Seit’ an Seit’ sind sie marschiert, Arbeiter in voller Montur, daneben ihre Chefs im Anzug. Rund 5000 Demonstranten aus 19 Ländern protestierten am Montag vergangener Woche vor dem Hauptsitz der EU-Kommission in Brüssel. Gleich 30 Branchen, von Aluminium bis Solar, hatten zu der Kundgebung am Rond-Point Schuman aufgerufen. Was sie in ihrer Wut einte: Der Verdacht, China bevorzuge durch heimliche Begünstigungen seine Industrien und sorge damit für Dumpingpreise auf den Weltmärkten.
Das Thema ist in Brüssel von Bedeutung, weil die Europäische Union bis zum Jahresende entscheiden muss, ob sie China ganz offiziell als Marktwirtschaft anerkennt – was weitreichende Folgen hätte. Die Chinesen gehen fest davon aus, dass sie den begehrten Status bekommen. Als das Land der Welthandelsorganisation (WTO) 2001 beitrat, kam ein Passus ins Protokoll, der eine Vergabe nach 15 Jahren vorsieht, also zum 11. Dezember 2016. Antidumpingverfahren gegen chinesische Waren würden sich dann nach dem Regelwerk der WTO nicht mehr so leicht auf den Weg bringen lassen.
Das sind die wettbewerbsfähigsten Länder der Welt
Während Deutschland im Vorjahr noch auf Rang sechs lag, schafft es die Bundesrepublik in diesem Jahr nur noch auf den zehnten Platz. Der mitteleuropäische Staat steht 2015 vor vielen Herausforderungen. Dazu gehört der Druck, die Energiewende zu meistern, die digitale Transformation der Industrie voranzutreiben und private und öffentliche Investitionen zu fördern.
Bauen kann Deutschland auf seine hoch qualifizierten Arbeitskräfte und eine Politik der Stabilität und Vorhersehbarkeit.
Schweden fällt im Vergleich zu 2014 um vier Ränge von Platz fünf auf Platz neun. Das nordeuropäische Königreich kann besonders mit qualifizierten Arbeitskräften, den stabilen politischen Verhältnissen, einem wirksamen Rechtssystem und einem starken Fokus auf Forschung und Entwicklung glänzen. Auch das Bildungsniveau ist sehr hoch und die Infrastruktur sehr verlässlich.
Auch Dänemark konnte sich im Vergleich zum Vorjahr verbessern, von Platz neun geht es hoch auf Platz acht. Gut schneidet das nordeuropäische Königreich bei Managementpraktiken, Gesundheit und Umwelt sowie Arbeitsstandards ab. Auf dem ersten Rang landet Dänemark in der Kategorie der Regierungseffizienz gleich fünf Mal, denn es zeichnet sich nicht nur durch eine besonders große Rechtstaatlichkeit aus, sondern auch dadurch, dass Bestechung und Korruption kaum eine Chance haben.
Norwegen kann im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von drei Plätzen verzeichnen und landet damit auf dem siebten Platz. Die skandinavische Halbinsel kann vor allem mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aufwarten, mit denen sie im internationalen Vergleich auf Platz eins landet. Weitere Faktoren, mit denen Norwegen punkten kann, sind im Bereich der Regierungseffizienz zu finden. Chancengleichheit, Transparenz sowie Rechtstaatlichkeit sind nur einige der besonders effektiven Maßnahmen der öffentlichen Hand.
Für Luxemburg ging es von Platz elf im Jahr 2014 hoch auf Platz sechs. Sehr gut schneidet das Großherzogtum im Bereich der politischen Stabilität, der wettbewerbsfähigen Besteuerung, des unternehmerfreundlichen Umfeldes und der qualifizierten Arbeitskräfte ab.
Kanada hat es in diesem Jahr auf Platz fünf geschafft. Im Vorjahr landete der nordamerikanische Staat noch auf Platz sieben des IMD World Competitiveness Ranking. Die gute Platzierung hat Kanada vor allem der Stabilität und Vorhersehbarkeit in der Politik, dem hohen Bildungsniveau, qualifizierten Arbeitskräften und einem wirksamen Rechtssystem zu verdanken. Ganz gut schneidet Kanada auch aufgrund einer unternehmerfreundlichen Umgebung und einer offenen und positiven Haltung ab.
Der vierte Platz geht in diesem Jahr an die Schweiz. Unternehmen aus aller Welt wissen vor allem die sehr gute Infrastruktur des kleinen Alpenstaates zu schätzen. Die hohe Bildung und der Umweltschutz landen gar im Vergleich zu 2014 nicht mehr nur auf Platz drei, sondern gleich auf der Eins. Auch die robuste Wirtschaft, Arbeitsstandards, geringe Entlassungs- sowie Kapitalkosten sind im internationalen Vergleich so gut wie unschlagbar.
Unter die ersten drei schafft es in diesem - wie auch schon im vergangenen Jahr - der Insel- und Stadtstaat Singapur. Besonders punkten konnte das asiatische Land bei Unternehmen in diesem Jahr mit seinem institutionellen Rahmen, der im weltweiten Vergleich auf Rang eins landet. Außerdem liegt Singapur bei der technologischen Infrastruktur sowie der Bildung ganz weit vorne.
Platz zwei geht an die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong. Im Vergleich zum Vorjahr hat die chinesische Metropole zwei Plätze gut gemacht. Unternehmen aus aller Welt schätzen Hongkong insbesondere aufgrund der betriebswirtschaftlichen Gesetzgebung, der Managementpraktiken, der unternehmerischen Einstellungen und Werte und der technologischen Infrastruktur. Ganz gut steht Hongkong auch bei internationalen Investitionen, der Fiskalpolitik und bei den Betriebsfinanzen da.
Die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft der Welt sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Das hat das IMD World Competitiveness Center in seiner aktuellen Vergleichsstudie bekannt gegeben.
Besonders attraktiv finden Firmen in den USA - laut Ranking - die dynamische Wirtschaft (66,2 Prozent), den guten Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten (55,1 Prozent), den starken Fokus auf Forschung und Entwicklung (49,3 Prozent) sowie das unternehmensfreundliche Umfeld (43,4 Prozent).
Punkten können die USA zudem als attraktiver Forschungsstandort. Nachholbedarf gibt es im Bereich der Schulbildung.
China zweitgrößter EU-Handelspartner
Die Entscheidung hat also Auswirkungen auf viele Unternehmen und Arbeitsplätze in Europa. China ist nach den USA zweitgrößter Handelspartner Europas, zwei Drittel aller europäischen Exporte, die nach China gehen, kommen aus Deutschland.
Mehr als 70 Länder haben China bereits als Marktwirtschaft anerkannt, darunter auch die Schweiz. Für China hat das den Vorteil, dass bei Antidumpingverfahren künftig nicht mehr automatisch Preise von Drittländern zum Vergleich dienen, wenn untersucht wird, ob chinesische Unternehmen ihre Ware im Ausland unter den Herstellungskosten auf den Markt werfen. Mitunter hatte das bisher für China bizarre Folgen. Bei Golfwagen wurden portugiesische Produktionskosten als Referenzwert herangezogen, bei Solarpanelen die der indischen Konkurrenz. In beiden Fällen waren die Herstellungskosten deutlich höher als in China.
Wegen solcher Beliebigkeiten sind Antidumpingverfahren als handelspolitisches Instrument umstritten. „Die bisherige Praxis, Dumpingmargen aufgrund von Preisvergleichen mit einem sogenannten Analogland festzulegen, führt häufig zu verzerrten Antidumpingzöllen gegen China und sollte deshalb abgeschafft werden“, sagt Rudolf Staudigl, Vorstandsvorsitzender des Chemieunternehmens Wacker.
Warnungen vor Gegenschlägen
Während die Industrieallianz, die in Brüssel protestiert hat, 3,5 Millionen Jobs in Gefahr sieht, wenn Europa China aufwertet, plädiert Staudigl dafür, das Versprechen einzuhalten: „Die EU sollte China den Status der Marktwirtschaft ermöglichen.“ Seine Haltung ist typisch für die seiner Branche. „Die Verweigerung des Marktwirtschaftsstatus könnte erfahrungsgemäß zu Reaktionen gegen europäische Unternehmen führen“, warnt der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Die radikale Verweigerungshaltung des europäischen Industrieverbands Business Europe trägt er ausdrücklich nicht mit. An deren Spitze steht übrigens gerade die Italienerin Emma Marcegaglia, die das gleichnamige italienische Stahlunternehmen leitet.
Fahrzeugproduktion und -absatz in China seit 2008
Produktion: 6,74 Millionen Autos und 2,56 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 6,76 Millionen Autos und 2,63 Millionen Nutzfahrzeuge
Quelle: Statista.de
Produktion: 10,38 Millionen Autos und 3,41 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 10,33 Millionen Autos und 3,31 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 13,9 Millionen Autos und 4,37 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 13,76 Millionen Autos und 4,3 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 14,49 Millionen Autos und 3,93 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 14,47 Millionen Autos und 4,03 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 15,52 Millionen Autos und 3,75 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 15,5 Millionen Autos und 3,81 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 18,09 Millionen Autos und 4,03 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 17,93 Millionen Autos und 4,06 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion: 19,92 Millionen Autos und 3,8 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz: 19,7 Millionen Autos und 3,79 Millionen Nutzfahrzeuge
Produktion (Januar-März): 5,31 Millionen Autos und 0,89 Millionen Nutzfahrzeuge
Absatz (Januar-März): 5,31 Millionen Autos und 0,85 Millionen Nutzfahrzeuge
Die Warnungen vor chinesischen Gegenschlägen in der Handelspolitik kommen nicht von ungefähr. Als die EU 2013 chinesische Solarpanele mit Strafzöllen belegte, schlugen die Chinesen mit Strafzöllen für die Hersteller von Polysilizium zurück, einem Grundstoff für die Herstellung von Solarpanelen. Der deutsche Hersteller Wacker konnte in Verhandlungen das chinesische Handelsministerium dazu bewegen, sich statt dessen auf Mindestpreise einzulassen, damit Konkurrenzprodukte aus China nicht unterboten werden. Aber auch das ist ein Handelshindernis: Denn jede Preisänderung muss mit dem Ministerium abgesprochen werden. Weil das Unternehmen der Konkurrenz nur mit Verzug folgen kann, ist der Marktanteil zurückgegangen.
Interessenslage der Automobilbranche unverändert
Die Automobilbranche hatte sich im Solarstreit noch dezidiert gegen Strafzölle für chinesische Unternehmen ausgesprochen. Diesmal agiert sie etwas leiser, schließlich handelt es sich bei den Stahlherstellern um ihre Zulieferer. Ihre Interessenslage aber ist unverändert. Der chinesische Markt, auf dem die deutschen Hersteller einen Anteil von rund 20 Prozent haben, ist zu wichtig, als dass man einen Handelskrieg riskieren will.
Die EU-Kommission versucht derzeit die Wogen zu glätten und fragt noch bis Mitte April die Einschätzung der Unternehmen ab. Die zuständige Handelskommissarin Cecilia Malmström lässt bereits verschiedene Szenarien durchspielen. Eine Option besteht darin, China den Marktwirtschaftsstatus zu gewähren, gleichzeitig aber die Methode zur Berechnung von Dumpingzöllen zu ändern. Bisher haben sich die Europäer eine Regel gegeben, die sie zu niedrigen Dumpingzöllen verpflichtet. Die könnte abgeschafft werden.
Die Bundesregierung hat sich offiziell noch nicht positioniert. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei einem Staatsbesuch in Peking im Oktober gegenüber Wen Jiabao zu verstehen gegeben, dass sie sich für den Marktwirtschaftsstatus einsetzen wolle. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sieht das Thema aber skeptischer. In einem Brief forderte er gemeinsam mit Kollegen aus sechs Ländern die EU-Kommission dazu auf, die Stahlbranche zu schützen – ohne freilich China explizit zu erwähnen. Ein Industrievertreter fürchtet: „Im Zweifel wird Gabriel sich auf die Seite der Branchen mit traditioneller Mitbestimmung stellen.“ Das lässt die Stahlbranche hoffen.