Weltklimakonferenz in Glasgow Der Sprengsatz in Artikel 6 des Pariser Abkommens

Uno-Weltklimakonferenz (COP26): wohlinszenierte Erfolge, noch keine verbindlichen Regeln Quelle: imago images

Die wohlinszenierten Erfolge bei der Uno-Konferenz können über eines nicht hinwegtäuschen: Für die zentralen Ziele von Paris haben die mehr als 190 Länder zum Konferenzendspurt keine verbindlichen Regeln gefunden.

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Bei Weltklimakonferenzen gibt es ungeschriebene Gesetze, die im schottischen Glasgow nun schon zum 26. Mal gelten: Entscheidend wird es Mitte der zweiten Woche. Also jetzt. Wenn es nicht mehr um technische Details und Handwerkliches geht, sondern Minister und Regierungschefinnen Mut zeigen und Zugeständnisse machen müssen. 

Sonst gibt es keinen Fortschritt im Klimaschutz, sondern nur warme Worte in Abschlusstexten. Das mit den Zugeständnissen ist jedoch umso schwieriger geworden, je länger weltweit zu wenig im Klimaschutz passierte und der Preis des Handelns immer höher stieg.

Außerdem ist bei jeder dieser Uno-Konferenzen mit Vertreterinnen aus mehr als 190 Ländern ziemlich klar, dass das Konferenzende samt Abschlusserklärung freitags gerissen wird und unter dem Druck der Öffentlichkeit noch einmal Kompromissangebote in letzter Minute gehandelt werden. Samstags, zum inoffiziellen Extratag, sind die meisten Hotels von den Delegationen jedenfalls noch gebucht. 

Die Profis wissen schon, warum. Schließlich sind auch wegweisende Einigungen, wie etwa vor sechs Jahren 2015 in Paris, nur Etappenerfolge und oft weniger konkret als sie versprechen. Damit wären wir bei den härtesten Brocken, die nun in vier Tagen Endspurt noch aus dem Weg geräumt werden müssen. So sagten alle Länder 2015 zwar zu, dass sie das Nötige tun würden, damit die Erde sich nicht um mehr als zwei Grad erwärme im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung. Besser noch: nicht um mehr als 1,5 Grad. Auch dafür gab es Verpflichtungen und Versprechen.

Doch noch immer ist unklar, wie Regierungen nachweisen müssen, dass sie ihre Versprechen einhalten. Noch immer ist unklar, wie genau und oft sie berichten und nachweisen müssen, was geschafft wurde. Das Ziel ist klar, der Weg noch neblig.

Es gibt immer noch genug Möglichkeiten, dass Klimaschutz beschworen, aber nicht so richtig betrieben wird. Und: Ein weltweiter Handel mit Emissionszertifikaten und die Kompensation der Treibhausgase eines Landes durch Einsparungen in einem anderen sind immer noch nicht klar geregelt. 

Die bisherigen Auslegungen von Verhandlern und Regierungsleuten zeigen, dass die unklaren Vorgaben sogar zu weniger Klimaschutz führen könnten statt mehr. Zu den Einzelheiten, die in einem internationalen Regelbuch zum Klimaschutz noch fehlen und um die in Glasgow gerungen wird, gehört beispielsweise Artikel 6 des Paris-Abkommens. Er muss mit Leben ausgefüllt werden. 

Er regelt, dass reichere Staaten auch im Ausland in Klimaschutz investieren können und dafür CO2- Einsparung selbst gutgeschrieben bekommen. Das kann etwa bezahlte Aufforstung in einem armen Land sein, die als Teil eigener Erfolge verbucht werden darf. Schlimmstenfalls könnten jedoch beide Länder den Erfolg abrechnen. Doppelter Erfolg nur auf dem Papier, nicht fürs Klima. Außerdem wäre mit Doppel-Anrechnungen von den Verkäufern und den Käufern der CO2-Zertifikate dem Missbrauch ein weites Scheunentor geöffnet. Außerdem ist noch nicht klar, wie genau und von wem nachgewiesen werden müsste, ob die Bäume tatsächlich gepflanzt wurden, ob sie gedeihen und wachsen.



Seit sechs Jahren versuchen die UN-Verhandlerinnen schon, diesen Auftrag aus dem Pariser Klimaschutzabkommen umzusetzen. Davon hängt auch ab, ob viele Milliarden Euro versprochenes Kapital in einem CO2-Handel von Industrie- in Entwicklungs- und Schwellenländer fließen. Der deutsche Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth hatte zuletzt erklärt: „Einigkeit ist noch nicht erzielt.“

Außerdem pochen die Regierungen der ärmeren Länder nach wie vor darauf, dass für sie bei der Dokumentation des Klimaschutzes nicht so detaillierte Regeln gelten wie für reichere Länder. Das mag bei einem kleinen Land mit ohnehin geringem Treibhausgasausstoß noch in Ordnung wirken. Allerdings: Wo ist sie Grenze? Die lässt sich kaum ziehen. Schließlich pocht auch China darauf, den Status eines Entwicklungslandes zu haben. China ist jedoch der weltgrößte Emittent an CO2. Wenn hier nur vage Transparenzregeln gelten würden, wäre auch überhaupt nichts gewonnen fürs Klima.

Ähnlich trocken, aber hoch relevant kommt ein weiterer Streitpunkt daher, der auch nur schwer auszuräumen ist: Müssen Staaten alle fünf oder nur alle zehn Jahre neue Klimaschutzpläne vorlegen und so Rechenschaft ablegen, ob sie ihr Maß erreicht haben oder schleunigst nachsteuern müssen? Zum Nachsteuern fehle ihnen oft das Geld, lassen ärmere Länder wissen, auch weil die reicheren ihre Unterstützung für den Umbau der Wirtschaft und gegen die Folgen der Erderwärmung zugesagt, aber ihnen noch lange nicht zukommen haben lassen.

In Glasgow hängt also alles mit allem zusammen und alle werden sich bewegen müssen, um Klimaschutz nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern tatsächlich voranzubringen. Umweltschützer hoffen dabei auf möglichst konkrete Ziele und Festlegungen – so wie sie einige Länder dort schon beim Ausstieg aus der Kohle oder zum Ende der Verbrennermotoren abgegeben oder verschärft haben. Das sind allerdings kleine Schritte im Vergleich zu den verbindlichen Regeln, die für ganze Volkswirtschaften noch fehlen.

Mehr zum Thema: Anders als vage Weltklimagipfel könnte ein Klimaclub dem Umweltschutz Schwung verleihen. Olaf Scholz glaubt daran, schließlich ging sein Plan bei der globalen Mindeststeuer bereits einmal auf. Kommt nun der Club der willigen Nationen?

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