
Dass es langsam ernst wird, das wissen die Taiwaner spätestens seit Dezember. Ein Monat vor der Präsidentenwahl des Landes erklärte der chinesische Chiphersteller Tsinghua Unigroup, dass er rund 1,8 Milliarden Euro in mehrere der größten Halbleiter-Unternehmen Taiwans investieren wolle. Die Insulaner waren fassungslos.
Die Halbleiter-Industrie ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Taiwans und ganzer Stolz des Landes. Dort wird geschafft, was sonst auf Taiwan fehlt: Innovation. Die taiwanesische Wirtschaft ist vor allem von Unternehmen wie Foxconn geprägt, die für ausländische Auftraggeber IT-Produkte herstellen. Das macht Taiwans Wirtschaft stark von der Weltwirtschaft abhängig und lässt es nun unter dem sinkenden Wachstum in China leiden, wo viele taiwanesische Unternehmen produzieren.
Spätestens seit dem Vorstoß der Tsinghau Group wissen die Taiwaner zudem, dass China bald nicht nur ein Standort für die taiwanesischen Unternehmen ist, sondern auch Konkurrent. Um auf diese Entwicklungen zu reagieren, will die am vergangenen Samstag bei den Präsidentschaftswahlen gewählte designierte Präsidentin Tsai Ing-wen in den kommenden vier Jahren den Umbau der taiwanesischen Wirtschaft vorantreiben.
Um die eigene Innovationskraft zu stärken, will die ehemalige Juraprofessorin vor allem fünf Industriebereiche fördern: grüne Energie, nationale Verteidigung, das Internet der Dinge, intelligente Präzisionsmechanik und Biotechnologie. Für Letzteres hat sie Chen Chien-Jen zu ihrem Stellvertreter gemacht, einem Epidemiologen aus Taiwan, der unter anderem für seine Arbeit während des Ausbruchs der SARS-Epidemie in Taiwan bekannt ist.
Um die bereits bestehenden Synergien zu nutzen, sollen an verschiedenen Standorten Cluster zu den unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten aufgebaut werden. Um frische Ideen abseits der Unternehmerriesen zu fördern, ist zudem ein Start-up-Viertel in Taoyuan geplant, einer Stadt in der Nähe von Taipei, indem ein asiatisches Silicon Valley entstehen soll.





Ganz neu sind die Pläne von Tsai zum Umbau der Wirtschaft nicht. Einige der angekündigten Maßnahmen wurden bereits von der Regierung unter Präsident Ma Ying-jeou angestoßen. Die vergangenen acht Jahre waren aber vor allem von der Annäherung und der Entwicklung wirtschaftlicher Beziehungen mit China geprägt. Gegen diese Politik gingen im vergangenen Jahr aber Hunderttausende auf die Straße.
Vielen ist der Einfluss aus Peking nicht geheuer, zudem haben die engeren Beziehungen mit China die wirtschaftliche Situation der Menschen kaum verbessert. Vor allem junge Menschen leiden unter fehlenden Jobchancen. „Die Globalisierung hat eine Wohlstandslücke zwischen die junge und ältere Generation gerissen. Junge Menschen sind über ihre fehlenden Zukunftschancen frustriert“, sagt Lin Jih-wen, Direktor des Institute of Political Science Academica.
Während der Regierungswechsel unter jungen Menschen in Taiwan gefeiert wird, zeigt sich Peking wenig begeistert. China betrachtet den Inselstaat immer noch als eigene Provinz. Das Land will deshalb ein klares Bekenntnis zum Konsens von 1992 aus Taipei. In diesem hatten sich die Länder darauf geeinigt, dass es nur ein China gebe, das aber von beiden Parteien unterschiedlich definiert werde. Tsai hatte im Wahlkampf Äußerungen zu diesem Thema bewusst vermieden, um keine Wählerstimmen zu verlieren, die die Nähe zu China kritisch sehen.
Die chinesische Zeitung Global Times, die als Sprachrohr der Zentralregierung in Peking gilt, warnte Tsai einen Tag nach der Wahl, dass Taiwans Möglichkeiten in den Beziehungen zu China limitiert seien. Alles andere als ein klares Bekenntnis sei ein gefährlicher Weg, der nur in eine Sackgasse führen könne.