Vorwürfe aus der Türkei Beherbergt Deutschland tatsächlich PKK-Extremisten?

Die Türkei hat Deutschland mehrfach vorgeworfen, ein „sicherer Hafen“ für Terroristen der verbotenen PKK zu sein. Die PKK ist in Deutschland tatsächlich aktiv – aber Ermittler und Richter gehen regelmäßig dagegen vor.

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Seit 2002 ist die PKK in der gesamten EU verboten, außerdem in den USA und einer Reihe anderer Staaten. Quelle: AP

Istanbul Mevlüt Cavusoglu redete sich plötzlich in Rage. Kurz lobte der türkische Außenminister am Dienstag in Ankara noch ein offenes Gespräch mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier. Doch als es um die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK geht, hört für Cavusoglu die Freundschaft auf: Deutschland sei ein Zufluchtsort für die Terroristen dieser Bewegung. Steinmeier verbat sich die Vorwürfe und erklärte, er sei „mindestens irritiert“ über diesen Vorwurf.

Doch die türkische Führung hält das nicht auf. Nachdem am Dienstagabend Regierungschef Binali Yildirim in einem Vier-Augen-Gespräch mit Steinmeier nachlegte, holte am Mittwoch Präsident Recep Tayyip Erdogan aus. Er habe deutschen Regierungsvertretern Belege vorgelegt, dass eine Organisation in Deutschland Spenden für die PKK sammele, die sich in der Türkei für zahlreiche Anschläge verantwortlich zeichne.

„Deutschland fühlt sich dem Kampf gegen Terrorismus nicht ausreichend verpflichtet“, beklagte er. Der türkische Chefdiplomat Cavusoglu sagte, es gebe 4500 Strafverfahren gegen mögliche PKK-Kämpfer, Deutschland hätte allerdings nur drei von ihnen an die Türkei ausgeliefert.

Nun, da der Vorwurf wieder im Raum steht, äußern sich Spitzenbeamte zu dem Thema. Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, wies die Vorwürfe entschieden zurück, deutsche Behörden gingen unzureichend gegen die PKK vor. „Aus meiner Perspektive kann ich sagen, dass dieser Vorwurf völlig ungerechtfertigt ist“, sagte Maaßen der Nachrichtenagentur Reuters.

Seine Behörde arbeite „seit vielen Jahren“ daran, dass von der PKK keine Gefahren für Deutschland oder die Türkei ausgingen. Es gebe mit der Türkei dazu in diesem Zusammenhang einen guten Informationsaustausch. „Die Behauptung, dass dies nicht funktionieren würde, muss ich mit Nachdruck zurückweisen“, betonte Maaßen. Wer sich die Berichte des Verfassungsschutzes durchliest, dem wird klar, dass Maaßen nicht ohne Grund Steinmeier zur Seite springt.

In der Türkei begann 1984 PKK-Gründer Abdullah Öcalan, Gleichgesinnte für seinen bewaffneten Kampf für ein freies Kurdistan zu suchen – und durch blutige Anschläge auf seine Ziele aufmerksam zu machen. Dabei war von vorneherein nur ein kleiner Teil der dort lebenden Kurden der PKK beigetreten. Die mehr als 100 existierenden kurdischen Stämme sind zum Teil heftig zerstritten, und das bis heute.

Alleine in den ersten drei Jahren ihrer Aktivitäten ermordeten die PKK-Terroristen mehr als 200 Lehrer. Zwischen 1984 und 1992 werden 4200 Todesfälle in der Türkei mit Aktivitäten der PKK in Verbindung gebracht. Im Gegenzug ging das türkische Militär mit aller Härte gegen die Extremisten vor. Anstatt auf eine Aussöhnung zu setzen, wurde teils jahrelang ein Ausnahmezustand in mehreren Provinzen verhängt, um die Regionen zu „säubern“.

Anfangs war die PKK nicht verboten und warb auch in Deutschland für ihre Zwecke. Im Oktober 1989 begann vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ein Prozess gegen 18 Kurden, die sich strafbar gemacht haben sollen. Mehrere Angeklagte tauchten daraufhin unter, einer erhielt eine Bewährungsstrafe.

Doch als die PKK in der Türkei wegen der anhaltenden Militäraktionen auf dem Rückzug war, erklärten Funktionäre der Gruppierung, sie seien „zum totalen Krieg bereit“ und kündigten „große Sabotageakte“ auch in Europa an. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte die Großaktion im Juni 1993. 13 Kurden hatten das Generalkonsulat in München attackiert, 25 Menschen als Geiseln genommen und drohten, sie zu erschießen.


PKK in der EU und den USA verboten

Nach 14 Stunden ergaben sich die Besetzer, die Geiseln überlebten unverletzt. In Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hamburg verwüsteten Extremisten türkische Reisebüros und Banken. Gleichzeitig gab es ähnliche Aktionen in Frankreich, der Schweiz, Schweden und Dänemark.

Das Bundesinnenministerium verhängte am 22. November 1993 schließlich ein Betätigungsverbot über die Vereinigung. Die Beamten begründeten das Verbot mit „Strafgesetzwidrigkeit, Gefährdung der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung sowie außenpolitischer Belange Deutschlands“.

Seit 2002 ist die PKK in der gesamten EU verboten, außerdem in den USA und einer Reihe anderer Staaten. Experten schätzen, dass die PKK dennoch auch in Europa weiterhin für ihre Ziele wirbt – auch in Deutschland. „Ein wesentlicher Schwerpunkt der PKK-Aktivitäten in Deutschland ist die logistische und finanzielle Unterstützung der Gesamtorganisation“, heißt es dazu im Bericht des Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2013.

Im Dezember 2012 hatten Sondierungsgespräche zwischen der türkischen Regierung und der PKK-Führung begonnen, die von deren inhaftiertem Führer Abdullah Öcalan durch einen Friedensaufruf vom März 2013 „offiziell“ bestätigt worden waren. „Der Prozess, der auf beiden Seiten von großem Misstrauen und nur schwer erfüllbaren Bedingungen begleitet wird, ist mittlerweile ins Stocken geraten“, bemerkten die Beamten noch im selben Jahr dazu. Der Friedensprozess habe außerdem nicht dazu geführt, dass die PKK ihre Anwerbeversuche einschränkte. „Im Gegenteil sind in Europa verstärkte Rekrutierungsbemühungen festzustellen.“

Mindestens seit 2011 wird die Vereinigung in den Jahresberichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz erwähnt. Liest man diese, wird klar, dass die Behörde mit den Jahren eine ganze Reihe von Informationen über Aktivitäten, Struktur und Finanzierung der PKK sammeln konnte – und sie offensichtlich auch Ermittlungsbehörden übergibt, wie die Anzahl an Gerichtsprozessen zeigt.

Die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) hält den Verfassungsschützern zufolge an dem Ziel einer politischen und kulturellen Autonomie der Kurden in ihren Siedlungsgebieten fest. Diesem Ziel dienen demnach auch die Großveranstaltungen, die über den Kreis der PKK-Anhänger hinaus Beachtung finden „und auch dazu genutzt werden, weitere Personen für die PKK zu werben“, heißt es.

Das Mitgliederpotenzial der PKK in Deutschland schätzt der Verfassungsschutz auf etwa 13.000 Personen – von 800.000 in Deutschland lebenden Kurden. Zum Vergleich: Das Potenzial ausländischer extremer Nationalisten in der Bundesrepublik wird auf gut 10.000 Personen geschätzt.

Interessant sind die wirtschaftlichen Aktivitäten der PKK in Deutschland.


Millionen aus Deutschland

Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass Sympathisanten der Gruppe mit einer sogenannten Jahresspendenkampagne alleine 2013 rund neun Millionen Euro eingesammelt haben. Die PKK erwarte nach Erkenntnissen der Verfassungsschützer von den hier lebenden Kurden einen finanziellen Beitrag zum politischen und militärischen Kampf der Organisation für die „Freiheit Kurdistans“.

Zu diesem Zweck sammelt sie Spenden. Die Höhe der Spenden orientiere sich „nach dem Selbstverständnis der PKK“ am Jahreseinkommen der Spender und kann bis zu mehreren Tausend Euro pro Jahr betragen. Ein Teil der Spenden diene „der Unterstützung in Kampfgebieten“. Zusätzlich zur obligatorischen Jahresspendenkampagne sei 2013 eine Sonderspendenkampagne zur Unterstützung der PKK-Zweigorganisation PYD in Syrien durchgeführt worden, bei der laut Verfassungsschutz mehrere Hunderttausend Euro zusammengekommen sind. Über ein „sogenanntes Wirtschafts- und Finanzbüro“ werde das Finanzsystem der PKK demnach kontrolliert und die Bargeldtransporte koordiniert.

Gleichzeitig sind PKK-Sympathisanten in Deutschland immer wieder auch Angriffsziel türkischer nationalistischer Gruppierungen gewesen, die zum Teil selbst von den Verfassungsschützern beobachtet werden. Die Beamten vermerken dies regelmäßig in ihren Berichten. Weil die Nationalisten oft nur lose organisiert sind, dürfte es den Beamten schwerfallen, sie strukturiert zu beobachten.

In der Politik findet die PKK laut Verfassungsschutz von der Partei Die Linke Unterstützung. Laut Behördenbericht aus dem Jahr 2011 griff die Partei Anliegen der PKK auf, „um diese politisch zu unterstützen“. So soll dem Bericht der Verfassungsschützer zufolge eine 2011 gewählte Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft zuvor fünf Jahre für eine PKK-nahe Zeitung tätig gewesen sein.

Grundsätzlich verhalte sich die PKK in Deutschland inzwischen gewaltneutral. Im Bürgerkrieg in Syrien werde die PKK viel mehr als Verteidigerin der gebeutelten Kurden in der Region wahrgenommen. „Die PKK nutzt den Reputationsgewinn, um vehementer noch als in der Vergangenheit die Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland zu fordern“, notieren die Verfassungsschützer.

In den Hintergrund gerate dabei das Festhalten der PKK am bewaffneten Kampf in der Türkei, ihre in Europa indifferente Haltung zu Militanz und Gewalt, insbesondere auch die anhaltende Rekrutierung für die Guerilla. „Mit dem Ende des Friedensprozesses in der Türkei und den massiven bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK-Guerilla und Einheiten des türkischen Staates ist auch die künftige Ausrichtung der PKK in Europa ungewiss“, heißt es. Eine Rückkehr zu militanten Formen sei jederzeit möglich.

Im Jahr 2010 stellte der Bundesgerichtshof fest, dass es sich bei der PKK insgesamt um eine terroristische Vereinigung im Ausland handelt. Seitdem werden regelmäßig hochrangige Funktionäre wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt. Der Verfassungsschutz unterstützt nach eigenen Angaben „mit seinen Erkenntnissen entsprechende Verfahren der Justiz- und Strafverfolgungsbehörden“.

So eröffnete das OLG Düsseldorf im Juni 2013 die Hauptverhandlung gegen einen 46-jährigen türkischen Staatsangehörigen wegen Mitgliedschaft in der PKK. Der Angeklagte soll von Juni 2003 bis Juni 2004 in Deutschland den Bereich „Mitte“ der PKK geleitet haben. Von Juli 2007 bis März 2010 habe er die Leitung des Finanzbüros der PKK übernommen, lautete der Vorwurf.

In der Tat beschäftigen mögliche PKK-Funktionäre regelmäßig die deutschen Gerichte. Der Vorwurf, Deutschland „beherberge“ PKK-Terroristen, lässt sich daher nur schwer erhärten.


PKK setzt Rekrutierung in Deutschland fort

Zuletzt verurteilte das Hamburger Oberlandesgericht im August dieses Jahres einen PKK-Funktionär zu einer dreijährigen Haft. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 58-jährige türkische Angeklagte von Ende 2012 bis zu seiner Verhaftung im August 2015 verschiedene PKK-Sektoren in Deutschland geleitet hatte.

Im April klagte die Bundesanwaltschaft einen 52-jährigen Türken vor dem Oberlandesgericht München an, der Mitglied in der extremistischen Vereinigung „Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten“ (TKP/ML) sein soll. Der Beschuldigte sei demnach ranghoher Führungskader der Auslandsorganisation gewesen.

Die TKP/ML will in der Türkei einen kommunistischen Staat errichten. Seit dem Jahr 2007 begehe sie demnach Anschläge, auch mit der PKK, und unterhalte im Irak ein militärisches Ausbildungslager. Ihre Auslandsorganisation in Europa nutze sie zur Finanzierung ihrer extremistischen Aktivitäten und zur Beschaffung ihrer Logistik für Anschläge in der Türkei, lautete der Vorwurf. Der Angeklagte war in der Schweiz festgenommen und dann an Deutschland übergeben worden.

Ebenfalls im April begann am OLG Celle ein Prozess gegen einen 38-Jährigen, der in Hamburg und Oldenburg Spenden für die PKK und Propagandaveranstaltungen vorbereitet haben soll. Außerdem soll er neue Mitglieder angeworben haben. Zum Zeitpunkt des Prozessbeginns saß der Mann in Untersuchungshaft. Am ersten Verhandlungstag gab er an, sich mit der kurdischen Bewegung solidarisiert zu haben.

Bleibt die Frage, ob die Bundesrepublik derzeit oder künftig PKK-Terroristen „beherbergt“. Auch im jüngsten Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2015 ist die PKK Thema. Dieses Mal vor allem in Bezug auf deren Rekrutierungsbemühungen für den Kampf gegen den IS und gegen türkische Sicherheitskräfte.

In dem Bericht heißt es dazu: „Vor dem Hintergrund der weiterhin angespannten Lage in den kurdischen Siedlungsgebieten in Syrien und im Irak setzte die PKK ihre intensiven Rekrutierungsaktivitäten auch in Europa weiter fort.“ Sie fordere demnach vor allem Jugendliche auf, sich den bewaffneten Einheiten der PKK anzuschließen, um ihre „Heimat“ zu verteidigen.

Einige Aufrufe richteten sich den Verfassungsschützern zufolge ausdrücklich an Jugendliche in Europa. Indes sind mehrere Fälle bekannt, bei denen in Deutschland rekrutierte Personen im Kampfeinsatz für die PKK gestorben sind. So eine 30-jährige Kurdin, die bereits 2001 rekrutiert worden war und 2011 bei Kämpfen getötet wurde.

Das ARD-Magazin „Monitor“ berichtete, dass die PJAK als Teilorganisation der PKK viele Kämpfer in Deutschland für Terroranschläge rekrutiere, die vor allem im Iran ausgeführt würden. Der Vorsitzende der PJAK bestätigte demnach diese Angaben. Die Anzahl der aus Deutschland in die Kampfgebiete ausgereisten Rekruten stieg 2015 weiter an. Insgesamt seien mehr als 100 Personen bekannt, die auf Seiten der Kurden gegen den IS kämpfen, der weitaus größte Teil der aus Deutschland ausgereisten Personen wurde von der PKK rekrutiert. „Vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene werden durch PKK-Kader vor einem Einsatz auf ihre Tauglichkeit für entsprechende Aufgaben geprüft. Ein Teil dieser Personen wird im Nordirak militärisch ausgebildet und auch im Kampf eingesetzt.“

Der Verfassungsschutz rechnet damit, dass die PKK auch in Zukunft von Deutschland aus aktiv sein wird. In dem Bericht heißt es dazu: „Solange die Kämpfe sowohl zwischen dem IS und der PKK als auch zwischen der PKK und türkischen Sicherheitskräften andauern, dürften die Rekrutierungsbemühungen der Organisation in Deutschland und Europa fortgesetzt werden.“

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