
Vor dem G20-Gipfel mit Kremlchef Wladimir Putin an diesem Wochenende in Australien hat sich der Konflikt in der Ostukraine noch einmal deutlich verschärft. „Der einzige Grund, warum noch kein offener Krieg begonnen hat, ist die Zurückhaltung der Ukraine“, sagte Kiews UN-Botschafter Juri Sergejew bei einer Sondersitzung des Sicherheitsrats in New York.
Er warf Russland vor, mit der Unterstützung der moskautreuen Separatisten eine friedliche Lösung zu torpedieren. Russlands UN-Diplomat Alexander Pankin wies die Vorwürfe am Donnerstag als „propagandistische Fälschung“ zurück.
Die Vereinten Nationen warnten vor einem endgültigen Aus für die Anfang September vereinbarte Waffenruhe. „Wir sind tief besorgt, dass die schweren Kämpfe der Vergangenheit jederzeit wieder ausbrechen könnten. Das wäre eine Katastrophe für die Ukraine“, sagte UN-Vize-Untergeneralsekretär Jens Anders Toyberg-Frandzen. „Jeden Tag sterben Menschen. (...) Die Situation könnte instabiler kaum sein.“
Medwedew fordert Aufhebung der Sanktionen
Die Hoffnungen vieler richten sich nun auf das Treffen der 20 Industrie- und Schwellenländer (G20) in Brisbane. Möglicherweise gelingt es bei Gesprächen mit Putin sowie US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel, einen Ausweg aus der Krise aufzuzeigen.
Der Streit um humanitäre Hilfe
Die Menschen in der umkämpften Ostukraine benötigen dringend Hilfsgüter. Seit Tagen streiten Moskau und Kiew, wie Lastwagenkonvois die Betroffenen erreichen können.
Kremlchef Wladimir Putin kündigt russische Hilfe an. Ein Konvoi soll in Abstimmung mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) organisiert werden.
In Russland werden laut Staatsfernsehen etwa 280 Lastwagen mit rund 2000 Tonnen Nahrungsmitteln, Medikamenten und anderen Gütern beladen. Beim Start ist unklar, ob der Transport mit Kiew abgestimmt ist. Der Vizechef der ukrainischen Präsidialverwaltung, Waleri Tschaly, sagt, man werde keinen rein russischen Konvoi auf ukrainisches Staatsgebiet lassen. Die Regierung in Kiew befürchtet, dass der Kreml unter dem Deckmantel einer Hilfsaktion Waffen für Separatisten einschmuggeln könnte. Moskau weist dies zurück.
In Kiew bekräftigt Ministerpräsident Arseni Jazenjuk, nur unter IKRK-Federführung werde der Konvoi ins Land gelassen. Laut Innenminister Arsen Awakow dürfen die Lastwagen nicht wie zunächst geplant durch das Gebiet Charkow fahren. Erstmals kündigt auch die Regierung in Kiew Unterstützung für die notleidenden Menschen an.
Der russische Konvoi steht vor der Grenze im Gebiet Rostow. Von dort können die Lastwagen direkt in ein von Separatisten kontrolliertes Gebiet einfahren. Die ukrainische Regierung startet Fahrzeuge mit eigenen Hilfsgütern. Insgesamt will Kiew mehr als 70 Lastwagen mit rund 800 Tonnen Hilfsgütern ins Krisengebiet schicken und dort dem Roten Kreuz übergeben. Erste ukrainische Transporter mit Medikamenten und Lebensmitteln erreichen am Abend einen Sammelpunkt nördlich von Lugansk. Ob der russische Konvoi die Grenze passieren darf, ist unklar. Er hängt wegen mangelnder Absprachen zwischen Moskau, Kiew und dem Roten Kreuz fest.
Moskau und Kiew einigen sich. Der russische Konvoi darf über die Grenze, wenn seine Ladung vom Roten Kreuz kontrolliert und formell übernommen wird. Laut Pentagon hat Moskau Washington versichert, der Konvoi sei kein Vorwand für militärisches Eingreifen. Berichte über einen angeblichen russischen Armeekonvoi auf ukrainischem Gebiet sorgen für Aufregung. Der Westen wirft Russland Provokation vor. Moskau weist die Vorwürfe zurück.
Separatistenführer Andrej Sachartschenko spricht von Verstärkung - unter anderem „1200 in Russland ausgebildete Kämpfer“. Der Kreml dementiert aber später erneut jede Unterstützung. Der Hilfskonvoi aus Moskau steht weiter vor der ukrainischen Grenze. Russland fordert für die Verteilung der Güter durch das Rote Kreuz eine Feuerpause. Die Lebensmittel sollen vor allem Lugansk zu Gute kommen - in der Separatistenhochburg leben rund 200 000 Bewohner ohne Versorgung. Eine baldige Waffenruhe ist aber nicht in Sicht.
Im Osten nichts Neues - das Rote Kreuz wartet weiter auf Sicherheitsgarantien, sonst will die Organisation den Konvoi nicht in die Kampfzone führen. Die Separatisten schießen ein Armeeflugzeug ab, während der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin vom Westen Waffenhilfe erbittet. Alle Augen richten sich auf Berlin: Ein Treffen von Klimkin, seinem deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier sowie Sergej Lawrow aus Russland und dem Franzosen Laurent Fabius soll dort am Abend zur Entspannung der Lage beitragen.
Vorerst verlegte Russland in einer neuen Machtdemonstration vier Kriegsschiffe vor die Küste Australiens. „Die Bewegung dieser Schiffe steht völlig im Einklang mit den Vorschriften der internationalen Gesetze, wonach sich Militärschiffe in internationalen Gewässern frei bewegen können“, teilte Australiens Verteidigungsministerium mit.
Kurz vor dem Gipfel drängte Russland den Westen zu einem Ende der Strafmaßnahmen in der Ukrainekrise. Die Sanktionen müssten aufgehoben und die Beziehungen normalisiert werden, sagte Regierungschef Dmitri Medwedew. Die Konfliktparteien sollten zu „produktiven Gesprächen“ zurückkehren. Medwedew sagte, er habe am Rande des Gipfels der südostasiatischen Staaten in Myanmar auch kurz Obama getroffen. Zur Diskussion über die Ukraine habe die Zeit aber nicht gereicht.