
Sydney Buchstäblich jede Minute könnte in diesen Tagen der vor der neuseeländischen Küste auf ein Riff gelaufene Frachter Rena auseinanderbrechen. Seit Anfang Oktober droht das Containerschiff, seine Ladung tödlichen Treibstoffs in das Naturparadies der Bucht von Plenty zu ergießen.
Das Schweröl ist zwar inzwischen weitgehend abgepumpt. Bei einem Versinken des Schiffes würden aber Hunderte von Containern ins Meer zu fallen und mit ihrem zum Teil giftigen Inhalt unberührte Strände verschmutzen.
Zweifelsohne sofort zur Stelle, um seine Hilfe anzubieten, wäre John Key. Der Premierminister dürfte es sich selbst am Wahltag nicht nehmen lassen, vor laufenden Fernsehkameras zu sein, was ihm zum Titel des derzeit populärsten Regierungschefs der Welt verholfen hat: Key ist für viele Neuseeländerinnen und Neuseeländer der „Vater der Nation“, eine Schulter zum Anlehnen.
Der 50-Jährige kann sich auch an seinem Schicksalstag einen Ausflug an den Strand leisten. Seine Wiederwahl ist ihm sicher. Stimmen die Umfragen, wird seine 2008 an die Macht gekommene Nationalpartei ihre Position zur Alleinherrschaft im 120 Sitze zählenden Einkammerparlament ausbauen können, statt mit Hilfe der Maori Partei, ACT und United Future zu regieren, deren Unterstützung Key vor drei Jahren aushandeln musste.
Nichts scheint dem ehemaligen Londoner Devisenhändler etwas anhaben zu können. Viele „Kiwis“, wie sich die Neuseeländer nach ihrem Nationalvogel nennen, zeigen sich beeindruckt, wie Key das Land relativ unbeschadet durch die globalen Finanzturbulenzen der letzten Jahre gesteuert hat.
Es ist aber seine offene und zugängliche Art, die er im letzten Jahr nach gleich mehreren Katastrophen demonstriert hatte, und die ihm selbst unter politischen Feinden heimliche Bewunderer geschaffen hat. Nach einer tödlichen Explosion in einer Kohlemine bewies Key ehrliches Mitgefühl für die Angehörigen der 29 Opfer, deren Leichen noch immer in der Grube verschollen sind.
Nach dem Erdbeben in Christchurch, bei dem im Februar 181 Menschen ums Leben kamen und das Zentrum der zweitgrößten Stadt Neuseelands zerstört worden war, übernahm Key sofort kompetent die Koordination der Rettungs- und Wiederaufbauarbeiten. Und nach dem Auflaufen der Rena tröstete er Anwohner, die sich vor einer Ölkatastrophe fürchteten.
Viele Kritiker waren überrascht, dass Key, der vor seiner politischen Karriere unter Kollegen als besonders kaltschnäuziger Investmentbanker bekannt war, zu so viel „Emotionaler Intelligenz“ fähig ist. Einige Beobachter führen dieses Attribut darauf zurück, dass der Politiker in einfachen Verhältnissen als Sohn einer alleinerziehenden Putzfrau in einer Sozialwohnung in Christchurch aufgewachsen war. Die 1939 aus Österreich geflohene Jüdin hatte ihren Mann verloren, als John Key sieben Jahre alt war. Die 1939 aus Österreich geflohene Jüdin hatte ihren Mann durch Herzinfarkt verloren, als John Key sieben Jahre alt war.
Gegenkandidat Goff: Key will „Familiensilber“ verkaufen
John Keys Popularität ist umso faszinierender, weil er völlig unpopuläre Maßnahmen in Aussicht gestellt hat, um das seit 2008 steigende Defizit in der Staatskasse zu reduzieren. So will er die eskalierende Zahl der Wohlfahrtsbezieher von gegenwärtig 328.000 um 46.000 reduzieren und gleichzeitig den Vormarsch der Armut in die neuseeländische Gesellschaft bremsen.
Vor allem unter jungen Neuseeländern steigt die Mittellosigkeit an, ebenso die Arbeitslosenrate. Wer künftig eine Rente will, soll sich wenn immer möglich zu Arbeit verpflichten oder weiterbilden.
Mit einem Wahlsieg holt sich Key auch ein Mandat für den Verkauf von Minderheitsanteilen an vier staatlichen Elektrizitätswerken und für eine Reduktion des 75-prozentigen Anteils an der nationalen Fluglinie Air New Zealand auf 51 Prozent.
Dass etwas geschehen muss, ist für Kommentatoren wie den konservativen Neuseeland-Analysten Luke Malpass klar. „Im Verlauf der letzten zehn Jahre sind die Ausgaben der Regierung von 34,5 Mrd. auf 70,5 Mrd. neuseeländische Dollar gestiegen“, sagt er. Der mit Abstand größte Anteil der öffentlichen Gelder floss ins Sozial- und Wohlfahrtsystem.
Der Anteil des Staates an der wirtschaftlichen Gesamtleistung stieg von 35 auf 45 Prozent. Im laufenden Jahr liegt diese Zahl wegen der massiven Wiederaufbaukosten nach dem Erdbeben in Christchurch sogar bei 49,9 Prozent. Gleichzeitig blieben die Einkünfte aus Steuern statisch.
Dem konservativen Key gegenüber steht Labour-Führer Phil Goff. Dieser kritisiert den Premier, weil er mit den Privatisierungen das „Familiensilber“ der Nation verkaufen wolle. „Wer seinen Haushalt in Ordnung bringen will, soll nicht seine am besten rentierenden Anlagen verkaufen“, so der 58-Jährige am Freitag.
Goff geht mit dem Vorschlag für die Einführung einer Kapitalgewinnsteuer – nicht auf Eigenheime allerdings – ins Rennen sowie eine Erhöhung des Steuersatzes für gut Verdienende. Auch soll das Rentenalter von 65 auf 67 erhöht werden.
Doch Labour hat damit wenig Erfolg: In Umfragen erhält die Partei nur 28 Prozent der Stimmen, weit hinter den Nationalen mit 51 Prozent. Die Grünen dagegen könnten es auf 12 Prozent schaffen und für Key ein Problem werden. Sie haben klar gemacht, dass sie einen Sieg von Labour bevorzugen würden.
Exodus der „Kiwis“
Auch eine Möglichkeit ist, dass ihm die nationalistische NZ First einen Strich durch die Rechnung macht, wenn sie unter dem neuseeländischen Wahlrecht – einer Kombination aus Verhältnis- und Persönlichkeitswahlrecht – die 5-Prozent-Hürde schafft oder direkt einen Parlamentarier stellen kann.
Die größte Sorge des Premiers allerdings wird bleiben, den Exodus der Bevölkerung zu stoppen, unter dem das Land seit Jahren leidet. 100.000 meist gut ausgebildete „Kiwis“ haben sich alleine seit seinem Amtsantritt ins benachbarte Australien abgesetzt, wo bessere Gehälter und berufliche Möglichkeiten locken.
Das soll sich laut Key bald ändern. Sein Schatzkanzleramt rechnet bis zum Ende des Finanzjahres im Juni 2012 mit mehr als einer Verdoppelung des wirtschaftlichen Wachstums – auf 3,3 Prozent von 1,5 Prozent im letzten Jahr. Ein wesentlicher Teil des Anstiegs wird allerdings dem Wiederaufbau von Christchurch zu verdanken sein.
Ein wesentlicher Teil des Anstiegs wird allerdings dem Wiederaufbau von Christchurch zu verdanken sein. Mindestens so stimulierend für die Volkswirtschaft ist jedoch der jüngste Sieg Neuseelands im Rugby-Weltcup. Die Vergangenheit zeigt: wenn die als Helden verehrten Spieler der „All Blacks“-Nationalmannschaft viele Tore spielen, ist ein Konjunkturaufschwung nur noch eine Frage der Zeit. Nach diesem „Annus Horribilis“ – diesem Horrorjahr – hat der Cup-Gewinn die Wirkung einer Vitaminspritze für das ganze Volk.