Wahlkampf in Frankreich Fillon kämpft ums Comeback

Der angegriffene konservative Präsidentschaftskandidat schaltet trotz des Finanzierungsskandals in den Angriffsmodus. Er will seinem sozialliberalen Konkurrenten Macron Stimmen abgreifen – und wirft ihm vor, „unpatriotisch“ zu sein.

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Emmanuel Macron: Er soll als ein Kandidat ohne patriotisches Rückgrat erscheinen. Quelle: Reuters

Paris Frankreichs konservativer Kandidat zur Präsidentschaft, François Fillon, hat die Chance, trotz des Skandals um die Finanzierung seiner Familie über Gelder der Nationalversammlung erfolgreich an der Wahl am 23. April und 7. Mai teilzunehmen. Obwohl immer neue Details der Affäre ans Licht kommen und Fillon mehrfach nachgewiesen wurde, dass er öffentlich die Unwahrheit gesagt hat, wird die Justiz voraussichtlich nicht mehr vor der Wahl Anklage gegen ihn erheben – falls es überhaupt dazu kommt.

Davon sind mittlerweile nicht nur die engsten Anhänger des früheren französischen Premierministers überzeugt. Fillon kommt eine seit Jahrzehnten geltende Tradition zugute: Die Justiz greift kurz vor der Präsidentschaftswahl nicht mehr in das Geschehen ein. Ein Zeitraum von ungefähr sieben Wochen vor der Wahl gilt als Karenzperiode, in der keine wahlrelevanten Entscheidungen mehr getroffen werden. Andernfalls hätten die Konservativen möglicherweise keinen Kandidaten mehr oder die Wahl müsste sogar verschoben werden.

Bis zum ersten Wahlgang bleiben aber nur noch neun Wochen. Die Staatsanwaltschaft für finanzielle Delikte, die das Untersuchungsverfahren gegen Fillon leitet, hat vor ein paar Tagen bekannt gegeben, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Entscheidung trifft und ihre Arbeiten fortführt. Selbst wenn sie nun umgehend einen Ermittlungsrichter beauftragen würde, müsste der sich in die gesamte Materie einarbeiten und dann entscheiden, ob er Fillon unter Anklage stellt. Das ist innerhalb von zwei Wochen nicht zu bewerkstelligen. Danach aber fällt der Konservative, der fast eine Million an Steuergeldern in die Kasse seiner Familie abgezweigt haben soll, unter den Schutz der juristischen Schonzeit.

„Von Macron werden wir Stimmen zurückerobern“

Mit neuer Hoffnung  führt der schwer angeschlagene Ex-Premier nun seinen Wahlkampf fort. Wie ein Mitarbeiter aus seinem engsten Kreis dem Handelsblatt sagt, verfolgt er in den nächsten Wochen zwei Ziele: Einerseits will Fillon verhindern, dass weitere Wähler aus dem konservativen Spektrum zur rechtsextremen Marine Le Pen abwandern. Stimmen von ihr zurückzuholen, hält man zum jetzigen Zeitpunkt für eher unrealistisch.

Anders sieht es in der Mitte aus, wo der sozialliberale Emmanuel Macron an Fillon  vorbeigezogen war. „Von Macron werden wir Stimmen zurückerobern“, ist sich der Fillon-Getreue sicher. Offenbar hat die Truppe des Konservativen bereits ein umfangreiches Arsenal an Vorwürfen gegen Macron vorbereitet. „Wir werden nachweisen, dass Macron der Kandidat einer internationalen Wirtschaftselite ist, für die wirtschaftlicher Patriotismus nichts bedeutet.“

Macron und Seinesgleichen sähen „Frankreich als ein Land, das nur noch im Ausland erzeugte Produkte konsumieren soll.“ Es lasse sich Punkt für Punkt nachweisen, dass Macrons Entscheidungen zur Vernichtung von Arbeitsplätzen in Frankreich geführt hätten. Schon durch seine Arbeit bei der Investmentbank Rothschild sei ist zum Abbau von Jobs in Frankreich gekommen. Macron beriet damals Nestle, die Schweizer schafften im Kampf mit Danone die Übernahme der Kindernahrung von Pfizer – Danone hatte das Nachsehen. Durch den von Macron bewerkstelligten Nestle-Sieg seien in Frankeich Danone-Arbeitsplätze verloren gegangen. Dieses Muster habe sich später so fortgesetzt: Stets sei für Macron das internationale Geschäft wichtiger gewesen als das französische.

Die Linie ist klar: Macron soll als ein Kandidat ohne patriotisches Rückgrat erscheinen.


Die Auseinandersetzung wird härter

Die Art des Angriffes zeigt, dass die Wahlkampagne in Frankreich nun in die heiße Phase gelangt und die Auseinandersetzung deutlich härter und persönlicher wird. Fillon hat bereits einen Vorgeschmack davon erlebt, allerdings durch eigenes Verschulden, Nun könnte sich das Feuer auf Macron konzentrieren. Der wurde in der vergangenen Woche bereits von der Rechten heftig angegriffen, weil er die französische Kolonisierung von Algerien als ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet hatte, und das auch noch, als er zu einem Besuch in Algerien weilte.

Kolonialverwaltung und Algerienkrieg sind in Frankreich nach wie vor eine offene Wunde. Große Teile der Rechten finden, die Kolonisierung sei ein uneigennütziges zivilisatorisches Werk gewesen. Die extreme Brutalität, die damit und mit dem folgenden Unabhängigkeitskrieg verbunden war, übersehen sie oder lasten sie den Unabhängigkeitskämpfern an. Seit Jahrzehnten ist bekannt, zu welchen Exzessen es gekommen ist, und auch gemäßigte Vertreter der Linken wie der im vergangenen Jahr verstorbene Michelle Rocard haben sie in aller Schärfe kritisiert.

Der französische Historiker Benjamin Stora  erinnert daran, dass durch Kolonialisierung und Krieg mehr als zwei Millionen algerische Bauern vertrieben worden und tausende verhungert seien. Sogar die frühere konservative Ministerin Rama Yade gab zu, das die französische Kolonialisierung von Afrika „ein Grauen“ gewesen sei. „Ich würde es aber ein Verbrechen gegen die Menschheit nennen und nicht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, sagte sie der Tageszeitung „Le Figaro“.

Nicht der letzte Schwenk im französischen Wahlkampf

Macron ist in den vergangenen Tagen in den Umfragen leicht zurückgefallen, eine Befragung von Samstag sieht Fillon sogar gleichauf mit ihm. Noch immer hat Macron kein detailliertes Programm vorgelegt, auch wenn die einzelnen Vorschläge, die er zu Themenkomplexen vom Arbeitsmarkt über die Bildung bis zur inneren und äußeren Sicherheit gemacht hat, schon so etwas wie ein Programm ergeben. Es fehlen noch der Nachweis der Finanzierbarkeit und eine budgetäre Linie für sein Programm.

In den französischen Medien mehren sich die Stimmen, die davon ausgehen, dass seine Wahl-Dynamik nun an eine Grenze stoße. Klar scheint zu sein, dass Fillons Affäre und sein Versuch, Macron nun zu verdrängen, nicht der letzte Schwenk in diesem an Wendungen reichen Wahlkampf sind.

Erst sehr spät wird sich entscheiden, wer von den aussichtsreichsten Kandidaten Le Pen, Fillon, Macron und möglicherweise Benoit Hamon (Sozialist) es in  den zweiten Wahlgang schafft. Die Entscheidung zwischen Fillon und Macron könnte von wenigen zehntausend Stimmen abhängen. In den vergangenen Präsidentschaftswahlen hat sich ähnlich wie in Deutschland die Tendenz bemerkbar gemacht, dass sich die Wähler erst sehr spät entscheiden.

In Frankreich ist der Trend möglicherweise noch ausgeprägter. In Fillons Lager sagt man dazu, es sei oberflächlich, den Demoskopen vorzuwerfen, dass sie sich täuschen. Durch die raschen Meinungsumschwünge in der Wählerschaft und die späte Festlegung auf einen Kandidaten sei es deutlich schwieriger geworden, mit einer Prognose nahe am tatsächlichen Ergebnis zu liegen. „Die Wahl entscheidet sich in den letzten 96 Stunden davor, das ist mittlerweile klar, deshalb muss man bis zuletzt am Ball bleiben“, sagt der Fillon-Mitarbeiter.

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