VW-Skandal Was die EU im Abgas-Skandal bemängelt

Der VW-Skandal mit Millionen manipulierter Autos hat hohe Wellen geschlagen. Nun soll sich Deutschland einem Verfahren stellen. Neuer Streit zwischen Verkehrsminister Dobrindt und der EU-Kommission ist vorprogrammiert.

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VW hat bei Millionen Autos manipulierende Software eingesetzt, um Abgaswerte zu schönen, hält sie aber mit dem europäischen Recht vereinbar. Quelle: dpa

Berlin/Brüssel Autofirmen müssen Abgasnormen einhalten. Darüber wachen müssen die nationalen Aufsichtsbehörden. Das ist in Deutschland und sechs anderen EU-Staaten nicht geschehen, argwöhnt die EU-Kommission. Sie dürfte an diesem Donnerstag mehrere Verfahren wegen Verletzung europäischen Rechts gegen die Länder einleiten.

Wie lauten die Vorwürfe?

Das bleibt abzuwarten – noch hat die EU-Kommission ja nicht offiziell bekanntgegeben, ob sie wirklich gegen Deutschland vorgeht. Grundsätzlich sind zwei Vorwürfe denkbar: Die Brüsseler Behörde könnte Staaten vorwerfen, dass ihre Aufsichtsbehörden den Autobauern nicht genau genug auf die Finger geschaut haben. Und sie könnte bemängeln, dass die Behörden Rechtsverstöße der Konzerne nicht konsequent genug geahndet haben.

Was sagt die Bundesregierung dazu?

Bisher teilt das Bundesverkehrsministerium nur mit, es läge von der EU-Kommission nichts vor. Generell verweist Minister Alexander Dobrindt (CSU) in der Regel auf Brüssel und fordert schärfere EU-Regeln für die Abgasreinigung von Dieselautos, insbesondere für die Abschalteinrichtungen. Zulässig sollen sie nur noch sein, wenn es trotz „bester verfügbarer“ Motortechnologie keinen anderen Schutz für den Motor gibt.

Seit 2007 sind Abschalteinrichtungen in Europa grundsätzlich verboten. In Ausnahmefällen darf die Software aber eingesetzt werden, etwa wenn sie „nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist“ oder sie nötig ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. VW hat solche Software bei Millionen Autos eingesetzt, um Abgaswerte zu schönen, hält sie aber für vereinbar mit europäischem Recht.

Was passiert bei einem Vertragsverletzungsverfahren?

Die EU-Kommission ist die Hüterin des europäischen Rechts. Vermutet sie einen Verstoß, leitet sie ein mehrstufiges Verfahren ein. Zuerst sendet sie einen Brief in die jeweilige Hauptstadt und gibt der Regierung Gelegenheit zur Stellungnahme. Wenn sich die Kommission und das Land nicht einigen, schreibt Brüssel einen zweiten Brief und stellt ein Ultimatum, um den vermuteten Missstand zu beheben. Als letztes Mittel sind auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof möglich. Dieser kann Zwangsgelder verhängen, falls er die Vorwürfe der EU-Kommission als berechtigt einstuft.


Was ist in Deutschland seit dem Abgas-Skandal passiert?

Warum geht die EU-Kommission gegen Staaten vor - und nicht gegen Autobauer, die sich etwas zuschulden kommen lassen?

Verfahren wegen Verletzung europäischen Rechts richten sich immer gegen Staaten, nie gegen Unternehmen oder Privatpersonen. Denn nationale Regierungen müssen europäisches Recht einhalten. In der Autobranche etwa sind Behörden in den Mitgliedsstaaten für die Aufsicht zuständig und für die Zulassung von Fahrzeugtypen.

Wenn ein Auto nicht mit dem genehmigten Typ übereinstimmt – etwa, weil die Hersteller es manipuliert haben, um Abgaswerte zu schönen – dann müssen die Behörden handeln und gegebenenfalls die Genehmigung zurückziehen. Zudem sieht das EU-Recht Sanktionen vor, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen. Was das heißt, müssen die EU-Staaten festlegen.

Was ist in Deutschland seit Bekanntwerden des Skandals passiert?

Im September 2015 setzte Dobrindt die „Untersuchungskommission Volkswagen“ ein, im April präsentierte er ihren Bericht. Demnach bestanden bei 22 getesteten Modellen unterschiedlicher Hersteller Zweifel, ob das Herunterregeln der Abgasreinigung mit dem Schutz der Motoren zu tun hat. Es wurde ein Rückruf von insgesamt 630.000 Fahrzeugen von Audi, Mercedes, Opel, Porsche und VW beschlossen, um die Technik zur Abgasreinigung zu ändern. Außerdem muss bei 2,5 Millionen Autos von VW nachgebessert werden. Zudem hat das Kraftfahrtbundesamt aufgerüstet und Technik für Tests im normalen Straßenbetrieb angeschafft.

Was sagen die Kritiker des Verkehrsministers?

Umweltschützer und die Opposition werfen ihm große Nähe zur Industrie vor, er verschleppe daher die Aufklärung und tue wenig für Kontrollen und Sanktionen. Ein Vertragsverletzungsverfahren hätte vor Jahren eingeleitet werden müssen, sagt Linke-Verkehrsexperte Herbert Behrens, der dem deutschen Abgas-Untersuchungsausschuss vorsitzt. Auch die EU-Kommission habe lange geschwiegen und handele „scheinheilig“. Der Grünen-Obmann im Untersuchungsausschuss, Oliver Krischer, nennt Sanktionen der EU eine „logische Konsequenz“. Dobrindt bleibe der Öffentlichkeit die Antwort schuldig, mit welchen konkreten Maßnahmen er den Abgasskandal lückenlos aufklären will.

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