
Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan wird der erste direkt gewählte Präsident in der Geschichte des Landes. Der 60-jährige Konservative sicherte sich am Sonntag im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit und muss deshalb nicht zu einer Stichwahl antreten. Anhänger seiner AK-Partei fuhren in hupenden Autokonvois mit wehenden Fahnen durch die Straßen der Hauptstadt Ankara, als das türkische Fernsehen berichtete, dass Erdogan 51,8 Prozent der Stimmen ergatterte und damit 13 Prozentpunkte mehr als sein wichtigster Rivale.
Der Vorsitzende der Wahlbehörde bestätigte den Sieg Erdogans. "Das Volk hat seinen Willen kundgetan", erklärte Erdogan. "Wir beenden eine Ära und schreiten fort in eine neue." Kritiker fürchten, dass der neue Präsident einen zunehmend autoritären Staat formen wird.
Die wichtigsten Fakten zum Wahlprozess in der Türkei
Rund 53 Millionen Menschen sind berechtigt an der Wahl teilzunehmen. Es gibt rund 160,000 Wahllokale im Land. Rund 2,8 Millionen Auslandstürken - etwa die Hälfte davon in der Bundesrepublik - konnten ihre Stimmen zwischen dem 31. Juli und dem 3. August in den türkischen diplomatischen Vertretungen ihrer Länder abgeben. Allerdings waren weniger als 250.000 dafür registriert.
Am Wahltag dürfen die Türken keine Schusswaffen trage. Zudem ist der Verkauf von Alkohol verboten, um das Risiko von Gewalt zu minimieren. Den Medien ist es verboten, zehn Tage vor der Wahl Meinungsumfragen zu veröffentlichen, um eine Beeinflussung der Wähler zu verhindern.
In der Türkei gibt es nach dem Verlassen des Wahllokals keine Wählerbefragung. Es ist verboten, Ergebnisse zu veröffentlichen, bis es der Oberste Wahlvorstand erlaubt - gewöhnlich wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale.
Große Medien entsenden Reporter zu jedem Wahllokal. Auch Offizielle der Parteien sind in den Wahllokalen, um eigene Hochrechnungen zu erstellen. Die ersten Ergebnisse unterscheiden sich häufig stark und sorgen so für Durcheinander, bis der Wahlvorstand die ersten Zwischenergebnisse bekanntgibt. Das ist für Montag vorgesehen. Die Endresultate sollen am 15. August veröffentlicht werden.
Falls keiner der Kandidaten am Sonntag eine absolute Mehrheit erzielt, wird es am 24. August zwischen den beiden Spitzenleuten eine Stichwahl geben.
Kritiker monieren, der Wahlkampf sei einseitig zugunsten von Erdogan ausgefallen. Seine Position habe er ausgenutzt, die Medien zu dominieren. Offizielle Eröffnungen wie die der Hochgeschwindigkeitsstrecke für Züge zwischen Ankara und Istanbul wurden zu Wahlkundgebungen: Erdogans Ansprachen wurden in ganzer Länge vom Fernsehen übertragen.
Delegationen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie des Europarats sollen die Wahl überwachen. Im März hatte es bei Lokalwahlen Vorwürfe wegen Unregelmäßigkeiten gegeben. Es gab Forderungen, an einigen Orten Neuauszählungen vornehmen zu lassen.
Ekmeleddin Ihsanoglu, der von einigen Oppositionsparteien unterstützt wird, hatte die hohe Zahl zusätzlicher Stimmzettel kritisiert. Internationale Beobachter hätten festgestellt, dass es circa 18 Millionen mehr Wahlzettel als Wähler gebe. Die türkische Wahlbehörde erklärte den Unterschied damit, dass die Stimmzettel in Schüben von jeweils 420 Exemplaren gedruckt und an die Wahllokale gesendet worden seien - auch wenn dort beispielsweise nur 30 Menschen registriert seien.
Erdogans wichtigster Rivale Ekmeleddin Ihsanoglu kommt den Fernsehberichten zufolge auf 38,5 Prozent der Stimmen und der linksgerichtete und pro-kurdische Selahattin Demirtas auf 9,7 Prozent. Die türkische Wahlkommission wird das Ergebnis der Wahl offiziell erst am Montag bekanntgeben. Es handelte sich um die erste direkte Wahl des Präsidenten in der Türkei, wo das Staatsoberhaupt bislang vom Parlament bestimmt wurde.
Geringe Wahlbeteiligung
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Erdogan strebt zwei Amtszeiten von je fünf Jahren an. Nach seinem Willen soll das Staatsoberhaupt, das bisher eher repräsentative Aufgaben hatte, mit neuen Befugnissen ausgestattet werden. Kritiker werfen Erdogan vor, das Land zu spalten und seine eigenen Anhänger zu bevorzugen. Erdogan sagte in seiner Siegesansprache, er wolle als Präsident eine neue Periode der sozialen Aussöhnung beginnen.
Zur Wahl waren etwa 53 Millionen Türken aufgerufen. Nach Einschätzung eines OSZE-Beobachters war die Beteiligung im Vergleich zur Kommunalwahl im März gering. Erstmals konnten auch im Ausland lebende Türken in ihren Gastländern ihre Stimmen abgeben. So waren in Deutschland Wahllokale in sieben Städten für die etwa 1,4 Millionen in der Bundesrepublik lebenden Türken eingerichtet worden. Die Stimmabgabe dort endete am vergangenen Sonntag. Danach wurden die Wahlurnen in die Türkei geflogen, wo die Stimmen ausgezählt werden.
Erdogan will Verfassung ändern
Der AKP-Chef wird vor allem von religiös-konservativen Türken unterstützt. Sie heben etwa die wirtschaftlichen Erfolge des Landes hervor, das Nato-Mitglied und EU-Beitrittskandidat ist. Kritiker beklagen dagegen, dass die Türkei unter Erdogan immer stärker von ihrer weltlichen Orientierung abrückt und Bürgerrechte beschnitten werden. "Man kann nur frei sein, wenn man ihn unterstützt. Er hat das Land wie niemand zuvor gespalten", sagte ein 46-jähriger Wähler in Ankara. Erdogan hat angekündigt, die Verfassung ändern zu wollen, um das Präsidentenamt mit neuen Befugnissen auszustatten. Bestehende Rechte will er voll ausnutzen, etwa die Ernennung des Regierungschefs.
In seinen Reden bezieht sich Erdogan immer wieder auf das Osmanische Reich, das nach dem Ersten Weltkrieg unterging und mit einer Republik ersetzt wurden, in der eine Trennung von Staat und Religion gilt. In den vergangenen Jahren hat der Islam aber an Bedeutung gewonnen. Manche Wähler loben Erdogan für seinen Glauben. "Er kämpft gegen die Ungerechtigkeit", sagte ein 42-jähriger Anhänger im Istanbuler Arbeiterviertel Tophane. So habe er anders als arabische Staaten im jüngsten Nahostkrieg die Stimme gegen Israel erhoben.
Die Opposition wirft Erdogan vor, hemmungslos seine Vorteile als Regierungschef auszunutzen. So habe der staatliche Sender TRT zwischen dem 4. und dem 6. Juli 533 Minuten über Erdogan berichtet und dreieinhalb Minuten über seinen wichtigsten Rivalen Ihsanoglu. Auch eine Delegation des Europarates monierte, Erdogan habe einen unverhältnismäßig großen Anteil an der Berichterstattung.