Weltlage Was ist Aleppo?

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Alltag in einer Diktatur. Und in dieser Weltregion normal

Dabei wäre die kleine Geschichte aus dem Flugzeug viel aufschlussreicher gewesen: Wegen der Laune eines Spitzenfunktionärs mussten sechs oder neun Fluggäste auf den gewohnten und bezahlten Komfort an Bord verzichten. Alltag unter einer schlampigen und bösartigen Diktatur. Und in dieser Weltregion normal.

Genau das ist es, was die meisten Leute seit vier, fünf Jahren nicht mehr ertragen, in Syrien wie in Tunesien, in Ägypten wie im Jemen und den meisten Ölstaaten. Was 2011 geschah, nannten wir den Arabischen Frühling und schauten nicht genau genug hin, weil wir meinten, die Machthaber ließen sich das Recht auf spontane Herumfliegerei in der ersten Klasse einfach so nehmen. Und weil wir meinten, alle anderen, von der Businessclass bis zu den unsichtbaren Putzkräften und den schlagkräftigen militärischen Einheiten in den dunklen Winkeln des Flughafens, würden sich reibungslos auf eine neue, gerechte Neuverteilung der Plätze einigen.

Aber so funktioniert der Sturz von Willkürherrschaft und der Abschied von Privilegienwirtschaft nicht. Schon gar nicht in Ländern, die ethnisch und religiös gespalten sind, deren Grenzen einst von europäischen Kolonialisten gezogen wurden, deren Herrscher sich jahrzehntelang wahlweise mit sozialistischen Parolen oder mit einer geheuchelten Religiosität zu legitimieren suchten.

Saudischer Krise, islamisches Dilemma

Die Freiheitsbewegung von 2011 liegt, außer in Tunesien, überall am Boden. Religiöse Heuchelei hat den islamistischen Dämon produziert, der in Gestalt des selbst ernannten „Islamischen Staates“ militärisch immer schwächer und als internationale Terrororganisation immer stärker geworden ist. Beides wird in der Ära des Donald Trump zunehmen. Als Terrorbande könnte der „IS“ schon 2017 zur lebensbedrohlichen Gefahr für die Ölherrscher am Golf werden.

Für die arabische Führungsmacht Saudi-Arabien war schon 2016 ein katastrophales Jahr mit gewaltigen Wirtschaftsproblemen. Daran wird keine Kehrtwende der Ölpolitik viel ändern. Auch außenpolitisch musste das Königreich Rückschläge hinnehmen, von Syrien über den Jemen bis zu den USA, wo bald der Islamhasser Trump regiert. Dem bankrotten ägyptischen Gefolgsmann Abdelfattah al-Sisi haben die zunehmend klammen Saudis die Subventionen streichen müssen. Damit aber ist Ägypten, das einwohnerstärkste und kulturell bedeutendste arabische Land, ihrem Einfluss entglitten. Arabien ist führungslos.

Wirtschaftliche Kooperation zwischen den Staaten hat es im Nahen Osten nie gegeben – der Handel zwischen den diversen arabischen Ländern war schon immer minimal.

Und jetzt bricht auch die politische Kooperation zusammen. Stattdessen wächst die Rivalität der Saudis mit dem Iran. Doch Teheran ist alles andere als eine regionale Führungsmacht. Die Islamische Republik der iranischen Mullahs schafft es nicht, über die schiitischen Minderheiten hinaus Freunde zu gewinnen. Auf diese Weise kann man Syrien verwüsten und vielleicht die „IS“-Gebiete im Irak, aber das schafft nur neue Feinde in der Region.

Wir Europäer haben den Nahen Osten lange Zeit nur als große Tankstelle betrachtet, inzwischen vielleicht noch als Herkunftsort armseliger Flüchtlinge und feindseliger Dschihadisten. Beides reicht nicht als Politikersatz und auch nicht für ökonomische Kooperation. Für die fehlen uns Einsicht und Ansätze. Vielleicht hätte ich damals in Aleppo doch aus dem Flugzeug aussteigen sollen.

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