Vorbild für Krisenstaaten Von Lettland lernen, heißt siegen lernen

Dass Lettland in vielerlei Hinsicht als Vorbild für die erforderlichen Anpassungen in einigen Euro-Ländern gelten kann, hat Ex-EZB-Chefvolkswirt Stark schon früh erkannt. Eine aktuelle Studie gibt ihm jetzt Recht.

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Der lettische BMX-Fahrer Maris Strombergs feiert seine Olympia-Goldmedaille. Quelle: dapd

Berlin Die Euro-Retter hangeln sich von einem Krisengipfel zum nächsten und finden doch nicht den Stein der Weisen, der die Verschuldungskrise im gemeinsamen Währungsraum hilft einzudämmen. Dass es kein Patentrezept gibt für Wackelkandidaten wie Griechenland, Spanien oder Italien gibt liegt in der Natur der Sache. Die einzelnen Länder sind unterschiedlich gestrickt. Ihre spezifischen Probleme lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Was aber hilft, ist ein Blick in andere Länder und darauf, wie diese ihre Probleme bewältigt haben.

Der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Jürgen Stark, hat schon frühzeitig Lettland als Vorbild für die erforderlichen Anpassungen in einigen Euro-Ländern hervorgehoben. Ende letzten Jahres sagte er bei einem Besuch in Riga, das Land halte wichtige Lehren für die Mitglieder der Währungsunion bereit, die eine ähnliche Phase vor sich hätten. Und Stark sollte Recht behalten, wie eine Studie der Commerzbank zeigt. Demnach spielten in Lettland zwar regionale Faktoren beim Überwinden der Krise eine Rolle. Doch zeigen der dortige hohe politische Konsens für Reformen und die guten Rahmenbedingungen, etwa flexible Arbeitsmärkte, dass ein Land sehr schnell auf die Erfolgsspur zurückkehren kann.

Um den lettischen Erfolgsweg zu verstehen, muss man die Vorgeschichte kennen. Das Land verzeichnete wie alle baltischen Länder zwischen 2002 und 2008 das stärkste Wirtschaftswachstum in Europa. Das Ausland flutete die Region mit Kapital und löste einen regelrechten Immobilienboom aus. Die Region entwickelte sich zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Im gleichen Zeitraum verdreifachten sich die Einkommen. Das Leistungsbilanzdefizit stieg auf mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – für Schwellenländer mit festem Wechselkurs ein bedrohliches Ausmaß, wie die Commerzbank-Analysten in ihrer Untersuchung schreiben. Am kräftigsten profitierte von dieser Entwicklung Lettland. Kein Wunder also, dass es von der Weltfinanzkrise besonders hart getroffen wurde.

2008 galt Lettland als das „nächste Argentinien“. In den Jahren bis 2010 kollabierte in der kleinen baltischen Republik die Volkswirtschaft.  Das Bruttoinlandsprodukt ging innerhalb von nur zwei Jahren um 25 Prozent zurück. Auch das Banken- und Finanzsystem brach zusammen. Die Märkte verloren rasch das Vertrauen in die Stabilität der Währung, und Anleger zogen massiv Kapital ab, als die zweitgrößte Bank Lettlands verstaatlicht wurde. Durch die Kapitalabflüsse geriet auch die Wechselkursbindung an den Euro in Gefahr.  Gleichsam von einem Tag auf den anderen drohte dem Land der Staatsbankrott.


Trotz Erfolg große Euro-Skepsis

Im Dezember 2008, nur drei Monate nach der Lehman-Pleite, musste Lettland beim Internationalen Währungsfonds (IWF) einen milliardenschweren Notkredit beantragen. In der Folge schnellte die Arbeitslosenrate von fünf auf 20 Prozent in die Höhe.

Das Land und seine Menschen unternahmen massive Anstrengungen, sich aus dem Tief herauszuarbeiten. Es gab tief greifende Sparanstrengungen. Im öffentlichen Sektor wurde ein Drittel der Stellen abgebaut. Im Fokus standen dabei vor allem das Gesundheitswesen und der Bildungssektor. Gleichzeitig wurden die Löhne und Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gekürzt. Auch im privaten Sektor konnten im Zuge der Tarifverhandlungen die Löhne gekürzt werden.

Bei den Strukturreformen standen die Abwicklung von Konkursverfahren und die Unternehmensförderung im Mittelpunkt, was Lettlands Attraktivität als Standort für Unternehmen maßgeblich verbesserte. Dank der klaren Verpflichtung Lettlands zu den im Programm festgelegten Bestimmungen erklärten sich EU und IWF zu umfangreichen Hilfen bereit: Lettland erhielt massive internationale Mittel, um seinen Finanzierungsbedarf zu decken und die Banken zu rekapitalisieren.

Inzwischen haben die Letten das Rettungsprogramm des IWF erfolgreich abgearbeitet. Mit radikalen Einschnitten konnte die Regierung das Staatsdefizit deutlich reduzieren und strebt für dieses Jahr einen Wert unterhalb der Maastricht-Grenze von drei Prozent an. Die Gesamtverschuldung liegt bei rund 45 Prozent. Auch die Inflationsrate erreicht mit vier Prozent nach 15,3 Prozent im Krisenjahr 2008 keine besorgniserregenden Werte mehr. Die Arbeitslosenquote ist wieder unter die 15-Prozent-Marke gefallen - Lettland verzeichnet damit nach Estland den zweitstärksten Rückgang in allen EU-Ländern im Gefolge der Rezession von 2009.

Mit diesen Zahlen ist Lettland auf einem guten Weg zum Euro-Beitritt, der für 2014 angepeilt wird. Allerdings sind die Menschen davon noch nicht allzu begeistert. Die Angst vor Preissteigerungen durch Euro-Teuro-Effekte ist groß. Viele Bürger wollen lieber an der heimischen Währung Lats festhalten. Nach Großbritannien, so haben es Umfragen ergeben, ist die EU-Skepsis in Lettland europaweit am höchsten.


Lehren aus der lettischen Erfolgsstory

Dennoch, für die Krisenbewältigung können die anderen Schuldenstaaten von Lettland lernen. Denn das die Letten auf den Wachstumspfad und im Rahmen der Euro-Wechselkursbindung zu neuer Finanzstabilität zurückkehren konnten, ist vor allem der klaren Verpflichtung zur Umsetzung eines Reformprogramms zu verdanken. Als besonders nützlich für die Stabilisierung des Landes heben die Commerzbank-Experten die Koordinationsinitiative europäischer Banken (European Bank Coordination Initiative) hervor, in deren Rahmen sich die skandinavischen Banken bereit erklärten, die Kreditvergabe ihrer lettischen Geschäftsstellen sicherzustellen. Diese quasi “Bankenunion” mit Skandinavien habe geholfen, die aus der Bankenkrise resultierende Kostenbelastung zu reduzieren.

Zudem habe Lettland von seiner zu Beginn der Krise vergleichsweise niedrigen öffentlichen Schuldenquote (7 Prozent des BIP) profitiert. „Bei einem höheren Ausgangsniveau hätte es womöglich keine lettische Erfolgsgeschichte gegeben“, schlussfolgern die Experten. „Denn eine innere Abwertung führt zwangsläufig zu einer relativ stärkeren Schuldenbelastung und erhöht damit das Ausfallrisiko.“

Ebenfalls günstig hat sich nach Einschätzung der Analysten die Erholung der Nachfrage in den übrigen europäischen Ländern ausgewirkt. 70 Prozent der lettischen Exporte gehen demnach in die nordischen Länder, Deutschland, Polen und Russland. Dies habe ausgereicht, um die lettische Wirtschaft auf Erholungskurs zu bringen. Gleichzeitig habe das Land seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Der Arbeitsmarkt in Lettland zeichne sich inzwischen durch eine hohe Flexibilität und einen niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrad aus. „Nirgendwo in der EU sind die Nominallöhne flexibler“, konstatieren die Commerzbank-Ökonomen.

Gleichwohl räumen die Experten ein, dass die Situation zu Beginn der Krise in Lettland anders als in Südeuropa gewesen sei. „Aber der Erfolg Lettlands lehrt, dass ein flexibler Arbeitsmarkt, verbesserte Rahmenbedingungen für Unternehmen und ein breiter gesellschaftlicher Konsens für Reformen eine wichtige Rolle spielen, um die Krise zu überwinden“, fügen sie hinzu. „In diesen Punkten haben die Länder im Süden der Währungsunion viel nachzuholen.“

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