Wie unterscheidet sich diese Propaganda von jener der Sowjetunion?
Sie ist professioneller und effektiver. Denn heute kommt hinzu, dass die Russen ein schwerer Minderwertigkeitskomplex plagt. Den Untergang der Sowjetunion haben viele nicht als Befreiung, sondern als nationale Demütigung erlebt – zumal die folgenden „demokratischen“ Jahre mit Chaos und dem wirtschaftlichen Abstieg verbunden waren. Wladimir Putin gibt den Russen ihr Selbstwertgefühl zurück...
...und spielt dabei den Rambo der internationalen Politik, der sich an keine Regeln hält.
Rowdytum kommt in Russland gut an, denn es steht für Russlands neue Stärke. Es gibt in Russland kein Verständnis für internationale Regeln. Intuitiv wertet man das Völkerrecht als selektiv angewandtes Instrument des Westens. Die einzig gültige Kategorie für die Russen ist Stärke. Das ist ein ernsthaftes Problem, das man auch im Westen noch nicht verstanden hat: Die Bevölkerung kann mit ihren Erwartungen die Politik vor sich hertreiben.
Hilft diese Stimmung Putin, sich auf Dauer an der Macht zu halten?
Lange Zeit basierte die Unterstützung des Putin-Regimes auf dessen ökonomischen Erfolgen. Bis 2008 herrschte hohes Wirtschaftswachstum, was mit steigenden Zustimmungsraten einherging. Seither hat sich das Wachstum deutlich abgeschwächt, die russische Wirtschaft stagniert und hilft Putin kaum mehr, seine Macht zu zementieren. Darum bedient sich das Regime jetzt der Sowjetmythen und unterdrückt möglichen Widerspruch mit repressiven Gesetzen. Aber irgendwann wird es nicht mehr ausreichen, niedriges Wachstum mit Patriotismus und Propagandaillusionen zu kaschieren. Die Zustimmungsraten für Putin können ebenso schnell wieder sinken, wie sie seit Februar gestiegen sind.
Könnten die Sanktionen des Westens dazu beitragen?
Paradoxerweise ist die Angst vor Sanktionen im August niedriger, als sie im Mai dieses Jahres war. Die Russen haben bislang keine direkten Auswirkungen gespürt. Das könnte sich allerdings ändern, wenn der Sommer vorbei ist und die Regale in den Geschäften wirklich leer werden. Aber selbst das Embargo gegen westliche Lebensmittel trifft allenfalls die Mittelschicht in den Städten – die Leute in Sibiriens Dörfern versorgen sich selbst. In der breiten Masse ist die Bevölkerung erst betroffen, wenn die Inflation steigt und es mit der Wirtschaft weiter bergab geht.