", sagt Hubert Lienhard, Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, und Geschäftsführer des schwäbischen Anlagenbauers Voith. Die einzelnen Staaten unterscheiden sich teils erheblich in ihrer Struktur und in ihren Anforderungen für die deutsche Wirtschaft.
Vietnam
90,4 Millionen Menschen leben im Vietnam – davon sind 88 Prozent jünger als 54. Die Bevölkerung wächst jährlich um ein Prozent.
Das vietnamesische BIP beträgt 156 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Das deutsche BIP betrug 2013 3,51 Billionen US-Dollar. Der Bau und die verarbeitende Industrie tragen rund 40 Prozent zum vietnamesischen BIP bei; für weitere 37 Prozent sind Dienstleistungen verantwortlich. Gut ein Fünftel entsteht durch Land- und Forstwirtschaft sowie durch Fischerei.
Die vietnamesische Wirtschaft wuchs in den vergangenen zehn Jahren (2004 bis 2013) durchschnittlich um 6,4 Prozent. 2004, 2005 und 2007 knackte der Vietnam, eine der letzten kommunistischen Volkswirtschaften dieser Welt, jeweils die Sieben-Prozent-Marke. Selbst die Wirtschaftskrise 2008 konnte das Wachstum nur leicht abschwächen.
Die Staatsverschuldung liegt derzeit bei 48,3 Prozent des BIP.
2013 betrug die Inflation in Vietnam 8,8 Prozent.
Rund 4,5 Prozent der Vietnamesen sind ohne Arbeit.
Die übergeordneten Trends aber sind identisch: Überall in der Region ziehen Leute vom Land in die Städte. Die Urbanisierung ist der große Wachstumstreiber der Region. China mit seinen über 100 Millionenstädten erwartet bis 2030 nochmals den Zuzug von 300 Millionen Bauern. Dieselben Prozesse finden in den südostasiatischen Ländern statt. Wer in der Stadt lebt, ist mobiler, hat mehr Zugang zu Ressourcen, Arbeit und Wissen. Die Produktivität steigt. Das generiert Wachstum und erfordert gleichzeitig Investitionen in die Infrastruktur. Besonders Verkehr ist ein Problem: In Ho-Chi-Minh-City befördern öffentliche Verkehrsmittel nur fünf Prozent der Menschen. Eine U-Bahn ist im Bau, die 2018 in Betrieb genommen werden soll.
Das Lohnniveau ist noch immer niedrig. In Vietnam kostet Arbeit etwas mehr über die Hälfte als in China. Trotzdem ist der neue Wohlstand spürbar: Eine neue Mittelschicht entsteht, die sich ersten kleinen Luxus leisten können. Die UN rechnet 2030 mit drei Milliarden Menschen, die in dieses Cluster fallen. Der Bedarf nach Konsumgütern steigt. Was das bedeuten kann, zeigt China am deutlichsten: Die deutschen Autohersteller vermelden zur Zeit im Monatstakt einen neuen Absatzrekord.