Waldbrände Kalifornien in Flammen – und am Limit

Mehr als zwei Dutzend Waldbrände lodern im US-Bundesstaat Kalifornien. Sie haben Tausende Menschen aus ihren Häusern getrieben. Quelle: dpa

Wald- und Flurbrände umzingeln das Silicon Valley. Es ist ein kalifornischer Albtraum: Ressourcen zur Brandbekämpfung reichen nicht aus. Staatsbudget und Infrastruktur sind marode. Wie geht es weiter im Hightech-Staat?

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In meiner Hauseinfahrt in Kalifornien sieht es derzeit so aus, als hätte es geschneit. Doch es ist Sommer, draußen sind über 30 Grad Celsius. Die vielen weißen Punkte in der Einfahrt? Es ist Asche. Herbeigetragen vom Wind, der die nahen Waldbrände anfacht. Es riecht verbrannt. Ein gelber Schleier hängt wie Nebel in der Luft und färbt die Sonne rot. Das Atmen fällt schwer.

Ausgelöst hat die Brände ein historischer Gewittersturm mit Tausenden von Blitzeinschlägen, der am Sonntag über Kalifornien getobt hatte. Im Westküstenstaat, dessen Wälder und Böden wegen der Hitze und jahrelanger Dürre knochentrocken sind, haben einige der fast 11.000 Blitze mindestens 367 Waldbrände entfacht. Die Bay Area, in deren Herzen das Silicon Valley liegt, ist nun vom Feuer umzingelt. Im Norden toben in den Weinbauregionen Napa Valley und Sonoma Brände. Im Süden schieben sie sich von Salinas, einer Stadt, die durch John Steinbecks Romane weltberühmt ist, heran. Im Westen zündelt es in den Santa Cruz Mountains und im Osten sind die Flammen so nah an die Silicon Valley Metropole San Jose herangekommen, dass ihre Außenbezirke evakuiert wurden. In unmittelbarer Nähe befindet sich das Tesla-Stammwerk in Fremont. In ganz Kalifornien sind bislang 1400 Quadratkilometer verbrannt – rund anderthalbmal die Fläche von Berlin. Die Fläche steigt stündlich, weil fast alle Feuer bislang nicht eingedämmt sind.

„Wir machen gerade Feuer durch, wie wir sie seit vielen, vielen Jahren nicht erlebt haben“, macht der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom den Ernst der Lage klar. Während in 2019 rund 4000 Brände registriert wurden, sind es in diesem Jahr bereits 6754. Newsom hat den Notstand ausgerufen.

Er musste in einer Pressekonferenz zugeben, dass die Ressourcen der kalifornischen Feuerwehr nicht mehr ausreichen. Auch Hilfe aus benachbarten Staaten und von privaten Löschspezialfirmen kann die Bresche nicht schließen. 6900 Feuerwehrleute sind derzeit in Kalifornien im Einsatz. Kleinere Feuer werden nur noch mit einem Löschflugzeug oder Helikopter bekämpft. Der Fokus liegt auf knapp zwei Dutzend Bränden, die zu entgleisen drohen. Und auf Bränden, die sich in der Nähe von Wohngebieten befinden.

Die kalifornische Feuerwehr setzt seit Jahrzehnten auch Freiwillige aus den Gefängnissen des Golden State als Helfer ein. Doch das ist momentan nur eingeschränkt möglich, weil Covid-19 in den überfüllten Einrichtungen besonders verbreitet ist. Entlassene Sträflinge wiederum, die in der Brandbekämpfung versiert sind, dürfen von der Feuerwehr wegen ihrer Vorstrafe nicht angeheuert werden.

Christine McMorrow, Sprecherin der kalifornischen Feuerwehrbehörde Cal Fire, nennt einen weiteren Engpass: „Wir dürfen nicht dahin kommen, dass nicht mehr reagiert werden kann, wenn jemand die örtliche Feuerwehr ruft“, sagt sie. Um das zu vermeiden, müssen Not-Reserven vorgehalten werden.

Vom Weißen Haus ist keine Hilfe zu erwarten. Präsident Trump wiederholte stattdessen bei einem Wahlkampfauftritt seine Forderung, dass die Kalifornier ihre Wälder besser säubern sollten. Statt Beistand und Unterstützung sinnierte er, dass die Kalifornier zahlen sollten, weil sie seit Jahren nicht auf ihn hören würden. Nur wenige Stunden nach Trumps Rede hat die US-Katastrophenschutzbehörde der Region Unterstützung zugesagt.

Die Brände sind ein bitterer Vorgeschmack darauf, was Kalifornien im Herbst bevorsteht. Denn normalerweise wüten dann die Waldbrände besonders stark. In den vergangenen Jahren wurden etliche, so wie auch der berüchtigte „Camp Fire“ Waldbrand vom November 2018, dem 85 Menschen zum Opfer fielen, durch mangelhaft gewartete Stromleitungen und Umspannstationen des Versorgers PG&E ausgelöst.

Seitdem schaltet der Versorger während Zeiten, wo die Hitze glüht und der Wind stark ist, einen Teil seines Netzes ab. Wie vorige Woche. Ohne die sonst übliche Warnung.

Diesmal allerdings nicht wegen Brandgefahr, sondern wegen der vielen hochgedrehten Klimaanlagen. Dadurch würde der Strom im Golden State angeblich nicht mehr ausreichen. Und bei der Hitzewelle können auch die Nachbarstaaten nicht aushelfen – analog zur Situation bei der Brandbekämpfung. Der Stromengpass liegt auch an mangelnder Übersicht über die tatsächlichen Kapazitäten der Kraftwerke. Eine Schlamperei, die bei so kritischer Infrastruktur nicht geschehen dürfte. Und eine Blamage für einen vermeintlichen Hightech-Vorreiter.

PG&E hat gerade einen Bankrott hinter sich, muss nun Entschädigungen an die Opfer der Waldbrände zahlen und seine seit Jahrzehnten vernachlässigte Infrastruktur überholen. Experten rechnen, dass der Strompreis, der ohnehin in Nordamerika am teuersten ist, noch weiter steigen wird.

Es ist ein weiterer Nackenschlag für die größte Volkswirtschaft der USA, die von der Pandemie ohnehin derzeit am stärksten gebeutelt ist. Mit Ausnahme von Apple, Google, Facebook und Netflix, deren Aktien neue Höchststände erreicht haben und ihre Geschäfte größtenteils digital managen können. Mitarbeiter von Google und Facebook können bis Mitte nächsten Jahres von zu Hause aus arbeiten.

Aber Kaliforniens Wirtschaft besteht nicht nur aus Tech-Industrie. Sie ist auch stark landwirtschaftlich geprägt. Beispielsweise von der örtlichen Weinindustrie. 90 Prozent der US-Weine stammen aus Kalifornien. Zwar wird das Gros im Central Valley, der Mitte Kaliforniens angebaut. Doch gerade die teuren Weine kommen aus Napa und Sonoma. Dort hat die Lese gerade begonnen und ist wegen der härteren Immigrationsbestimmungen und Covid-19 Auflagen dieses Jahr schon viel kostspieliger als sonst. Jetzt kommen noch die Brände hinzu.

Das US-Marktforschungsunternehmen bw166 prognostiziert, dass die US-Weinindustrie in diesem Jahr rund 5,9 Milliarden Dollar Umsatz einbüßen wird, fast zehn Prozent des Gesamtumsatzes. Ökonomen der Sonoma State University School of Business haben errechnet, dass die Einbußen zehntausende von Arbeitsplätzen kosten werden, davon ungefähr 16.000 direkt in der kalifornischen Weinbranche.

Dies wird ein weiteres Loch von ungefähr von knapp 500 Millionen Dollar durch entgangene Steuern und Abgaben ins kalifornische Staatssäckel reißen. Ganz zu schweigen von den zusätzlichen Mitteln für Arbeitslosigkeit.

Der Exodus aus Kalifornien läuft

Als Newsom im Januar 2019 sein Amt als kalifornischer Gouverneur antrat, stand er unter dem Druck, das von seinem Vorgänger Jerry Brown für schwere Zeiten anlegte Finanzpolster auflösen zu müssen. Es sei viel zu groß, hieß es nicht nur bei den Republikanern, sondern auch in der eigenen Partei.

Dank boomender Digitalwirtschaft und Aktienmärkten war das Finaznpolster auf 21 Milliarden Dollar angewachsen. Nun ist es dahin. Eine Pandemie hatte niemand einkalkuliert.

Das Defizit in diesem Haushaltsjahr wird nun auf mindestens 54 Milliarden Dollar geschätzt. An noch höheren Abgaben und Einschränkungen von Leistungen wird der Staat nicht vorbeikommen. So soll die kalifornische Einkommenssteuer, die zusätzlich zur US-Einkommenssteuer anfällt, in der Spitze von 13,3 Prozent auf 16,8 Prozent erhöht werden.

In der Diskussion ist außerdem eine Sondersteuer von 0,4 Prozent auf Vermögen von mehr als 30 Millionen Dollar. Sie würde rund 30.000 Kalifornier treffen. „Wir kalkulieren mit Einnahmen von 7,5 Milliarden Dollar“, so ihr Initiator, der Abgeordnete Rob Bonta, der Oakland im kalifornischen Landesparlament vertritt. Um Kapitalflucht vorzubeugen – der Nachbarstaat Nevada etwa hat keine eigene Einkommenssteuer – soll die Abgabe auch beim Wegzug erhoben werden, auf einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren.

Die Legalität ist umstritten. Ebenso die Fragen, wie das Vermögen berechnet und die Summen eingetrieben werden sollen. Schon heute verfolgen kalifornische Steuerbehörden ehemalige Einwohner, die zwar in andere Staaten gezogen sind, aber weiterhin für einen kalifornischen Arbeitgeber tätig sind. „Wir sind in einer Ausnahmesituation durch Corona“, argumentiert Bonta. Zudem hätten die Betroffenen schließlich die Möglichkeiten Kaliforniens genutzt, um ihr Vermögen aufzubauen.

Das Datenanalyse-Unternehmen Palantir, das derzeit seinen Börsengang plant, hat überraschend bekanntgegeben, seinen Hauptsitz von Palo Alto nach Denver im US-Bundesstaat Colorado zu verlegen. Tesla und Space X-Gründer Elon Musk droht regelmäßig, sich mit seinen Unternehmen nach Texas abzusetzen. Auch wenn Palantir-Chef Alex Karp schon lange die hohen Lebenshaltungskosten im Silicon Valley als Wettbewerbsnachteil kritisiert, dürften auch die Steuern eine Rolle spielen.

Der Exodus aus Kalifornien läuft. Im vergangenen Jahr wanderten erstmals seit der Finanzkrise mehr Kalifornier aus, als Neuankömmlinge zuzogen.

Viele davon sind Einwanderer, die von der Tech-Branche rekrutiert werden. Noch ist es kein Strom. Das kalifornische Finanzministerium beziffert die Wegzügler für 2019 auf 197.000, rund 150.000Zuzügler kamen in den Golden State. Doch der durch Corona ausgelöste Trend zum Homeoffice könnte den Wegzug verstärken. Zudem liegen viele Arbeitsvisa auf Eis. Oder werden nicht mehr neu vergeben.


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In den Immobilienpreisen zeigt sich das bislang nicht. Zwar haben diese in San Francisco nachgegeben. Aber hauptsächlich bei kleineren Apartments, in denen selten Platz für ein Arbeitszimmer ist. Freistehende Häuser, noch dazu mit Garten, sind weiterhin Mangelware. Wer von zu Hause aus arbeiten kann, zieht deshalb in günstigere und weniger besiedelte Gegenden.

Am Lake Tahoe, einem majestätischen Bergsee, rund vier Autostunden von San Francisco entfernt, sind die Flüchtlinge aus der Bay Area wie Heuschrecken eingefallen. Immobilien sind knapp, es gibt Bietergefechte.

In Boise, im US-Bundesstaat Idaho wird Neuankömmlingen aus dem Golden State geraten, ihre kalifornischen Nummernschilder an den Autos möglichst schnell auszutauschen. Die Einheimischen sind der Konkurrenz satt und fürchten, dass sich die liberale Politik der Bay Area in ihrem mehrheitlich konservativen Landstrich verfängt. „Es sind Invasoren“, hatte Wayne Richey während des Bürgermeisterwahlkamp von Boise gehetzt; und versprochen, eine Mauer zu bauen. Der politische Außenseiter scheiterte zwar kläglich. Doch die Stimmung bleibt angespannt.

Die Kalifornier kämpfen derweil neben löchriger Infrastruktur mit weiteren Herausforderungen. Viele Versicherer kündigen derzeit Feuerpolicen und führen das hohe Risiko durch Waldbrände an. In den Regionen, in denen in den vergangenen Jahren Feuer tobten, dürfen sie das zwar bis Jahresende nicht tun, dank eines von der kalifornischen Regierung verhängten Moratoriums.

Dafür schlagen sie nun in den anderen Regionen zu. Als letzter Notnagel für Gekündigte dient eine vom Staat stabilisierte Versicherung, die allerdings teuer ist und Schadenssummen deckelt. Ähnlich wie die Erdbebenversicherung, die ebenfalls vom Staat gestützt wird. Viele Kalifornier sind nicht gegen Erdbeben versichert. Nicht nur, weil die Versicherung so teuer ist. Sie ist – im Gegensatz etwa zu einer Gebäudeversicherung – nicht von den Banken vorgeschrieben.



Immobilienmakler raten oft von ihr ab. Mit der Begründung, dass bei einem besonders verheerenden Erdbeben die Versicherung ihre Leistungen ohnehin nicht erfüllen kann, weil die Gelder dafür nicht ausreichen.

Der kalifornische Staat hatte im vergangenen Jahr eine große Werbekampagne für die Erdbebenversicherung gestartet. Doch die ist mittlerweile verpufft. Weil es 2019 mehrere größere Erdbeben gab, sind die Versicherungssummen für dieses Jahr verdoppelt worden. Und da es schließlich 2020 ist, wie es mittlerweile oft zynisch heißt, wäre ein massives Erdbeben als weitere Laune der Natur nicht verwunderlich. Es ist schließlich seit über 30 Jahren überfällig.

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