Warum das Volk hinter Putin steht "Vielen Russen fehlt es an kritischem Denken"

Der Moskauer Meinungsforscher und Soziologe Lew Gudkow erklärt, wie Russlands Präsident von der Ukraine-Krise profitiert und wieso die russische Bevölkerung ihm glaubt.

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Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Gudkow, Russlands Wirtschaft wächst kaum noch, der Kreml befördert offensichtlich den Krieg in der Ostukraine, der Westen setzt Moskau mit Sanktionen unter Druck. Stehen die Russen noch hinter ihrem Präsidenten Wladimir Putin?

Gudkow: Absolut. Laut unseren Umfragen sind momentan 81 Prozent der Russen mit der Arbeit des Präsidenten zufrieden. Eine solch hohe Unterstützung für Wladimir Putin würde überhaupt nur einmal übertroffen: während des Südossetien-Kriegs im August 2008, als Putin vorübergehend Regierungschef war. Allerdings ist die Beliebtheit des Kremlchefs anschließend fast kontinuierlich gesunken – bis zu den Olympischen Winterspielen im Februar dieses Jahres, als kaum mehr als ein Viertel der Russen hinter dem Präsidenten stand.

Geplante neue EU-Sanktionen gegen Russland

Also führt die Ukraine-Krise dazu, dass die Russen fest hinter ihrem Präsidenten stehen. Können Sie das erklären?

Die Zustimmungsraten steigen nicht direkt wegen der Ukraine-Krise – sondern infolge der patriotischen Propaganda, die diese begleitet. Selbst zu Sowjetzeiten hat es nach meinem Erinnerungsvermögen nie eine so massive Propagandakampagne gegeben wie jene gegen die Ukraine: Man schafft mit selektiven Informationen, Teilwahrheiten, Emotionalisierungen, Lügen und Inszenierungen eine parallele Realität, wonach in der Ukraine vom Westen gesteuerte Faschisten am Werk sind, die einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen und den Untergang Russlands wollen. Das funktioniert fantastisch effektiv und begründet mitunter die hohen Umfragewerte für Putin.

Wie Muskelprotz Putin sich fit hält
In Sotschi ließ sich Sportfan Wladimir Putin nicht nur auf den Tribünen blicken. Hier posiert er mit Teilnehmern der Paralympischen Spiele. Quelle: dpa
Mit schicker Sonnenbrille... Quelle: rtr
...verfolgte er die Wettkämpfe auf den Pisten von Krasnaya Polyana. An seiner Seite: der russische Sportminister Vitaly Mutko. Quelle: dpa
Hier geht es im Sessellift mit Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew (Mitte) auf den Berg – zur nächsten Abfahrt. Quelle: rtr
Um ein wenig Muskeln aufzubauen, hat Wladimir Putin als schmächtiger Junge den Nutzen von Judo erlebt. 2005 stieg er zu Showzwecken noch einmal auf die Matte. Quelle: AP
Mit seinen Kampfsportkenntnissen – die er hier bei einer Trainingsstunde in St. Peterburg noch einmal vorführte – konnte sich der als schwächlich beschriebene „Wolodja“ in seiner Heimatstadt gegen stärkere Nachbarjungs verteidigen. Quelle: REUTERS
Legendär sind die Aufnahmen, die Putin in freier Wildbahn zeigen. Hier als Indiana-Jones-Double in Sibirien... Quelle: AP

Wie ist das möglich?

In den vergangenen Jahren hat der russische Machtapparat die meisten Quellen alternativer Informationen dichtgemacht. Kritische Chefredakteure von Magazinen wie „Kommersant Wlast“ mussten gehen, die Nachrichtenagentur RIA Novosti bekam ein Kreml-Sprachrohr als Chef. Vor allem stehen sämtliche Fernsehkanäle entweder unter direkter staatlicher Kontrolle – oder ihre Besitzer sind staatstreue Oligarchen. Unabhängige Medien findet man allenfalls noch im Internet. Aber nur 20 Prozent der Russen beziehen ihre Informationen über die Ukraine-Krise aus dem Netz, 94 Prozent hingegen bekommen sie aus dem Fernsehen.

Sind die Russen so leicht manipulierbar?

In den meisten Ländern der ehemaligen Sowjetunion sind freiheitlich-demokratische Werte nicht weit verbreitet. Es herrscht ein absoluter Mangel an kritischem Denken. Was auch daran liegt, dass die meisten Russen ihre Heimat nie verlassen haben: Nur 18 Prozent besitzen einen Reisepass, weniger als zehn Prozent waren schon einmal im Westen. Davon ging es für die meisten nur in den Urlaub nach Ägypten oder in die Türkei. Die absolute Masse lebt unter depressiven Bedingungen in tristen Industriestädten oder abgelegenen Dörfern. Wenn man diesen Menschen erzählt, dass der Westen der Feind ist, dann glauben sie das. Zumal die aktuelle Propaganda auf uralte Mythen aus Sowjetzeiten trifft, sozusagen Ängste vor dem Faschismus weckt. Denn das Fernsehen berieselt die Russen nicht nur mit tendenziösen Nachrichten, sondern sendet rund um die Uhr Dokumentationen etwa zur angeblichen Kollaboration der Ukrainer mit den Nazis. So werden Erinnerungen an den Kampf gegen den Faschismus wach, der für die Identität der Russen immer besonders wichtig war.

"Putin gibt den Russen ihr Selbstwertgefühl zurück"

Wie unterscheidet sich diese Propaganda von jener der Sowjetunion?

Sie ist professioneller und effektiver. Denn heute kommt hinzu, dass die Russen ein schwerer Minderwertigkeitskomplex plagt. Den Untergang der Sowjetunion haben viele nicht als Befreiung, sondern als nationale Demütigung erlebt – zumal die folgenden „demokratischen“ Jahre mit Chaos und dem wirtschaftlichen Abstieg verbunden waren. Wladimir Putin gibt den Russen ihr Selbstwertgefühl zurück...

...und spielt dabei den Rambo der internationalen Politik, der sich an keine Regeln hält.

Rowdytum kommt in Russland gut an, denn es steht für Russlands neue Stärke. Es gibt in Russland kein Verständnis für internationale Regeln. Intuitiv wertet man das Völkerrecht als selektiv angewandtes Instrument des Westens. Die einzig gültige Kategorie für die Russen ist Stärke. Das ist ein ernsthaftes Problem, das man auch im Westen noch nicht verstanden hat: Die Bevölkerung kann mit ihren Erwartungen die Politik vor sich hertreiben.

Putins beste Sprüche
Putins beste Sprüche„Ich weiß nicht, womit sie heizen wollen. Atom wollen sie nicht, Gas wollen sie nicht. Wollen sie wieder mit Holz heizen?“ Putin über die Energiedebatte in Deutschland, November 2010
„Wir werden unser Volk nicht vergiften.“  Zum Importverbot für EU-Gemüse wegen Ehec, 11.6.2011
„Wo man nicht zusammen kommen kann, bekommt man den Knüppel auf die Rübe“   Zum Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten, 6.9.2010.
„Wer das getan hat, wird den Preis dafür bezahlen und im Suff oder Drogenkonsum enden“ Über den Verrat russischer Spione in den USA, 2.8.2010.
„Ich habe vielleicht in der Universität nicht das allermeiste gelernt, weil ich in der Freizeit viel Bier getrunken habe. Aber einiges habe ich doch behalten, weil wir sehr gute Dozenten hatten.“ Über sein Studium, Mai 2005.
„Die Russen kommen hier nicht mit Kalaschnikow und mit Panzern her, sondern Russland bringt das Geld mit.“ Zu Investitionen russischer Unternehmen in Deutschland, Oktober 2006.
„Niemand will, dass die G8 zu einer Ansammlung fetter Kater wird.“ Über die Rolle Russlands in der Gruppe der führenden Industrienationen, Januar 2006.

Hilft diese Stimmung Putin, sich auf Dauer an der Macht zu halten?

Lange Zeit basierte die Unterstützung des Putin-Regimes auf dessen ökonomischen Erfolgen. Bis 2008 herrschte hohes Wirtschaftswachstum, was mit steigenden Zustimmungsraten einherging. Seither hat sich das Wachstum deutlich abgeschwächt, die russische Wirtschaft stagniert und hilft Putin kaum mehr, seine Macht zu zementieren. Darum bedient sich das Regime jetzt der Sowjetmythen und unterdrückt möglichen Widerspruch mit repressiven Gesetzen. Aber irgendwann wird es nicht mehr ausreichen, niedriges Wachstum mit Patriotismus und Propagandaillusionen zu kaschieren. Die Zustimmungsraten für Putin können ebenso schnell wieder sinken, wie sie seit Februar gestiegen sind.

Könnten die Sanktionen des Westens dazu beitragen?

Paradoxerweise ist die Angst vor Sanktionen im August niedriger, als sie im Mai dieses Jahres war. Die Russen haben bislang keine direkten Auswirkungen gespürt. Das könnte sich allerdings ändern, wenn der Sommer vorbei ist und die Regale in den Geschäften wirklich leer werden. Aber selbst das Embargo gegen westliche Lebensmittel trifft allenfalls die Mittelschicht in den Städten – die Leute in Sibiriens Dörfern versorgen sich selbst. In der breiten Masse ist die Bevölkerung erst betroffen, wenn die Inflation steigt und es mit der Wirtschaft weiter bergab geht.

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