Viktor Janukowitsch Ukrainer wählen das kleinere Übel

Er gilt als rhetorisch unbedarft, farblos, planlos und hölzern, ist vorbestraft und verwechselt zuweilen Fremdwörter. Trotzdem haben die Ukrainer Viktor Janukowitsch zum neuen Präsidenten gewählt. Warum, erklärt unser Osteuropa-Korrespondent Florian Willershausen.

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Viktor Janukowitsch wurde von Quelle: dpa

Die Kameras waren eingestellt, ein Platz zur besten Sendezeit reserviert. Vermutlich stand Kandidatin Julia Timoschenko schon am Schminktisch und richtete sich her für das große Fernsehduell mit Gegner Viktor Janukowitsch. Doch der kniff, sagte kurzfristig ab. Und ließ die Chance ungenutzt, sich mit Argumenten gegen die rhetorisch versierte Frontfrau der „orangenen Revolution“ vor fünf Jahren in Szene zu setzen.

Sei’s drum. Viktor Janukowitsch hat am Sonntag die Stichwahl für sich entschieden und zieht mit einem knappen zweiprozentigen Vorsprung auf Timoschenko ins Präsidentenamt der Ukraine ein. Die unterlegene Timoschenko wird nicht aufgeben und das Ergebnis vor Gericht anfechten, obwohl Wahlbeobachter nichts am Ablauf der Stichwahl auszusetzen haben. Dennoch bleibt die Frage: Warum wählen die Ukrainer einen Mann wie Janukowitsch ins Amt, obwohl er im Wahlkampf keinen Ausweg aus der schweren Wirtschaftskrise aufzeigen konnte?

Die Fehden Juschtschenkos und Timoschenko lähmten das Land

Janukowitsch ist Gegner der „orangenen Revolution“ – das reicht momentan, um in der Ukraine Wahlen zu gewinnen. Die scheidende Exekutive um Präsident Viktor Juschtschenko und Regierungschefin Timoschenko hat sich als unfähig erwiesen, das Land durch eine schwere Wirtschaftskrise zu steuern. Immer wieder blockierten sich die beiden obersten Angestellten des Landes gegenseitig. Machtbesessen lieferten sich die einstigen Vorkämpfer der Demokratie ihre ins Persönliche driftenden Fehden, die das Land lähmten und die demokratischen Errungenschaften fast in einen Scherbenhaufen verwandelten.

Nutznießer ist Viktor Janukowitsch, der Gegner von damals. Mit russischer Unterstützung gewann er im Dezember 2004 schon einmal die Präsidentschaftswahlen, doch das „orangene Tandem“ Timoschenko und Juschtschenko organisierte tagelange Demonstrationen und schaffte es, die Wahl wegen offenkundiger Manipulationen annullieren zu lassen.

In gestandenen Demokratien mit funktionierendem politischen Wettbewerb würde ein Politiker wie Janukowitsch auch heute keine Wahlen gewinnen. Dem Zwei-Meter-Mann fehlt ein politisches Programm, er gilt als rhetorisch unbedarft und verwechselt zuweilen Fremdwörter. Zu Sowjetzeiten saß er mehrere Monate wegen Körperverletzung und Totschlags hinter Gittern – Vorstrafen, die auf wundersame Weise aus den Akten verschwanden.

"Orangene Revolution" hat bei Janukowitsch Spuren hinterlassen

Doch Janukowitsch ist das kleine Übel für die ukrainische Bevölkerung. Seine Gegnerin Timoschenko hat sich durch ihre ständigen politischen Scharmützel, bloßen Populismus und ihr aggressives Auftreten selbst diskreditiert. Selbst westliche Investoren erwarten sich von Janukowitschs Präsidentschaft mehr Stabilität und ernsthafte Reformen. Er muss die Staatsverschuldung zurückfahren, Staatsunternehmen privatisieren, das Land für Investoren öffnen und den Gasstreit mit Russland ein für allemal beilegen. Dann könnte die Ukraine mit ihren 46 Millionen Einwohnern wieder ein attraktiver Markt werden – aus deutscher Sicht ein Eldorado für Einzelhändler, ein Outsourcing-Standort und Logistikdrehkreuz vor den Toren Europas.

Trotz aller Enttäuschung hat die „orangene Revolution“ Spuren hinterlassen – in der Bevölkerung und bei Janukowitsch selbst. Letzterer hat sich aus den Fängen des Kremls gelöst, verspricht eine neutrale Außenpolitik und will die EU-Annäherung weiter verfolgen. Vor allem aber hat er Wahlen erstmals auf demokratische Weise gewonnen: frei und fair.

Die für postsowjetische Verhältnisse stark politisierte Öffentlichkeit erwartet, dass er den Weg zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft weiter verfolgt. Wenn er diese Chance nicht ergreift und das Land gründlich reformiert, werden ihn die Ukrainer eines Tages aus dem Amt jagen. Die Ukrainer mögen enttäuscht sein von den Protagonisten der „orangenen Revolution“, doch die Prinzipien der Demokratie haben sie begriffen.

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