Vorbild-Demenzdorf De Hogeweyk So gut kann Pflege sein – und das ohne Mehrkosten

Deutschland belegt Spitzenplatz bei Renten-Ranking Quelle: Getty Images

Die meisten Menschen sind unglücklich, Angehörige in ein Pflegeheim geben zu müssen. Zu oft sind die Zustände dort katastrophal. Doch es geht auch ganz anders, wie ein Beispiel aus den Niederlanden zeigt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wer durch De Hogeweyk spaziert, fühlt sich gleich in eines dieser kleinen, niederländischen Dörfer versetzt: Backsteinhäuser reihen sich aneinander, es gibt ein Bistro, einen Supermarkt, ein Restaurant, ein Theater. Wenn das Wetter gut ist, versammeln sich die Bewohner auf dem kleinen Marktplatz, um ihre Gesichter in die Sonne zu halten.

Doch es gibt einen Unterschied zu einem normalen niederländischen Dorf: In De Hogeweyk gehen Menschen durch die Gassen, die das Pensionsalter oft lange hinter sich gelassen haben. Und wer den Dorfplatz länger beobachtet, der sieht, dass manche Menschen dort immer wieder vorbeikommen, im Kreis laufen, auf der Suche nach irgendetwas, ihrem Zuhause vielleicht.

De Hogeweyk, so viel sollte inzwischen klar geworden sein, ist kein normales Dorf. Es ist ein Pflegeheim für Demenzkranke, ein Vorzeigeprojekt, dass Delegationen aus der ganzen Welt nach Nordholland zieht. Wer in De Hogeweyk wohnt, der ist nicht einfach ein bisschen vergesslich, er leidet unter Demenz in fortgeschrittenem Stadium. „Unser Ziel ist, Menschen mit schwerer Demenz ein möglichst normales Leben zu bieten“, sagt Eloy Van Hal, der das Vorzeigedorf vor neun Jahren ins Leben rief.

In normalen Heimen sollen diese Menschen das Gelände oft nicht verlassen. Manchmal kommen sie tagelanglang kaum aus ihrem Zimmer heraus. Im Weesper Demenzdorf hingegen dürfen die Bewohner frei herumspazieren, die Türen stehen offen. Nur an der Tür, die das geschützte Dorf vom Rest der Welt trennt, wacht jederzeit ein Pförtner.

Deutschland debattiert über die Grundrente – und die Niederlande setzen weltweit Maßstäbe. Was wir in Sachen Altersvorsorge vom Nachbarn lernen können: Es geht zugleich günstiger und besser.
von Kristina Antonia Schäfer

Es ist schwer zu erheben, ob die Bewohner von De Hogeweyk wirklich glücklicher sind als ihre Leidensgenossen in normalen Pflegeheimen, schließlich können sie solche Fragen nicht mehr beantworten. Nach allen gängigen Standrads darf man aber davon ausgehen. Was das Musterdorf jedoch so richtig bemerkenswert macht, ist etwas anderes, weniger Menschliches: seine Finanzen. Trotz seines aufwändigen Konzepts ist De Hogeweyk nämlich nicht teurer als ein konventionelles Pflegeheim.

Dabei wird den Bewohnern des Demenzdorfes einiges geboten: Sie können nicht nur frei flanieren, sondern im Geschäft einkaufen gehen, sich beim Friseur die Haare richten lassen oder im Café ein Stück Kuchen essen. Jeden Tag steht eine lange Liste an Aktivitäten zur Auswahl, vom Museumsbesuch bis zum Töpferkurs.

Dass das weitaus günstiger ist, als es klingen mag, liegt zum Einen an der Selbstbeteiligung der Bewohner. Einen Kurs pro Monat dürfen die Bewohner umsonst besuchen. Für alle weiteren Aktivitäten muss er – oder eher: seine Angehörigen – jedoch zahlen. Auch Extras wie der Friseur kosten. Weiteres Geld spülen die Besuchergruppen aus der ganzen Welt in die Kassen, die mindestens 900 Euro zahlen müssen, um sich die Vorzüge des Demenzdorfes zeigen zu lassen.

Doch das allein würde De Hogeweyk noch nicht so effizient machen. Der Kern des Modells liegt in seiner radikalen Reduzierung. Die Bewohner können und müssen möglichst stark am normalen Leben teilhaben. Konkret bedeutet das, dass sie zwar in Einzelzimmern wohnen, die aber in kleinen Häusern zu Wohngemeinschaften zusammengeschlossen sind. In der Regel jeweils sieben Bewohner teilen sich ein Wohnzimmer – und eine Betreuerin.

Die übernimmt alle Aufgaben des Hauses: Sie wäscht die Wäsche und kocht das Essen, immer möglichst gemeinsam mit den Bewohnern. Vor dem Einkauf wird gemeinsam eine Liste geschrieben, den sie dann zusammen mit Bewohnern im Dorf-eigenen Supermarkt abarbeitet. Jedes Haus verfügt über ein Monatsbudget, von dem es diese Einkäufe bezahlt – und das nicht überschritten werden darf.

Die Häuser sind dabei in vier unterschiedlichen Stilrichtungen eingerichtet: traditionell niederländischen, kosmopolitisch, urban und gehoben klassisch. Entsprechend unterschieden sich auch das Essen oder sogar die Musikauswahl im CD-Regal. Die Bewohner werden nach ihren vorherigen Lebensumständen einer der Wohnformen zugeteilt. Auch die Aktivitäten unterscheiden sich je nach Typ: Während im eher einfachen, traditionell niederländischen Haus Bewohner häufig beim Wäschesortieren oder Gemüseschneiden beobachtet werden können, sieht man sie im gehobenen Haus eher eine schmucke Tafel decken.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%