Währungskrise So gefährlich ist die Türkei-Eskalation für Deutschland

Türkei: Deutsche Touristen profitieren von der Lira-Krise, doch die deutsche Wirtschaft gerät unter Druck Quelle: dpa

Der Konflikt zwischen der Türkei und den USA eskaliert. Deutsche Urlauber freuen sich über das historische Tief der Lira. Doch die sonstigen Konsequenzen für Deutschland sind weniger rosig.

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Für deutsche Urlauber herrschen in der Türkei derzeit paradiesische Zustände. Schon die Reiseangebote sind kaum zu unterbieten: Eine Woche Hotel, All Inclusive, samt Flug und Transfer für unter 250 Euro. Und vor Ort zahlen die Urlauber derzeit sogar von Tag zu Tag weniger. Grund ist der Kurs der Türkischen Lira, der nach vielen ohnehin schwachen Monaten am Freitag zeitweise um 20 Prozent abgestürzt ist. Aktuell kostet ein Euro 7,80 Lira. Vor einem Jahr waren es noch 4,20 Lira. Selbst abzüglich der Inflation können sich Urlauber vor Ort also deutlich mehr leisten.

Doch abseits der Ferienresorts sorgt die wachsende Wirtschaftskrise für deutlich weniger gute Laune. Nicht nur die schwache Währung, auch die Inflation von knapp 16 Prozent setzt die Türken unter Druck – und nicht nur sie, sondern auch die Eurozone und damit Deutschland.

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Das liegt zum einen an den Exporten gen Osten. Die werden durch das Lira-Tief immer teurer für türkische Abnehmer, Privatpersonen wie Unternehmen. Hinzu kommt, dass viele Firmen in Dollar oder Euro verschuldet sind, ihre Einnahmen jedoch auf dem Heimatmarkt über Lira bestreiten. So verlieren sie stetig Geld – und geben in der Folge noch weniger für Importe aus dem teuren Ausland aus.

Ohnehin lohnt es sich für deutsche Firmen derzeit kaum zu exportieren, erklärt Alexander Kriwoluzky, Abteilungsleiter Makroökonomie am deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin: Da die Ware in Lira bezahlt wird, könnten Exporte durch erneute Kursabstürze leicht zu Verlusten werden. So oder so ist die vorher starke Expansion der deutschen Exporteure gebremst: Bereits im Juni brachen die deutschen Exporte in die Türkei um sechs Prozent ein.

Betroffen sind in Deutschland vor allem Unternehmen aus den Bereichen Chemische Erzeugnisse, Kraftfahrzeuge und -teile sowie Maschinen. Sie stellen etwa die Hälfte der Exporte in die Türkei. Laut Carsten Hesse von der Berenberg Bank führten deutsche Unternehmen in den vergangenen zwölf Monaten Waren im Wert von 24 Milliarden Euro in die Türkei aus. Das entspricht etwa 0,7 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP).

Hesse geht davon aus, dass selbst in einer tiefen Wirtschaftskrise diese Exporte nicht vollends einbrechen würden. Ein Minus von 20 bis 30 Prozent sei aber durchaus vorstellbar. In diesem Szenario würde das deutsche BIP laut Hesse um 0,1 Prozent beziehungsweise 3,3 Milliarden Euro schrumpfen.

Ein zweiter Aspekt, der Deutschland unter Druck setzt, ist der Bankensektor. Die Banken der Eurozone haben hohe Ausstände in der Türkei, wie hoch genau, darüber widersprechen sich die Quellen. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) spricht von etwa 135 Milliarden Euro, die niederländische ABM Amro hingegen von 143 Milliarden Euro. Klar ist: Eskaliert die Situation in der Türkei, könnte dieses Geld verloren sein.

Das träfe Spanien besonders hart: Spanische Banken haben ein sogenanntes Engagement von über 80 Milliarden Euro. Doch auch deutsche Banken verzeichnen laut Bundesbank Ausstände in der Türkei von etwa 21 Milliarden Euro. Verglichen mit dem Gesamtauslandsengagement von etwa 1,8 Billionen Euro ist das zwar eine eher kleine Summe, aber sie genügte, um am Freitag gleich mehrere Bankaktien auf Talfahrt zu schicken. Auch die Institute selbst reagieren äußerst zurückhaltend auf Presseanfragen über ihre Ausstände in der Türkei.  

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Kollateralschäden in Deutschland

Doch fast noch wichtiger als diese Zahlen sind ohnehin die möglichen wirtschaftspolitischen Konsequenzen – und wiederum deren finanzielle Folgen. Die Türkei ist ja nicht der einzige Unruheherd in einer wirtschaftlich ansonsten stabilen Welt, sondern reiht sich ein in eine lange Liste aktueller Handelskonflikte. USA und Iran, EU und Russland, USA und China, Brexit: All diese Konflikte steuern auf einen ungewissen Höhepunkt zu – und all diese Konflikte hinterlassen Kollateralschäden in Deutschland.

Die Welt für deutsche Unternehmen ist unübersichtlicher geworden. Berenberg-Analyst Hesse betont: „Deutsche Unternehmen sind gut darin, auf neue Märkte umzuschwenken.“ Das Problem ist nur, dass momentan gleich eine ganze Reihe an alten Märkten ins Wackeln gerät. Zwar habe die Türkeikrise nichts mit den Handelskonflikten zu tun, sondern sei eine hausgemachte Krise Erdoğans, wie es in der Geschichte schon häufiger gegeben habe, sagt DIW-Ökonom Kriwoluzky. Dennoch müssten die Unternehmen all diese Probleme einpreisen: „Die Türkeikrise trifft die deutsche Exportwirtschaft zu einem unglücklichen Zeitpunkt.“

Hinzu kommt ein Thema, das auf den ersten Blick weniger mit der Währungskrise zu tun hat: die Migration. Verschärft sich die Krise in der Türkei, könnten auch immer mehr Türken den Weg nach Europa suchen. Die geschätzt drei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei kommen noch obendrauf. Viele von ihnen würden ohnehin gerne weiter nach Europa ziehen. Nur die strengen Kontrollen hindern sie daran, die Präsident Erdoğan erlassen hat, um dem Migrationsdeal mit der EU gerecht zu werden.

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In einer Wirtschaftskrise könnte die Türkei diese Kontrollen so wohl nicht aufrechterhalten, warnte Erdal Yalcin, Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Hochschule HTWG in Konstanz, unlängst gegenüber der WirtschaftsWoche: „Bricht die türkische Wirtschaft zusammen, ist der Migrationsdeal in Gefahr.“

Wer dem türkischen Präsidenten Böses unterstellen will, könnte genau dahinter einen Plan vermuten. Erdoğan hatte in den vergangenen Monaten schon mehrfach versucht, mehr Geld von der EU zu bekommen. Das Szenario unkontrollierbarer Grenzen, über die erneut Millionen Flüchtlinge nach Europa strömen, könnte sich endlich als wirksames Druckmittel erweisen. So könnte Erdoğan doch noch neue Millionen aus Brüssel bekommen – und natürlich müsste auch Berlin zahlen.

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