Vorbild Japan Wieso Kanzler Scholz Japan zum Vorbild für Deutschland erklärt

Fumio Kishida und Olaf Scholz bei einem Treffen im Jahr 2022. Jetzt zieht es den Kanzler und sein Kabinett zieht wieder nach Japan. Quelle: imago images

Olaf Scholz und sein halbes Kabinett wollen in Tokio erkunden, wie sich die Abhängigkeit von China bei Energien und Rohstoffen verringern lässt. Ein Nutznießer von Veränderungen dürfte Japan selbst sein.

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Am vergangenen Wochenende konnten die Besucher des Einkaufszentrums Grand Front in der westjapanischen Metropole Osaka ein futuristisches Flugtaxi-Modell in Originalgröße aus Deutschland bestaunen. Der „Volocity“ des Start-ups Volocopter aus dem badischen Bruchsal soll in zwei Jahren während der Weltausstellung 2025 in Osaka fliegen. Die Vorbereitungen sind weit gediehen: Kürzlich erhielt der deutsche Elektroflieger die Zulassung für Japan. Das Handelshaus Sumitomo beteiligte sich an der jüngsten Finanzierungsrunde und wird Partner für den kommerziellen Betrieb. Zuvor stiegen schon Japan Airlines und die Versicherungen Mitsui Sumitomo und MS&AD ein. „Nur Japan hat eine Zukunftsstrategie für Flugtaxis entworfen“, begründet das Jungunternehmen sein starkes Engagement in Japan.

Volocopter ist kein Einzelfall: Deutsche Manager und Politiker orientieren sich generell wieder stärker Richtung Japan. Seit seinem Tokio-Besuch vor einem Jahr preist Kanzler Olaf Scholz Japan als Vorbild auf den Politikfeldern, die für Deutschland enorm wichtig geworden sind: Als erstes Land weltweit setzte Japan auf Wasserstoff als Energieträger für den Klimaschutz. Auch suchte Japan frühzeitig nach Wegen, seine Abhängigkeit von China bei Energien, Technologien und Rohstoffen zu verringern. Hier könne Deutschland „von Japan lernen„, erklärte Scholz auf der letzten Asien-Pazifik-Konferenz in Singapur.

Daher ist es kein Zufall, dass die ersten deutsch-japanischen Regierungskonsultationen an diesem Wochenende ganz im Zeichen der Wirtschaftsschutzpolitik stehen. Mit gleich sechs Männern und Frauen aus seinem Kabinett trifft Scholz am Samstag in Tokio ein – Robert Habeck, Christian Lindner, Boris Pistorius, Nancy Faeser, Volker Wissing und Annalena Baerbock. Man wird sich mit Japans Regierungschef Fumio Kishida und dessen Ministern über die Diversifizierung von Lieferketten sowie den Schutz kritischer Infrastruktur und Technologien austauschen.

Die jeweils elfköpfigen Wirtschaftsdelegationen sind hochkarätig besetzt: Auf deutscher Seite sind Top-Manager unter anderem von Siemens Energy, Heraeus, Beiersdorf, Boehringer Ingelheim, Mahle und der Bankhaus Metzler dabei. Für Japan nehmen Spitzenvertreter etwa von Toyota, Mitsubishi Electric, Hitachi, NEC und die Handelshäuser Itochu und Mitsubishi teil.

Beide Länder reagieren auf die Lieferkettenprobleme im Nachgang der Coronapandemie und die Verwerfungen der Weltwirtschaft durch den Schulterschluss von China und Russland gegen den Westen. Berlin und Tokio streben mehr wirtschaftliche Sicherheit an, ohne den Freihandel einzuschränken. Hier könnte Japans umfassende Strategie als Vorbild dienen: Ein im Mai 2022 verabschiedetes Gesetz wird nationale Lieferketten, Infrastruktur und Technologien besser schützen. Dafür hatte Kishida extra einen Minister für wirtschaftliche Sicherheit ernannt. Nun soll der Staat eine stabile Versorgung mit strategisch wichtigen Gütern organisieren, sich bei der Entwicklung neuer Technologien engagieren und die Verwendung von Kapital und Technik aus dem Ausland prüfen.

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Die Regierung darf nun zum Beispiel Unternehmen anweisen, über Softwareupdates zu informieren und die Beschaffung von Technik und Geräten in 14 Branchen inspizieren – darunter Energie, Wasserversorgung, Informationstechnologie, Finanzen und Verkehr. Im Dezember wurden Halbleiter, Batterien und neun weitere Güter als strategisch kritische Materialien eingestuft. Japan sucht aktiv nach alternativen Lieferquellen für wichtige Ressourcen und Produkte wie Chips, Arzneimittel und Medizintechnik.

Viele japanische Unternehmen haben auf die Wirtschaftsfehde zwischen China und den USA bereits reagiert. Einige verlagern ihre Produktion von China nach Südostasien, um die erhöhten US-Zölle für Waren aus China zu umgehen, andere verlassen das Reich der Mitte ganz. Der Elektronikkonzern Kyocera nannte China wegen der US-Halbleiterbeschränkungen einen „nicht mehr tragfähigen“ Standort und baut nach fast 20 Jahren Pause wieder eine neue Fabrik in Japan. Hitachi Metals entwickelt Elektromotoren, die mit weniger seltenen Erden aus China auskommen. Als erstes Unternehmen in Japan richtete Mitsubishi Electric im Oktober 2020 direkt unter dem CEO eine eigene Abteilung für wirtschaftliche Sicherheit ein, die mögliche Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten bei Neugeschäften und Übernahmen in den USA und China prüft.

Vor den Beratungen in Tokio hatte Kanzler Scholz gegenüber der Finanzzeitung Nikkei betont, Deutschland wolle die Verbindungen zu China nicht abbrechen und beschrieb seine Denkweise mit der Volksweisheit „Lege nicht alle Eier in einen Korb“. Deutschland sollte nicht von einzelnen Ländern abhängig sein, so Scholz, besonders nicht bei der Versorgung mit Rohstoffen. „Das wird zu graduell höheren Kosten führen, wenn man nicht immer nur den billigsten Anbieter nimmt, sondern sich mehrere Zulieferer in unterschiedlichen Ländern erschließt“, räumte der Kanzler ein. „Es sichert aber die eigene Unabhängigkeit.“

Deutschlands Interesse an Japan wächst

Der Trend zum „Friendshoring“, also die Beschaffung und Herstellung in befreundeten Ländern, könnte auch dem deutschen „Wertepartner“ Japan nützen. Laut einer Umfrage der deutschen Außenhandelskammer (AHK) in Tokio unter 113 japanischen Tochterfirmen zeigt mehr als jede dritte Konzernzentrale in Deutschland wachsendes Interesse an Japan und prüft Möglichkeiten nach einer Ausweitung des Geschäfts.

Bosch macht bereits Nägel mit Köpfen: Im Herbst nahmen die Stuttgarter in Saitama und Tochigi jeweils eine neue Fertigungslinie für Servolenkungen und Bremskraftverstärker in Betrieb, in Yokohama entsteht gerade eine neue Firmenzentrale. Deutsche Unternehmen kaufen laut der AHK-Umfrage auch stärker in Japan ein. „Wir versprechen uns von den Regierungskonsultationen weitere nachdrückliche Impulse für die wirtschaftlichen Beziehungen“, sagt Geschäftsführer Marcus Schürmann.

Die größten Potenziale für deutsche Firmen in Japan sieht Martin Schulz, Chefökonom von Fujitsu und Mitglied im Sachverständigenrat der japanischen Regierung, in Bereichen mit gemeinsamen Interessen und bei der Entwicklung neuer Märkte, auch in direkter Konkurrenz zu den USA und China. „Hierzu zählen sicherlich erneuerbare Energien, sichere Lieferketten und digitale Plattformen in Asien sowie die Kooperation in asiatischen Drittländern, in denen die stark exportabhängigen deutschen und japanischen Unternehmen immer häufiger auf direkte Konkurrenten aus China treffen“, meint Schulz.

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In deutschen Chefetagen wird Japan jedenfalls messbar positiver wahrgenommen. „Seit dem letzten Jahr fragen uns viele Kunden auch nach Chancen in Japan, das gab es früher nicht“, berichtet Björn Eichstädt, Geschäftsführer der PR-Agentur Storymaker und Sonderberater für den Deutsch-Japanischen Wirtschaftskreis DJW. Unternehmen, die schon seit den 1970er und 1980er Jahren eine japanische Niederlassung haben, würden nun wieder aktiver. Auch über Tokio als Standort für die Ostasienzentrale werde nun deutlich häufiger nachgedacht.

Zugleich würden mehr junge Unternehmen, die ihre ersten Schritte nach Asien machen wollen, eine Expansion nach Japan erwägen, berichtet Eichstädt. Japanische Kapitalspritzen etwa der Softbank Group in deutsche Start-ups hätten Japan sichtbarer gemacht. Allerdings rät der Japan-Kenner allen Neueinsteigern zur Geduld. „Viele würden am liebsten bestimmte China-Aspekte ganz schnell durch Japan ersetzen“, meint Eichstädt. „Das funktioniert natürlich nicht.“

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