Weltraum „Wir verurteilen Russlands rücksichtslosen Test“

Der US-Außenminister verurteilt den Raketentest Russlands. Quelle: dpa

Russland hat eine Rakete im All getestet und hat damit einen eigenen Satelliten zerstört. Die Konsequenz, so der Vorwurf der US-Regierung: Eine Trümmerwolke – die nun Astronauten bedroht.

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Die US-Regierung wirft Russland vor, die Sicherheit von Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS durch den Test einer Anti-Satelliten-Rakete gefährdet zu haben. „Wir verurteilen Russlands rücksichtslosen Test“, teilte US-Außenminister Antony Blinken am Montagabend (Ortszeit) mit. Der Beschuss eines russischen Satelliten habe Weltraumschrott hinterlassen, „der das Leben von Astronauten, die Integrität der Internationalen Raumstation und die Interessen aller Nationen gefährdet“. Auf der ISS hält sich seit kurzem auch der deutsche Astronaut Matthias Maurer auf.

Russland hatte nach US-Medienberichten am Montag eine Anti-Satelliten-Rakete getestet und dabei einen seiner eigenen Satelliten abgeschossen, der noch aus der Sowjetzeit stammen soll. Damit habe Russland erstmals die Fähigkeit demonstriert, einen Satelliten mit einer von der Erde aus gestarteten Rakete zu treffen, schreibt die „Washington Post“.

Nach den Anschuldigungen aus den USA hieß es zunächst lediglich, in ausgedienter Satellit sei der ISS nahe gekommen. Schließlich bestätigte das russische Verteidigungsministerium den Testabschuss eines Satelliten, den Vorwurf einer Gefährdung für Raumfahrer wiesen sie aber zurück. Russlands Militär habe am Montag „erfolgreich einen Test durchgeführt, infolge dessen der ausgediente Raumflugkörper „Zelina-D“ getroffen wurde, der sich seit 1982 im All befindet“, heißt es in einer Mitteilung. Die Trümmerteile des zerstörten Satelliten „stellten und werden keine Bedrohungen für Raumstationen, Raumflugkörper und Weltraumaktivitäten darstellen“, betonte das Ministerium.

Das klingt bei der Europäischen Weltraumorganisation Esa deutlich anders. Deren Experten haben die amerikanischen Daten über die Satellitentrümmer ausgewertet. „Auf der Bahnhöhe sind relativ viele Satelliten unterwegs“, sagt Holger Krag, Leiter des Esa-Büros für Weltraumschrott, im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Betroffen seien auch Esa-Satelliten und die Internationale Raumstation (ISS).  "Die neue Trümmerwolke verdoppelt das Risiko einer Kollision“, sagt Krag.

Das Weltraumkommando (Space Command) der US-Streitkräfte teilte mit, der Test vom Montag habe bislang mehr als 1500 nachverfolgbare Trümmerteile in der erdnahen Umlaufbahn produziert. Vermutlich würden diese letztlich in Hunderttausende kleinere Trümmer zerfallen und „über Jahre und möglicherweise Jahrzehnte in der Umlaufbahn verbleiben“. Dies bedeute „ein erhebliches Risiko für die Besatzung der Internationalen Raumstation und andere bemannte Raumfahrtaktivitäten sowie für die Satelliten mehrerer Länder“.

Esa-Experte Krag rechnet damit, dass die meisten Schrottteile zwei Jahre brauchen werden, bis sie in die Atmosphäre herabgesunken und verglüht sind. „So lange werden sie die Raumfahrt spürbar belasten“, sagt Krag.

Satellitenbetreiber und das Kontrollzentrum der ISS müssten sich auf häufigere Ausweichmanöver einstellen. „Für die ISS ist so ein Manöver keine Kleinigkeit“, sagt Krag, „es schränkt den operativen Betrieb ein und verursacht entsprechende Kosten.“

Wegen einer möglichen Kollision mit Weltraumschrott wurde die ISS am Montag zweimal kurzzeitig geräumt. Der Kosmonaut Pjotr Dubrow sagte der russischen Staatsagentur Tass zufolge, die sieben Raumfahrer hätten sich in beiden Fällen in zwei an der Station angedockten Raumschiffen in Sicherheit gebracht. Maurer wechselte laut der Europäischen Weltraumorganisation Esa in die „Crew Dragon“, mit der der Saarländer erst am Freitag vergangener Woche den Außenposten der Menschheit erreicht hatte. Im Falle eines Zusammenstoßes hätte die Besatzung so zur Erde zurückfliegen können.

Auch die Nasa teilte mit, die Astronauten und Kosmonauten auf der ISS hätten „Notfallverfahren für die Sicherheit“ eingeleitet, nachdem die Flugsicherung sie wegen der Trümmer geweckt hatte. Die Luken zu bestimmten Modulen seien geschlossen worden. Als die ISS eine Trümmerwolke durchflogen habe, hätten die Astronauten und Kosmonauten sich in ihre Raumschiffe begeben.

Die „New York Times“ zitierte aus dem Weckruf, der von Houston aus an die ISS-Astronauten ging. „Hey Mark, guten Morgen, entschuldige den frühen Anruf“, habe ein Nasa-Mitarbeiter zu ISS-Astronaut Mark Vande Hei gesagt. „Wir wurden vor kurzem über einen Satellitenabschuss informiert und müssen euch bitten, das (entsprechende Rückzugsverfahren) zu überprüfen.“

Die ISS ist mit Schutzmaterialien nur gegen Fragmente bis zu einen Zentimeter Größe gewappnet. Die amerikanischen Überwachungsstationen wiederum können Trümmerstücke im Orbit erst ab sechs bis sieben Zentimeter Größe aufspüren. Alles zwischen einem und sechs Zentimetern wird also zur unsichtbaren Gefahr. "Wir gehen davon aus, dass der Crash mehr als zehntausend Stücke hinterlassen hat, die größer als ein Zentimeter sind“, sagt Esa-Experte Krag.

Die US-Raumfahrtbehörde Nasa regierte umgehend. „Ich bin empört über dieses unverantwortliche und destabilisierende Vorgehen“, teilte Nasa-Chef Bill Nelson mit. „Mit seiner langen und traditionsreichen Geschichte in der bemannten Raumfahrt ist es unvorstellbar, dass Russland nicht nur die amerikanischen und internationalen Partner-Astronauten auf der ISS, sondern auch seine eigenen Kosmonauten gefährdet.“ Das Vorgehen sei „rücksichtslos und gefährlich und bedroht auch die chinesische Raumstation“.

In einem Interview mit der „Washington Post“ sagte Nelson weiter, er glaube, dass die Mitglieder der russischen Raumfahrtbehörde „nichts davon wussten. Und sie sind wahrscheinlich genauso entsetzt wie wir“. Er wäre nicht überrascht, wenn „es das russische Militär ist, das sein Ding macht“.

„Russland hat gezeigt, dass es die Sicherheit, den Schutz, die Stabilität und die langfristige Nachhaltigkeit des Weltraums für alle Nationen bewusst missachtet“, kritisierte US-General James Dickinson. „Russland entwickelt und setzt Fähigkeiten ein, um den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten und Partnern den Zugang zum Weltraum und dessen Nutzung aktiv zu verweigern.“

Der Test zeige deutlich, „dass Russlands Behauptungen, es lehne die Militarisierung des Weltraums ab, unaufrichtig und scheinheilig sind“, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Ned Price. „Wir wollen, dass der Weltraum internationalen Normen und Regeln unterliegt, damit er von allen raumfahrenden Nationen auf verantwortungsvolle Weise erforscht werden kann, und dies war ein unverantwortlicher Akt“, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby.

Auch der republikanische Abgeordnete des US-Bundesstaates Alabama, Mike Rogers, zeigte sich besorgt. „Der Weltraum ist bereits zu einem Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen geworden“, sagte er. Rogers gehört dem Streitkräfteausschuss im Repräsentantenhaus an.

Russland wies die Vorwürfe zurück. „Diese Aussagen entsprechen nicht der Wirklichkeit“, sagte Juri Schwytkin, Vize-Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der Staatsduma, am Dienstag der Agentur Interfax. Der Fantasie des US-Außenministeriums sei keine Grenze gesetzt. „Wir haben uns immer gegen die Militarisierung des Weltraums ausgesprochen“, sagte der Abgeordnete. Auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow nannte den Vorwurf, Moskau gefährde die friedliche Nutzung des Weltraums, „Heuchelei“. Es gebe dafür keinerlei Belege. Stattdessen treibe das Pentagon selbst „auf aktivste Art und Weise“ ein Wettrüsten im All voran, kritisierte Lawrow – etwa durch Tests von Angriffswaffen.

Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos teilte mit: „Für uns war und ist die absolute Sicherheit der Besatzung oberstes Gebot.“ Das russische Warnsystem für den erdnahen Weltraum überwache weiterhin die Lage, um mögliche Bedrohungen für die Raumstation und die Besatzung zu verhindern. Russland arbeite seit Jahrzehnten mit internationalen Partnern in der Raumfahrt zusammen.

Esa-Weltraumschrott-Experte Krag zeigt kein Verständnis für den Abschuss des russischen Satelliten. „Das ist absolut unnötig und erschwert die Raumfahrt weltweit“, sagt Krag.

Tass berichtete, der Generaldirektor der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, Dmitri Rogosin, werde an diesem Dienstag in Moskau mit Nasa-Vertretern zusammenkommen. Bei dem bereits seit längerem angesetzten Treffen werde es nun auch um den Vorfall vom Montag gehen.

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Die Nato hatte bereits im Juni beschlossen, dass Angriffe aus dem oder im Weltraum künftig nach Artikel 5 zur kollektiven Verteidigung als Bündnisfall behandelt werden können. Das gilt bisher für Angriffe am Boden oder im Luft-, See- oder Cyberraum.

Begründet wurde der Schritt unter anderem damit, dass Angriffe auf Satelliten im Fall eines Krieges genutzt werden könnten, um Teile des öffentlichen Lebens lahmzulegen. So könnten die Abwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, Handynetze oder Navigationssysteme für den Straßen-, See- und Luftverkehr schwer beeinträchtigt werden. Denkbar ist auch, dass Satelliten als Trägersysteme für Waffen genutzt werden, die dann auf Ziele auf der Erde gerichtet werden.

Mehr zum Thema: Matthias Maurer ist nach mehreren Verzögerungen zur ISS aufgebrochen. Im Interview spricht der deutsche Astronaut über seine Mission im Weltall, Forschung im freien Fall und sein nächstes Ziel.

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