Der alte Recep Tayip Erdogan hat die türkischen Präsidentschaftswahlen gewonnen. Nach Auszählung fast aller Stimmen kam er auf 52,14 Prozent der Stimmen und lag damit deutlich vor seinem Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu, der 47,86 Prozent erreichte.
Die Strategie der Opposition in den vergangenen zwei Wochen, rechtsaußen auf Stimmenfang zu gehen, hat damit nicht funktioniert. Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu hatte Erdogan in einem Video kurz nach der ersten Runde vor zwei Wochen vorgeworfen, „zehn Millionen Flüchtlinge ins Land gebracht zu haben“. Diese müssten im Falle eines Wahlsiegs der Opposition umgehend die Türkei verlassen.
Der Wahlkampf war auch ein Lehrbuch-Beispiel dafür, wie gerne Politiker komplexe wirtschaftliche Probleme populistisch umdeuten. Die Botschaft: „Ohne die Flüchtlinge geht es allen Türken besser“ verfing bei vielen Wählern (allerdings nicht genügend für einen Wahlsieg). Für den sonst als sanft geltenden Kılıçdaroğlu war diese populistische Simplifizierung verlockender, als seine Wähler auf Härten vorzubereiten, die dem Land und seinen Menschen aufgrund der komplexen wirtschaftlichen Probleme wohl bevorstehen.
An den Märkten haben sich Investoren längst auf den nächsten Abwärtsrutsch der türkischen Lira vorbereitet. Die relative Stärke der Währung – der Kurs der Lira blieb in den vergangenen drei Monaten stabil zu US-Dollar und Euro – war zustande gekommen, weil die türkische Zentralbank immer wieder mit Stützungskäufen interveniert hatte. Die Zentralbank-Reserven hatten im Mai erstmals seit 2002 einen negativen Wert erreicht. Erste Banken hatten Ende vergangener Woche bereits begonnen, den US-Dollar mit 22 Lira zu bewerten, anstatt wie offiziell mit 20 Lira. Erdogans Antwort auf die Misere: Er hatte vergangene Woche angekündigt – mal wieder – Milliarden aus Katar, China und Südkorea zu bekommen. Eine kurzfristige Medizin, die das eigentliche Problem nicht beseitigt. Der türkische Leitzins nämlich verharrt weiterhin bei 8,5 Prozent – während die Preissteigerungen längst im hohen zweistelligen Bereich angekommen sind.
Nötig – und von viele Investoren erhofft – wäre indes eine Rückkehr zur orthodoxen Zinspolitik, sprich eine starke Anhebung der Zinsen.
Die kurzfristigen Folgen aber wären erst einmal katastrophal für die türkische Wirtschaft: Zahlungsausfälle, Unternehmenspleiten, Arbeitslosigkeit – bei Nahrungsmittelpreisen, die für Millionen Menschen ohnehin zu hoch sind. Die Opposition hätte also die undankbare Aufgabe gehabt, die Misere, die die AKP-Regierung in den vergangenen Jahren verursacht hat, zu beseitigen. Es wäre erstmal schlimmer geworden, bevor es hätte besser werden können. Dass Kılıçdaroğlu lieber auf populistische Anti-Flüchtlingsrhetorik gesetzt hat, mag aus Wahlkampf-Strategie nachvollziehbar sein. Es zeigt aber eben auch, wie verfahren und komplex die Situation dieses ohnehin schon so vielschichtigen Landes ist. Hier der autoritäre Verführer, dort der sanfte Demokrat – dieses Muster ist für Beobachter leicht zu verdauen, wird der Komplexität des Landes aber nicht gerecht.
Einen einfachen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere gibt es nicht. Mit einem erneuten Wahlsieg Erdogans aber ist die Chance auf einen Neuanfang vertan. Stattdessen wird sich die Casino-Mentalität, die sich in den vergangenen Jahren in der türkischen Wirtschaftspolitik festgesetzt hat, fortgeführt: Hier ein paar Milliarden aus Katar, dort ein bisschen Poker um Waffensysteme mit den USA, und beim Flüchtlingsdeal mit der EU lassen sich vielleicht auch noch ein paar Vorteile für Ankara herausschlagen. Sich durchwursteln, in der Hoffnung, dass Gott es irgendwann schon richten wird.
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