Weg nach Westeuropa Flüchtlinge harren bei Kälte in Belgrad aus

Schnee, eisige Winde, rekordverdächtige Minusgrade: Hunderte Flüchtlinge überleben in Müll und Morast. Sie wollen die Hoffnung auf ein besseres Leben in Westeuropa trotz allem nicht aufgeben.

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Rund 1000 Menschen warten derzeit bei Eiseskälte auf ihre Weiterreise nach Westeuropa. Quelle: dpa

Belgrad Ein Dutzend Feuer hinter dem Busbahnhof am Rande des Belgrader Stadtzentrums lassen schwarzen Rauch zum Himmel steigen. Verwahrlost ausschauende junge Männer versuchen bei minus zehn Grad und Schnee, wenigstens ein ganz klein wenig Wärme zu erhaschen. Viele sind in Decken gehüllt, die sie irgendwann von Helfern bekommen hatten. Hier gibt es rein gar nichts. Kein regelmäßiges Essen, kein Wasser, kein menschenwürdiges Übernachten, von medizinischer Versorgung und minimalster Hygiene ganz zu schweigen.

Ein noch dramatischeres Bild zeigen die benachbarten großen Hallen, die früher der Eisenbahn und dem Zoll als Depots dienten. Hier versuchen gestrandete Migranten, dem harten Winter zu trotzen, bis sie nach Westeuropa weiterreisen können. Etwa 1000 Menschen schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Wenigstens 1500 sagen die wenigen privaten Helfer. Im Halbdunkel brennen viele kleine Feuer. Bahnschwellen werden verheizt. Und weil die mit Chemikalien behandelt sind, ist der ätzende Dampf kaum auszuhalten.

Der Pakistaner Kaship Han zeigt ein serbisches Dokument, das ihn anweist, ins 400 Kilometer südlich gelegene Lager Presevo zu kommen. „Ich werde nicht zurückgehen“, zeigt sich der 18-Jährige trotzig: „Ich will nach Ungarn und dann nach Italien.“ Wie er das bei den mit Zäunen verrammelten Grenzen schaffen will, bleibt unklar. „Hier kann ich jedenfalls nicht bleiben“, ist er sicher. „Die Leute werden krank ohne jegliche Hilfe. Es ist einfach schrecklich!“

„Es ist unerträglich“, pflichtet ihm sein 20-jähriger Landsmann Amin bei. „Ich bin seit zwei Monaten hier und habe zuvor zwei weitere Monate für den Weg hierher gebraucht. 4000 Euro sind weg. Ich habe meinen Vater um Nachschub gebeten, aber der hat kein Geld mehr. Ich kann jetzt nicht zurück und auch nicht mehr weiter.“ Der 18-jährige Asif aus Afghanistan erzählt, wie sie hier überleben. „Wir hocken ein paar Stunden am Feuer. Drei, vier von uns rücken nachts zusammen so weit es geht. Trotzdem zittern wir ununterbrochen.“

Warten auf Schleuser

Gegen Mittag bildet sich tagtäglich eine lange Schlange, die auf eine warme Mahlzeit wartet. Eine ausländische Hilfsorganisation verteilt heute ein Currykraut ohne Fleisch. Mitten in einem Areal, das von Abfall und Fäkalien übersät ist. Diejenigen, die noch Geld besitzen, versorgen sich in einer der Schnellimbisse ganz in der Nähe. Die haben sich geschäftstüchtig schnell auf die Nachfrage der Migranten eingestellt. Im Gegensatz zum letzten Sommer sind jetzt keine Frauen und Kinder mehr zu entdecken.

Mitarbeiter von „Ärzte ohne Grenzen“ haben ein paar Dieselaggregate herangeschafft. Die blasen warme Luft in eine der Hallen. „Drinnen liegt die Temperatur trotzdem nur rund um den Gefrierpunkt, vielleicht auch ein, zwei Grad darüber“, erklärt einer. Dabei ist die Zukunft für die allermeisten hier mehr als duster. Wegen der geschlossenen Grenzen können sie höchstens auf Schmuggler hoffen. Doch die gehen den Behörden immer häufiger ins Netz. Und nicht selten müssen die Migranten diesen gefährlichen Weg sogar mit ihrem Leben bezahlen.

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