Was uns nicht umbringt, macht uns stark. Diesen Eindruck wollen russische Politiker und kremlnahe Experten zur Zeit vermitteln, wenn es um westliche Sanktionen gegen Moskau geht. Der Grundtenor: Wenn der Westen Sanktionen gegen Russland verhängt, dann kann das Land endlich seine Abhängigkeit von Importen überwinden und eigene Industriezweige aufbauen. Am Ende werde es dem Land nur noch besser gehen.
Auch Wladimir Putin setzte gestern sein Pokerface auf, während er über die Zukunft der Rüstungsindustrie sprach. Russland sei in der Lage, alles selber herzustellen. „Zudem ist es eine Frage der nationalen Sicherheit, dass wir auf Rüstungsimporte künftig verzichten müssen“, sagte Putin. Auch wegen der politischen Risiken auf Seiten der Lieferanten.
Ernste Lage
Die scheinbare Selbstsicherheit sollte nicht darüber hinwegtäuschen: Der Kreml hat den Ernst der Lage durchaus erkannt. Denn auch wenn der Importverzicht wie eine vorbeugende Maßnahme wirkt - de facto sieht sich Russland seit Monaten einem westlichen Waffenembargo gegenüber. „Aufgrund der aktuellen politischen Lage werden keine Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegswaffen oder sonstigen Rüstungsgütern nach Russland erteilt“, heißt es etwa beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, das über Rüstungsgeschäfte deutscher Firmen wacht.
Chronologie - Dramatische Tage auf der Krim
Schon lange ist die Krim zwischen Russen und Ukrainern umstritten. Seit dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch am 22. Februar haben sich die Spannungen auf der überwiegend von Russen bewohnten Schwarzmeer-Halbinsel dramatisch verschärft. Ein Rückblick:
Wenige Tage nach dem Umsturz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geraten auf der Krim Anhänger und Gegner einer Annäherung an Russland aneinander. Tausende Krimtataren demonstrieren gegen eine Abspaltung der autonomen Republik. Prorussische Demonstranten fordern die engere Anbindung an Moskau.
Bewaffnete besetzen Regionalparlament und Regierungsgebäude in der Hauptstadt Simferopol - um die russische Bevölkerung auf der Krim zu verteidigen, wie sie sagen. Das prorussische Krim-Parlament spricht sich für eine Volksbefragung über die Autonomie der Region im Mai aus und setzt die Regierung ab.
Eine bewaffnete prorussische Gruppe besetzt kurzzeitig den Flughafen der Hauptstadt. Das ukrainische Parlament appelliert an Moskau, alles zu unterlassen, was die territoriale Einheit des Landes gefährde. Nach ukrainischen Berichten sind auf der Krim russische Militärmaschinen mit rund 2000 Soldaten gelandet. Interimspräsident Alexander Turtschinow spricht von einer „militärischen Invasion“ unter dem Deckmantel einer Übung.
Der moskautreue neue Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow übernimmt vorübergehend die Befehlsgewalt und bittet Kremlchef Wladimir Putin um Beistand. Er zieht das Referendum über die Zukunft der Krim auf den 30. März vor. Die russische Staatsduma ruft Putin auf, der neuen Regierung auf der Krim Beistand beim Schutz der Bürger zu leisten. Die prorussische Krim-Regierung und die auf der Halbinsel stationierte russische Schwarzmeerflotte vereinbaren eine Zusammenarbeit bei der Sicherung der öffentlichen Ordnung. In mehreren russisch geprägten Städten der Schwarzmeer-Halbinsel gibt es Proteste gegen die Regierung in Kiew.
Putin erklärt, Russland könne bei weiterer Gewalt gegen die russischsprachige Bevölkerung „nicht tatenlos zusehen“. In Kiew ordnet Interimspräsident Alexander Turtschinow die volle Kampfbereitschaft der ukrainischen Armee an und droht, eine Intervention Moskaus werde „der Beginn eines Krieges und das Ende aller Beziehungen sein“.
Das ukrainische Parlament, die Oberste Rada, berät in nicht-öffentlicher Sitzung über die heikle Lage. Die sieben führenden Industrienationen der Welt (G7) setzen alle Vorbereitungstreffen für den G8-Gipfel mit Russland im Juni in Sotschi aus. US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel werfen Russland vor, mit der Intervention auf der Krim gegen das Völkerrecht zu verstoßen.
Auf der Krim herrscht gespannte Ruhe. Russland lehnt die Entsendung einer Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in die Ukraine ab. Außenminister Sergej Lawrow sagt, es gehe Moskau um die „Frage der Verteidigung unserer Bürger und Landsleute“. Die EU-Außenminister beraten bei einer Krisensitzung in Brüssel über die Lage auf der Krim.
Im vergangenen Jahr genehmigte die BAFA den Export von Waffen und so genannten Dual-Use-Gütern, die etwa in der Waffenproduktion eingesetzt werden können, im Wert von rund 400 Millionen Euro. In diesem Jahr dürfte es ein Bruchteil dieser Summe werden.
Zwar sind aktuell Genehmigungen im Wert von insgesamt 150 Millionen Euro erteilt. Kritische Geschäfte wie etwa die Fertigstellung eines Übungszentrums für die russische Armee durch Rheinmetall versucht die Regierung zu bremsen. Noch offene Genehmigungen aus dem laufenden Jahr belaufen sich auf 2,5 Millionen Euro.
Zweitgrößter Waffenexporteur
Die Liefersummen erscheinen nicht gerade groß. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Russland sich in den vergangenen Jahren zum zweitgrößten Waffenexporteur aufgeschwungen hat. Jährlich liefern russische Panzerschmieden und Flugzeugfabriken Kriegsgerät im Wert von 15 Milliarden Dollar. Die Auftragsbücher von Rosoboronexport, dem für Rüstungshandel zuständigen Staatskonzern, sind mit rund 50 Milliarden Dollar prall gefüllt.
In den vergangenen zehn Jahren konnte Russland seine Exporte vervierfachen. „Das liegt vor allem am wachsenden Waffenbedarf, aber auch an der staatlichen Unterstützung für die Rüstungsindustrie“, erklärt Ruslan Puchow,Direktor des Zentrums für Analyse von Strategien und Technologien in Moskau. Russland hat seine Rüstungsbranche in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Aufträgen gepeppelt und so die Produktion von modernen Waffen ermöglicht. 2013 stieg das Verteidigungsbudget des Landes auf etwa 70 Milliarden Dollar, vier Mal so viel wie 2003.
Russische Exportschlager
Die Einfuhr von tatsächlichen Kriegswaffen nach Russland ist dagegen minimal. Vor zwei Jahren bezifferte Rosoboronexport diese auf knapp 100 Millionen Dollar jährlich. So ist etwa aus Deutschland seit 2005 kein einziger Export von Kriegsgerät genehmigt worden. Die meisten Waffenexporten nach Russland machen dagegen Jagdgewehre und Handfeuerwaffen aus. Größere Deals, wie der heißdiskutierte Verkauf von zwei französischen Hubschrauberträgern, italienischen Geländewagen oder israelischen Dronen, sind eher die Ausnahme.
Anders sieht es dagegen beim Import von Komponenten oder von Maschinen aus, die für die Produktion von Waffen benötigt werden. Hier sind Einfuhren längst zur Norm geworden. So hat sich Russland in den vergangenen Jahren an die Top-10 der Exportmärkte für die französische Rüstungsindustrie herangepirscht. Frankreich lieferte etwa Wärmebild-Optik im Wert von 80 Millionen Dollar, die in russischen T-90 Panzern verbaut wird. Diese wiederum sind ein russischer Exportschlager im Geschäft mit Indien. Der russische Staatskonzern Rostec produziert zudem gemeinsam mit Sagem aus Frankreich Navigationssysteme für Flugzeuge. Diese kommen zum Beispiel in modernen Su-30 Jets, zum Einsatz, die ebenfalls weltweit begehrt sind.
Die Rüstungsweltmeister
Immerhin 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt Südkorea - ein Verbündeter der USA für seine Verteidigung aus. Konkret waren das im vergangenen Jahr 34,4 Milliarden US-Dollar (30,4 Milliarden Euro). Quelle: Internationales Institut für Strategische Studien.
Rund 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gab Deutschland zuletzt für die Bundeswehr aus. Der Verteidigungsetat lag 2014 nach IISS-Schätzung bei 43,9 Milliarden Dollar (38,8 Milliarden Euro).
Indien befindet sich in einer Dauerfehde mit seinem Nachbarn Pakistan. Ein Wettrüsten findet statt und treibt die Verteidigungskosten in die Höhe. Der Wehretat lag im vergangenen Jahr bei 45,2 Milliarden US-Dollar '(knapp 40 Milliarden Euro).
Japan gibt nur knapp einen Prozent seines Gesamthaushalts für die Verteidigung aus - das sind aber in absoluten Zahlen immerhin noch 47,7 Milliarden US-Dollar und damit der siebtgrößte Wert weltweit.
Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone stemmt den größten Verteidigungshaushalt innerhalb der Währungsunion. Mit einem Wehretat von 53,1 Milliarden US-Dollar (46,9 Milliarden Euro) liegt Paris deutlich vor den Deutschen.
Knapp 62 Milliarden US-Dollar (54,6 Milliarden Euro) nahmen die Briten im vergangenen Jahr in die Hand, um ihre Armee auszurüsten und zu bezahlen - kein europäischer Staat hatte einen höheren Verteidigungsetat.
Russland rüstet auf. Im vergangenen Jahr investierte Moskau 70 Milliarden US-Dollar in seine Truppen (= 61,9 Milliarden Euro).
Das ölreiche Land hatte im vergangenen Jahr einen Wehretat in Höhe von 80,8 Milliarden US-Dollar (das entspricht beim derzeitigen Umrechnungskurs rund 71,5 Milliarden Euro). Es ist der drittgrößte Militärhaushalt weltweit.
Dass sich die USA und China ein Duell um die neue Supermacht liefern, lässt sich auch an den Rüstungsausgaben ablesen. Direkt hinter den USA rangieren inzwischen die Chinesen. Ihr Wehretat betrug 2014 129,4 Milliarden US-Dollar (= 114,2 Milliarden Euro)
Meilenweit vorne bei den Militärausgaben liegen die Vereinigten Staaten von Amerika. Dem Verteidigungsministerium stand im vergangenen Jahr ein Budget von 581 Milliarden US-Dollar zur Verfügung (= 513,8 Milliarden Euro) - mehr als das Viereinhalbfache der Chinesen und mehr als das Dreizehnfache Deutschlands.
Als Achillesferse der Branche bezeichnen Experten zudem den Elektronikbereich. „Rund 50 Prozent der Mikroelektronik für die Rüstungsindustrie müssen importiert werden, während die eigenen Hersteller lediglich die Entwicklungen von gestern nachbauen“, kritisiert Alexander Larionow vom Ingeneurbüro Vympel, das sich auf Raketen spezialisiert.
Andere Experten schätzen die Abhängigkeit von ausländischer Elektronik im High-Tech-Bereich sogar auf 70 Prozent. Deutschland lieferte 2013 genehmigungspflichtige Elektronik im Wert von 20 Millionen Euro, ein Jahr davor waren es 60 Millionen.
Von Importen abhängig
Insbesondere die Krim-Krise hat das Problem der Importabhängigkeit in die russische Öffentlichkeit befördert. Denn die Ukraine war bisher Russlands größter Waffenlieferant. Nun hat Kiew den Export von Rüstungsgütern nach Russland untersagt. Dabei sind insbesondere die Hersteller von Hubschraubern, einem weiteren Exportschlager Russlands, zu 80 Prozent auf Antriebstechnik aus dem Nachbarland angewiesen.
Bereits im Frühjahr wurde die sogenannten Importsubstitution im Rüstungssektor zum Thema Nummer eins in Militärkreisen. Seitdem hat es immer wieder Gespräche auf höchster Ebene gegeben. Zur Zeit arbeite die Regierung an einem detaillierten Plan, erklärte kürzlich Dmitri Rogosin, der für die Rüstungsindustrie zuständige Vizepremier. Dieser soll schon bald Putin und der Regierung vorgelegt werden.
Schon jetzt ist klar, dass die russischen Hersteller sich wohl über einen weiteren Geldregen freuen dürfen. Doch während die Rüstungsindustrie jubelt, bleiben Experten skeptisch. Allein die russische Raumfahrtagentur beziffert die Kosten der Importunabhängigkeit in den kommenden vier Jahren auf eine Milliarde Dollar. „Theoretisch hat Putin natürlich Recht, dass Russland alles selber herstellen könnte“, meint auch der Militärexperte Alexander Golz. Die Kosten dafür dürften allerdings immens sein.