Herr Neumann, die Weltwirtschaft schwächelt. Welche Rolle spielt China dabei? Gerade erst hat das Land sein Ziel für das Wirtschaftswachstum gesenkt.
China war in den vergangenen Jahren der wichtigste Motor für die Weltwirtschaft. Im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre ging ein Drittel des globalen Wachstums auf das Konto von China. Zudem hängen viele asiatische Länder von China ab. Seit etwa einem halben Jahr hat sich das Wachstum in China abgekühlt, zuletzt legte das Bruttoinlandsprodukt nur mit Raten von etwa 6,5 Prozent zu. Schon kleinere Wachstumseinbußen hinter dem Komma haben wegen des hohen Gewichts Chinas für die Weltwirtschaft erhebliche Folgen.
Inwieweit kann man den offiziellen Wachstumszahlen Chinas überhaupt trauen?
Es gibt Daten, die darauf hindeuten, dass der Abschwung stärker ist als es die Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt nahelegen. Allerdings sollte man alternativen Indikatoren mit Vorsicht begegnen. Die Wirtschaftsstruktur Chinas ändert sich rasch. Vor zehn Jahren konnte man beispielsweise den Verlauf der Konjunktur anhand des Energieverbrauchs und der Gütertransporte gut nachzeichnen. Damals war China eine industriegetriebene Wirtschaft. In den vergangenen Jahren hat der Dienstleistungssektor jedoch an Bedeutung gewonnen. Das schränkt die Güte der industriebasierten Konjunkturindikatoren ein.
Manche Experten vermuten, der Staat manipuliert die Wachstumszahlen.
Wäre es so, fiele die BIP-Entwicklung systematisch besser aus als es alternative Indikatoren anzeigen. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr spricht einiges dafür, dass die BIP-Zahlen das tatsächliche Wachstum im Aufschwung unterzeichnen und im Abschwung überzeichnen.

Was sind die Gründe für die aktuelle Schwäche der chinesischen Konjunktur?
Die Infrastrukturinvestitionen haben sich in den vergangenen Jahren verlangsamt. Peking hat die Ausgabe von Anleihen durch die Provinzregierungen zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen beschränkt. Das soll verhindern, dass die Überkapazitäten weiter zunehmen. Außerdem hat sich die Expansionsdynamik des privaten Konsums abgeschwächt. Das zeigt sich vor allem bei den Autokäufen, für die die Regierung die Subventionen zurückgefahren hat. Dazu kommt, dass Peking schärfer gegen die Vergabe von Privatkrediten im Internet vorgeht, mit denen die Menschen vor allem in kleineren Städten ihren Konsum finanzieren.
Aus Angst vor einem Einbruch der Konjunktur hat die Regierung den Hebel jetzt wieder umgelegt…
…was sich in den Provinzen bereits bemerkbar macht. Seit die Regierung den Kommunen wieder erlaubt, mehr Anleihen auszugeben, ziehen die Infrastrukturinvestitionen an. Vor allem im Bereich des Nahverkehrs gibt es viele neue Projekte.
China wird die Weltwirtschaft also bald wieder ankurbeln?
Ich rechne eher mit einer Stabilisierung der chinesischen Wachstumsraten als mit einer Beschleunigung auf die Werte der vergangenen Jahre. Die chinesische Regierung denkt längerfristig, vermutlich langfristiger als die Politiker im Westen. Und sie verfügt über die Hebel, die Wirtschaft direkt zu steuern. Peking hat erkannt, dass die Schulden in einigen Sektoren zu stark gestiegen sind. Daher liegt der Fokus der Politik auf dem Schuldenabbau. Dass die Konjunktur dadurch einen Gang zurückschaltet, nimmt die Regierung in Kauf. Sie wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Schuldenabbau und Konjunkturstabilisierung.
Und wenn sie dabei abstürzt?
Ich rechne damit, dass der Regierung die sanfte Entschleunigung der Konjunktur sowie der Schuldenabbau gelingen. Außerdem ist es kein Weltuntergang, wenn China mit Raten unter sechs Prozent wächst. Weil das Niveau des Bruttoinlandsprodukts weiter steigt, gehen selbst von geringeren Wachstumsraten spürbare Impulse auf die Weltwirtschaft aus. Chinas Wachstumsraten können um 0,2 Prozentpunkte pro Jahr sinken, dennoch wird das Land dann immer noch ein Drittel zum globalen Wachstum beitragen.