Die Türkei wiederum hält seit Monaten den protestantischen Pastor Andrew Brunson in Haft, dessen Freilassung Washington fordert. Auch ihm wird - ähnlich wie den deutschen Journalisten Denis Yücel und Mesale Tolu und dem Menschenrechtler Peter Steudtner - Verbindungen zur Terrororganisationen vorgeworfen. Erdogan würde den Pastor gern gegen Fetullah Gülen eintauschen.
Und schließlich steckt hinter der jüngsten Eskalation eine geopolitischen Entfremdung, die noch sehr gefährlich werden könnte.
Seit Monaten spitzen sich die Spannungen zwischen den beiden Nato-Partnern zu, was die türkischen Nachbarländer Irak und Syrien betrifft. Waren die beide Länder noch vor zwei Jahren vereint im Kampf gegen den syrischen Machthaber Assad und den IS, stehen sich ihre Interessen heute gegenüber. Im Juli gab Präsident Trump bekannt, seine Unterstützung der syrischen Rebellen einzustellen. Unterdessen will Erdogan zusammen mit Russland und dem Iran eine Sicherheitszone in der Provinz Idlib an der türkischen Grenze schaffen.
Noch wichtiger ist das Unabhängigkeitsreferendum der irakischen Kurden. Da sowohl Teheran als auch Ankara keinen unabhängigen Kurdenstaat tolerieren wollen, bringt sie das in gemeinsame Gegnerschaft zu den USA, die nach wie vor die Kurden im Nordirak mit Waffen beliefern.
Schlüsselstaat Türkei
Die Republik Türkei ist laut der Verfassung von 1982 ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Regiert wird das Land von Ministerpräsident Binali Yildirim und dem Kabinett. Staatsoberhaupt ist Recep Tayyip Erdogan, als erster Präsident wurde er 2014 direkt vom Volk gewählt. Im türkischen Parlament sind vier Parteien vertreten, darunter - mit absoluter Mehrheit - die islamisch-konservative AKP von Erdogan. Parteien müssen bei Wahlen mindestens 10 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, um ins Parlament einziehen zu können. Die Türkei ist zentralistisch organisiert, der Regierungssitz ist Ankara. (dpa)
Die Türkei ist seit 1999 Kandidat für einen EU-Beitritt, seit 2005 wird darüber konkret verhandelt. Würde die Türkei beitreten, wäre sie zwar der ärmste, aber nach Einwohnern der zweitgrößte Mitgliedstaat, bei derzeitigem Wachstum in einigen Jahren wohl der größte.
Als Nachbarstaat von Griechenland und Bulgarien auf der einen Seite und Syrien sowie dem Irak auf der anderen Seite bildet die Türkei eine Brücke zwischen der EU-Außengrenze und den Konfliktgebieten des Nahen und Mittleren Ostens.
Seit Beginn des Syrien-Konflikts ist die Türkei als Nachbarstaat direkt involviert. Rund 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge nahm das Land nach eigenen Angaben auf. Die türkische Luftwaffe bombardiert allerdings auch kurdische Stellungen in Syrien und heizt so den Kurdenkonflikt weiter an.
1952 trat die Türkei der Nato bei. Das türkische Militär - mit etwa 640 000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern ohnehin eines der größten der Welt - wird bis heute durch Truppen weiterer Nato-Partner im Land verstärkt. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe sollen auch Atombomben auf dem Militärstützpunkt Incirlik stationiert sein.
Die USA brüskierte Erdogan jüngst, als er bekannt gab, ein Raketenabwehrsystem von Russland zu kaufen.
Die Konsequenzen der schleichenden Entfremdung der Türkei von der EU und Nato ignoriert die Regierung in Ankara bisher. In wirtschaftlicher Hinsicht fühlt sich Präsident Erdogan von den letzten Quartalszahlen bestätigt. Die türkische Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal dieses Jahres 2017 um fünf Prozent. Ob die Zahlen nun verfälscht sind, wie manche Kritiker vermuten, oder nicht - mit Sicherheit lässt sich sagen: Wirtschaftlich entwickelt sich die Türkei weit unter ihrem Potenzial, und das nun schon seit bald zwei Jahren.