Volkskongress „Der Wettbewerb mit China tut dem Westen gut“

Der Volkskongress in der Großen Halle des Volkes hat begonnen. Doch auch wenn es auf diesem Bild anders scheint, sind die Ausblicke auf die Zukunft trüber als in den Jahren zuvor. Steckt China in einer Krise? Quelle: REUTERS

Beim Volkskongress wird deutlich: Chinas Wirtschaft boomt nicht mehr. Der Asien-Chefvolkswirt der HSBC-Bank, Frederic Neumann, erwartet sinkende Wachstumsraten in China. Dennoch sieht er Chancen für das Land, zum globalen Innovationsführer zu werden.

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Herr Neumann, die Weltwirtschaft schwächelt. Welche Rolle spielt China dabei? Gerade erst hat das Land sein Ziel für das Wirtschaftswachstum gesenkt.
China war in den vergangenen Jahren der wichtigste Motor für die Weltwirtschaft. Im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre ging ein Drittel des globalen Wachstums auf das Konto von China. Zudem hängen viele asiatische Länder von China ab. Seit etwa einem halben Jahr hat sich das Wachstum in China abgekühlt, zuletzt legte das Bruttoinlandsprodukt nur mit Raten von etwa 6,5 Prozent zu. Schon kleinere Wachstumseinbußen hinter dem Komma haben wegen des hohen Gewichts Chinas für die Weltwirtschaft erhebliche Folgen.

Inwieweit kann man den offiziellen Wachstumszahlen Chinas überhaupt trauen?
Es gibt Daten, die darauf hindeuten, dass der Abschwung stärker ist als es die Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt nahelegen. Allerdings sollte man alternativen Indikatoren mit Vorsicht begegnen. Die Wirtschaftsstruktur Chinas ändert sich rasch. Vor zehn Jahren konnte man beispielsweise den Verlauf der Konjunktur anhand des Energieverbrauchs und der Gütertransporte gut nachzeichnen. Damals war China eine industriegetriebene Wirtschaft. In den vergangenen Jahren hat der Dienstleistungssektor jedoch an Bedeutung gewonnen. Das schränkt die Güte der industriebasierten Konjunkturindikatoren ein.

Manche Experten vermuten, der Staat manipuliert die Wachstumszahlen.
Wäre es so, fiele die BIP-Entwicklung systematisch besser aus als es alternative Indikatoren anzeigen. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr spricht einiges dafür, dass die BIP-Zahlen das tatsächliche Wachstum im Aufschwung unterzeichnen und im Abschwung überzeichnen.

Frederic Neumann, PhD, ist Geschäftsführer und Co-Leiter von Asian Economics Research in Hong Kong. Bevor er 2006 zur HSBC kam, war Neumann Außerordentlicher Professor an mehreren US-Universitäten, darunter auch an der Johns Hopkins University, und lehrte Risikoanalyse asiatischer Staaten, Finanzmärkte, Geldpolitik und die politische Kultur Südostasiens. Quelle: PR

Was sind die Gründe für die aktuelle Schwäche der chinesischen Konjunktur?
Die Infrastrukturinvestitionen haben sich in den vergangenen Jahren verlangsamt. Peking hat die Ausgabe von Anleihen durch die Provinzregierungen zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen beschränkt. Das soll verhindern, dass die Überkapazitäten weiter zunehmen. Außerdem hat sich die Expansionsdynamik des privaten Konsums abgeschwächt. Das zeigt sich vor allem bei den Autokäufen, für die die Regierung die Subventionen zurückgefahren hat. Dazu kommt, dass Peking schärfer gegen die Vergabe von Privatkrediten im Internet vorgeht, mit denen die Menschen vor allem in kleineren Städten ihren Konsum finanzieren.  

Aus Angst vor einem Einbruch der Konjunktur hat die Regierung den Hebel jetzt wieder umgelegt…  
…was sich in den Provinzen bereits bemerkbar macht. Seit die Regierung den Kommunen wieder erlaubt, mehr Anleihen auszugeben, ziehen die Infrastrukturinvestitionen an. Vor allem im Bereich des Nahverkehrs gibt es viele neue Projekte.

China wird die Weltwirtschaft also bald wieder ankurbeln?
Ich rechne eher mit einer Stabilisierung der chinesischen Wachstumsraten als mit einer Beschleunigung auf die Werte der vergangenen Jahre. Die chinesische Regierung denkt längerfristig, vermutlich langfristiger als die Politiker im Westen. Und sie verfügt über die Hebel, die Wirtschaft direkt zu steuern. Peking hat erkannt, dass die Schulden in einigen Sektoren zu stark gestiegen sind. Daher liegt der Fokus der Politik auf dem Schuldenabbau. Dass die Konjunktur dadurch einen Gang zurückschaltet, nimmt die Regierung in Kauf. Sie wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Schuldenabbau und Konjunkturstabilisierung.   

Und wenn sie dabei abstürzt?
Ich rechne damit, dass der Regierung die sanfte Entschleunigung der Konjunktur sowie der Schuldenabbau gelingen. Außerdem ist es kein Weltuntergang, wenn China mit Raten unter sechs Prozent wächst. Weil das Niveau des Bruttoinlandsprodukts weiter steigt, gehen selbst von geringeren Wachstumsraten spürbare Impulse auf die Weltwirtschaft aus. Chinas Wachstumsraten können um 0,2 Prozentpunkte pro Jahr sinken, dennoch wird das Land dann immer noch ein Drittel zum globalen Wachstum beitragen.

„In China sind ebenso wie in allen anderen Ländern die Ressourcen knapp“

Die Regierung in Peking hält viele Unternehmen künstlich am Leben. Wird China zu einer Zombie-Wirtschaft?
Die Gefahr der Zombifizierung der Wirtschaft besteht nicht und betrifft wenn nur einige Staatsunternehmen. Aber weil der Staat diese Firmen kontrolliert, hat er auch die Mittel in der Hand, das Problem zu lösen, etwa indem er die Staatsunternehmen schließt. Genau das ist in den vergangenen Jahren passiert. Allerdings geht die Regierung dabei graduell vor, sie will keine Schocktherapie.   

Was passiert, wenn man zu lange mit der Bereinigung wartet, zeigt Japan. Die Regierung dort hat in den Neunzigerjahren marode Banken und Unternehmen ebenfalls künstlich am Leben gehalten. Die Folge war ein Jahrzehnt der Stagnation.
Die chinesische Regierung ist sich der Problematik Japans bewusst. Sie hat das japanische Modell genau studiert und versucht, die Fehler Japans zu vermeiden. Japan hatte zu dem Zeitpunkt, als die Zombifizierung seiner Wirtschaft einsetzte, bereits ein sehr hohes Pro-Kopf-Einkommen. China dagegen ist ein Land, das sich noch im Aufholprozess befindet. Daher ist das Potenzial für Produktivitätszuwächse größer als damals in Japan. Zumal in den nächsten Jahren viele gut ausgebildete junge Menschen auf den chinesischen Arbeitsmarkt drängen werden.

China will vom Billigproduzenten zum innovationsgetriebenen Hersteller höherwertiger Güter werden. Zugleich verschärft die Regierung ihre Kontrolle über Wirtschaft und Gesellschaft. Kann eine staatlich gelenkte Wirtschaft zum globalen Innovationsführer werden?
Ich bin mir nicht sicher, ob nur der freie Markt Innovationen erzeugen kann. Es gibt Hinweise, dass auch der Staat Innovationspotentiale vorantreiben kann. Entscheidend ist letztlich die Frage, ob man Innovationen in marktfähige Produkte und Produktionsprozesse übersetzen kann. Der Wettbewerb fördert dies. Der chinesische Staat mag mächtig sein, trotzdem ist der Wettbewerb zwischen den Unternehmen in China knallhart. Deshalb sehe ich durchaus das Potenzial, dass China zum Innovationsführer in einigen Sektoren wird. Schauen Sie sich den Fintech-Bereich an, da ist China schon jetzt weltweit Spitze.

Und was passiert mit der Billigproduktion?
Die ist zum großen Teil schon in andere asiatische Länder abgewandert, nach Vietnam, Thailand und Malaysia. Dagegen sehen sich die stärker industrialisierten Länder Asiens wie Südkorea und Taiwan einem verstärkten Wettbewerbsdruck durch chinesische Konkurrenten ausgesetzt, weil diese auf der Wertschöpfungsleiter zu ihnen aufschließen.

Müssen auch die Europäer und die US-Amerikaner Angst haben, dass sie von den Chinesen eingeholt oder gar überholt werden?
In China sind ebenso wie in allen anderen Ländern die Ressourcen knapp. China muss sich daher auf die Branchen fokussieren, in denen es die größten komparativen Vorteile hat. Es wird daher nicht in allen Branchen zum Westen aufschließen. Grundsätzlich gilt: Mehr Wettbewerb tut auch den Industrieländern gut. Er zwingt sie, an ihrer eigenen Innovationsfähigkeit zu arbeiten und sich nach vorn zu bewegen. Die Industrieländer haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auf ihren Lorbeeren ausgeruht. Jetzt müssen sie zum Sprung nach vorn ansetzen. China zwingt sie dazu.  

Der Sprung nach vorn könnte darin bestehen, dass die Industrieländer einen Teil der Produktion wieder nach Hause holen. Neuere Techniken wie der 3-D-Drucker erleichtern dies. Besteht da nicht die Gefahr, dass den Schwellenländern die Entwicklungschancen genommen werden?
Die Robotisierung in den Industrieländern ist noch nicht so weit fortgeschritten, dass man die Produktion in großem Stil zurückverlagern könnte. Bei kleinen Losgrößen mag das gelingen. Aber wenn es um die Produktion von Massenwaren geht, sprechen die Kostenvorteile nach wie vor für eine Produktion in den Schwellenländern. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass eine gewisse Rückverlagerung der Produktion in die Industrieländer den Schwellenländern hilft. Denn sie verringert den politischen Druck in den Industrieländern, mit protektionistischen Maßnahmen gegen die Produkte aus den Schwellenländern vorzugehen. Diese können dann weiter vom Freihandel profitieren.

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