Vor Tory-Parteitag in Großbritannien Mrs. Brexit unter Druck

Großbritanniens Premierministerin Theresa May verliert an Glanz. Parallelen mit Gordon Brown, einem ihrer Vorgänger, drängen sich auf. Bei ihrem Auftritt beim Parteitag muss sie in Sachen Brexit mehr liefern als Floskeln.

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Auf dem Parteitag der Tories muss die britische Premierministerin erklären, wie sie den Brexit gestalten will. Quelle: dpa

Ein Lächeln fliegt über ihr Gesicht, manchmal auch nur ein Zucken, sobald der Moderator seine Frage wiederholt und eine klare Antwort verlangt. Doch die bekommt er nicht. Theresa May bleibt vage und nichtssagend. Ob Großbritannien den den Zugang zum Binnenmarkt behalten werde? „Ich will den besten Deal für die Menschen hier im Lande.“ Wenn man sich in einem Jahr zu einem erneuten Interview treffe, werde sie dann die offiziellen Austrittsgespräche mit der EU schon in Gang gesetzt haben? „Wir brauchen eine bestimmte Zeit für die Vorbereitungen, und das ist auch gut für die EU.“

In diesem Stil geht es fast 20 Minuten lang. Es ist Anfang September und May gibt der BBC das erste große Interview seit ihrem Antritt als Großbritanniens Premierministerin. Sie kommt wortreich und freundlich daher, doch die Antworten, auf die Europa und auch die Briten seit dem Brexit-Referendum Ende Juni warten, gibt es nicht. „Sie bleibt geheimnisvoll wie eine Sphinx“, sagen daher die einen. „Sie spielt wie eine Fußballmannschaft, die ein Null-zu-Null-Spiel will und keine Tore macht und auch keine zulässt“, kommentieren andere.

Am Sonntag steht May daher vor der wohl wichtigsten Rede dieses Herbst. Beim Tory-Parteitag in Birmingham muss sie konkreter werden und mehr liefern als die bisher bekannten Floskeln und wohlklingenden Worte. Denn der Unmut über Mays Politikstil wächst innerhalb der Partei, in der Bevölkerung und in der Wirtschaft, die auf klare Signale hofft, was genau ein Brexit bedeutet. Mit Aussagen wie „Brexit heißt Brexit, weil es genau das bedeutet“, die sie seit Monaten wiederholt, will sich keiner mehr abspeisen lassen.

May ist seit zweieinhalb Monaten im Amt. Sie hat das Machtvakuum, das nach dem Rücktritt ihres Vorgängers David Cameron entstand, schneller gefüllt als ursprünglich erwartet. Mit Sätzen wie, sie werde eine Politik für die große Mehrheit machen und nicht für die wenigen Privilegierten, hat sie bei ihrer Antrittsrede hohe Erwartungen geweckt. Geliefert hat sie bisher nichts. Beobachter erwarten, dass sie daher beim Parteitag zumindest bei diesem Thema konkreter wird und mehr Details ihrer bisher nur angedeuteten Pläne, Arbeitnehmern mehr Mitsprache in Konzernen einräumen und exzessive Gehälter zu verhindern, nachlegt.

Ihr Politikstil löst inzwischen einen sehr wenig schmeichelhaften Vergleich aus – mit einem ihrer Vorgänger, dem Labour-Politiker Gordon Brown, der 2007 in 10 Downing Street einzog und 2010 wieder verlassen muss. Brown gilt als gescheiterter Premier, ein äußerst unbeliebter Politiker, der sich im Kleinklein verhedderte und nie eine Wahl gewonnen hat.

„Sie sind beide introvertiert und solche Menschen sind gute Manager eines Bereichs, bei dem man sich auf ein paar wenige Dinge konzentrieren kann“, sagt Tim Bale, Politikprofessor an der Queen Mary Universität in London, „beide haben auch ein sehr großes Bedürfnis, die Dinge selbst zu kontrollieren und sich mit einem kleinen Kreis Vertrauter zu umgeben.“ Bei Brown hat das funktioniert, solange er Finanzminister war, bei May, als sie das Innenministerium verantwortete. Als Premierminister brauche man dagegen andere Eigenschaften, so Bale. Man müsse auch mal schnelle Entscheidungen über eine ganze Flut von Dingen treffen, die man nicht bis ins Letzte überdenken und abwägen könne. Und man müsse delegieren können.

Auch Stewart Wood, einst ein enger Berater von Brown, sieht Parallelen zwischen dem Ex-Premier und May und eine Gefahr, die sich aus den ähnlichen Politikstilen ergibt: Brown habe am Ende nur auf Ereignisse reagieren, aber keine eigene Agenda setzen können, sagte Wood in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Bloomberg.


„Die derzeitige Situation ist frustrierend“

Genau das Risiko entsteht auch aus der Zurückhaltung Mays. Zudem gibt sie dadurch anderen Raum, mit ihren Meinungen vorzupreschen und die Stimmung zu beeinflussen – allen voran den lautstarken Befürwortern in ihrem Kabinett wie Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis. Sie pfeift sie dann zwar zurück, wenn sie konkret werden, gibt aber selbst keine klare Richtung vor. So hat Davis im Parlament klargemacht, dass Großbritannien wohl den Zugang zum Binnenmarkt aufgeben werde, um die Einwanderung zu begrenzen. Das sei nur seine Meinung, nicht mehr und nicht weniger, ließ May daraufhin über ihre Pressesprecherin ausrichten.

Dennoch spekulieren viele Beobachter und auch Teile der Wirtschaft inzwischen, dass May einen radikalen Brexit anstreben wird – einen Austritt aus der Staatengemeinschaft, der die bisherigen Beziehungen ganz massiv ändert und den Zugang zum Binnenmarkt beendet. Ein solcher so genannter „hard Brexit“ sei wahrscheinlicher, weil die Bereitschaft zu Kompromissen etwa bei dem Thema Grenzkontrollen und beim finanziellen Beitrag zum EU-Haushalt wohl nicht vorhanden sei, schreibt Richard Mylles von dem Analysehaus Absolute Strategy Research in einer Studie. Daher werde der Binnenmarktzugang unter die Räder kommen.

Britische Unternehmen und auch internationale Konzerne mit einem wichtigen Standbein auf der Insel versuchen die Regierung noch davon zu überzeugen, den Brexit möglichst so gestalten, dass sich kaum etwas ändert. Vor allem Finanzminister Philip Hammond scheint dabei ihr Verbündeter zu sein. Er gilt zudem als enger Vertrauter von May. „Wir haben aber dennoch nicht das Gefühl, dass sie die vollen Konsequenzen eines hard Brexit erfasst hat“, heißt es aus der Bankenbranche.

Viele in der Wirtschaft sind zudem noch aus einem anderen Grund frustriert: Es gebe nicht einen zentralen Ansprechpartner in der Regierung für die Belange der Unternehmen. Man werde von den verschiedenen Ministerien zu Gesprächen geladen, erkläre seine Sicht und wiederhole sich ständig. „Und hat am Ende noch immer nicht das Gefühl, dass irgendwas von dem, was man sagt, hängen geblieben ist“, sagt ein Manager aus dem Finanzsektor, denn es gebe keine eindeutigen Signale.

Die unabhängige Denkfabrik Institute for Government hat jüngst in einer Studie gewarnt: Funkstille sei keine Strategie. „Die derzeitige Situation, in der wir die persönlichen Träumereien einzelner Minister interpretieren müssen, ist frustrierend“, so Hannah White, eine der Autorinnen, „für all diejenigen, die einen schnellen Austritt wollen, verwirrt all diejenigen, mit denen wir verhandeln müssen, und verunsichert diejenigen, die in Großbritannien Geschäfte machen wollen.“ May müsse dringend für mehr Klarheit sorgen.

Sie selbst verteidigt ihre Art und Weise, Politik zu machen, immer wieder: „Ich entscheide nicht unmittelbar“, sagte sie in einem Interview. „Ich schaue mich die Belege an, hole mir Rat, wäge das ganz genau und und komme dann zu einem Beschluss.“

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