Weltrisikobericht Weltwirtschaftsforum sieht die Welt im Krisenmodus

Laut dem Weltrisikobericht des WEFs herrscht eine wachsenden Kriegsangst. Quelle: AP

Es dauert nicht mehr lange, dann sei die Grenze der Belastbarkeit für die Welt erreicht. Zu diesem Schluss kommt das Weltwirtschaftsforum in seinem diesjährigen Risikobericht. Wie kann der Kollaps noch verhindert werden?

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Es ist ein gefährliches Bild, das der Risikobericht des Weltwirtschaftsforums (WEF) zeichnet. Massive Umweltprobleme wie Wetterextreme und Artensterben sowie Cyberattacken, politische Krisen und wirtschaftliche Ungleichheit - die Welt heutzutage hat demnach an vielen Fronten zu kämpfen. „Wir haben zugelassen, dass Brüche entstehen, die Institutionen, Gesellschaften und die Umwelt schwächen - diese Brüche gilt es nun zu heilen“, betonte WEF-Gründer Klaus Schwab.

Doch Hoffnung bestehe, sagte Schwab und verwies auf das starke Wachstum der Weltwirtschaft. „Die umfassende wirtschaftliche Erholung bietet uns eine Chance, die wir nicht vergeuden dürfen.“ Er rief Staats- und Regierungschefs auf, entschlossen und gemeinsam gegen komplexe Probleme in allen Bereichen vorzugehen.

So kommt der „Global Risks Report“ zu dem Schluss, dass die Menschheit Probleme haben wird, „mit dem immer schnelleren Wandel Schritt zu halten“. In vielen Bereichen sei die Grenze der Belastbarkeit erreicht, etwa beim Verlust der Vielfalt von Tieren und Pflanzen, der mit einem Massensterben vergleichbar sei, oder der wachsenden Kriegsangst.

Die größten Krisenherde der Welt
SyrienDer Syrien-Krieg ist der wohl schlimmste Konflikt der Gegenwart. Eine friedliche Lösung ist noch nicht in Sicht. Die Unruhen haben im Frühjahr 2011 mit Protesten gegen den Staatspräsidenten Assad begonnen. Die zunächst friedlichen Demonstranten wehrten sich gegen die Unterdrückung durch das Regime und forderten mehr Freiheit. Seitdem kämpfen Anhänger der Regierung, die Opposition und auch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ um die Macht im Land. Mittlerweile sind bei dem Konflikt schon mehr als 250.000 Menschen ums Leben gekommen. Knapp zwölf Millionen Menschen haben ihr Zuhause verloren. Quelle: dpa
LibyenDie Einheitsregierung des Landes kontrolliert nur einen Bruchteil der mehr als 1600 Kilometer langen Küste Libyens. Faktisch konnte Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch in dem knappen Jahr, das er nun in Tripolis regiert, seine Macht kaum über die Grenzen der Hauptstadt ausweiten. Und selbst dort macht ihm eine Gegenregierung das Leben schwer. Viele Flüchtlinge starten von Libyen aus über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa. Im vergangenen Jahr schafften es mehr als 181.000 Menschen über diese Route in die EU. Die Bedingungen in manchen Lagern und teils auch im Land insgesamt schätzen internationale Beobachter als erbärmlich ein. Natalia Alonso von der Hilfsorganisation Oxfam spricht von „entsetzlichen Misshandlungen“: „Menschen, denen es gelang, dieser Hölle zu entkommen, berichten regelmäßig von traumatisierender Gewalt, die sie dort erfahren haben, einschließlich Hunger, Schläge und Verbrennungen.“ Quelle: dpa
AfghanistanIm Jahr 2001 sind die USA in das Land einmarschiert, um das Terrornetzwerk Al-Kaida auszulöschen und die Taliban von der Macht zu vertreiben. Doch die beiden Gruppen töten weiter. Afghanistan steckt immer noch tief in der Krise. Mit rund 11.500 Toten und Verletzten hat die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand erreicht. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 3498 Zivilisten getötet und 7920 verletzt worden. Das sind etwas mehr als im Vorjahr. Unter anderem haben die Anschläge der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) deutlich zugenommen: Die Opferzahl durch IS-Angriffe hat sich im Vergleich zum Vorjahr verzehnfacht. Insgesamt gingen 61 Prozent der zivilen Opfer den Vereinten Nationen (UN) zufolge auf regierungsfeindliche Gruppen, wie die radikalislamischen Taliban und den IS zurück. Laut UN gab es zunehmend Selbstmordattentate etwa in Moscheen. Quelle: AP
NigeriaDie Islamistengruppe Boko Haram sorgt in Nigeria seit dem Jahr 2011 für Terror. Ihr Ziel ist es, einen eigenen Islamischen Staat zu gründen, dazu ermordet sie Christen und Muslime. Militärisch hat Nigeria die Boko Haram zurückgedrängt. Doch die sunnitschen Extremisten führen immer noch Anschläge im Nordosten des Landes aus. Mehr als zwei Millionen Nigerianer sind vor der Gewalt geflohen und leben in Flüchtlingslagern, wie zum Beispiel hier in Maiduguri. Im Nordosten des Landes sind den Vereinten Nationen zufolge fünf Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, rund zwei Millionen von ihnen gelten bereits als mangelernährt. Quelle: dpa
IrakDie Terrormiliz Islamischer (IS) Staat hat immer noch Teile des Irak unter ihrer Kontrolle. Die Befreiung des Landes vom IS ist laut dem dortigen UN-Gesandten Jan Kubis allerdings nicht mehr weit entfernt. Militäreinsätze gegen den IS würden „in der eher nahen absehbaren Zukunft“ zu einem Ende kommen, sagte Kubis vor dem Weltsicherheitsrat in New York. Die Tage der Terrororganisation seien gezählt. Das Land ist seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 destabilisiert. Die Vereinten Nationen schätzen, dass alleine im vergangenen Jahr knapp 7000 Zivilisten durch den Krieg ums Leben gekommen sind. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Quelle: dpa
SüdsudanDie jüngste Nation der Welt steht auf der Kippe. Das Land stürzte Ende 2013 in einen blutigen Bürgerkrieg. Auf der einen Seite stehen die Anhänger von Präsident Salva Kiir, auf der anderen die seines früheren Stellvertreters Riek Machar. Der Streit hat auch eine ethnische Komponente. Die beiden Männer gehören den beiden größten Volkgruppen des Landes, den Dinka und den Nuer, an. Die Vereinten Nationen warnen vor einem Völkermord. Etwa 13.000 Blauhelmsoldaten bemühen sich um eine Stabilisierung des ostafrikanischen Landes, die Entsendung von weiteren 4000 ist schon beschlossen. Der Ende 2013 ausgebrochene Konflikt hat Zehntausende Menschenleben gefordert; knapp drei Millionen Menschen sind auf der Flucht vor der Gewalt. Nach UN-Angaben haben rund 4,8 Millionen Menschen - also etwa jeder dritte Südsudanese - nicht genug zu essen. Quelle: dpa
SomaliaSeit 1991 steckt Somalia scheinbar in einem Kreislauf aus Gewalt, Flucht und Hunger. Seit dem Sturz des Machthabers Siad Barre gibt es in dem Land am Horn von Afrika keine funktionierende Regierung und es herrscht Bürgerkrieg. Die islamistische Terrororganisation Al-Shabaab hat große Teile Somalias unter Kontrolle und will in dem Land einen sogenannten Gottesstaat errichten. Trotz einer zum Großteil von der EU finanzierten und rund 20.000 Mann starken Friedenstruppe der Afrikanischen Union sind Frieden und Stabilität noch nicht in Sicht. Al Shabaab greift auch immer wieder Ziele im benachbarten Kenia an. Quelle: dpa

Denn klar ist auch: „Die geopolitische Landschaft verschlechtert sich“, wie das WEF festhält - etwa mit Blick auf die Krise um Nordkorea. Von den rund 1000 befragten Wirtschaftswissenschaftlern und Managern glaubt eine große Mehrheit (93 Prozent), dass sich politische und wirtschaftliche Auseinandersetzungen in diesem Jahr verschärfen werden. Spannungen gibt es genug, und oft stehen die USA unter Präsident Donald Trump als Akteur im Mittelpunkt, ob im Konflikt mit Nordkorea oder mit China, mit Russland oder beim Freihandel. Umso gespannter wird die Rede Trumps zum Abschluss der diesjährigen Tagung im schweizerischen Alpenort Davos erwartet.

Traditionell stellte das WEF den Weltrisikobericht rund eine Woche vor Beginn dieser Konferenz vor. Die Studie sei eine Art Anleitung, „was wirklich die zentralen Fragen 2018 sein werden“, sagte Schwab bei der Vorstellung des Konferenzprogramms am Dienstag.

In Davos diskutieren vom 23. bis 26. Januar mehr als 3000 Top-Politiker, Spitzenmanager sowie Vertreter internationaler Organisationen und der Zivilgesellschaft unter dem Motto „Für eine gemeinsame Zukunft in einer zersplitterten Welt“. „Die Herausforderung besteht vor allem darin, zusammen den Willen und die Dynamik aufzubringen, uns für eine gemeinsame Zukunft stark zu machen“, so WEF-Gründer Schwab.

Stark gemacht werden muss die Welt auch gegen die zunehmende Gefahr groß angelegter Cyberattacken, die der WEF-Bericht als zweitgrößtes Risiko einstuft. „Geopolitische Reibungen tragen dazu bei, dass Cyberangriffe sowohl häufiger als auch komplexer werden“, sagte John Drzik vom Industrieversicherungsmakler Marsh. Zudem nehme die digitale Angriffsfläche zu, da Konzerne - und auch Einzelpersonen - immer stärker von Technologie abhängig seien. Drzik forderte Unternehmen und Regierungen auf, „noch wesentlich mehr in Widerstandsfähigkeit“ zu investieren.

Möglicherweise helfen dabei auch die zehn „Denkanstöße“, die das WEF den etwa 70 Staats- und Regierungschefs, die nach Davos kommen, in der Form von „Was wäre, wenn“-Szenarien an die Hand gibt. Dabei geht es unter anderem um Cyberattacken als „Krieg ohne Regeln“, wodurch Konflikte in unvorhersehbarer Weise eskalieren könnten, aber auch um Populismuswellen als Gefahr für die Demokratie oder Handelskriege. „Es ist noch nicht zu spät, um ein belastbares Morgen zu gestalten, aber wir müssen mit einem stärkeren Gefühl der Dringlichkeit handeln, um einen möglichen Systemzusammenbruch zu verhindern“, sagte Alison Martin, Risikochefin des Schweizer Versicherungskonzerns Zurich.

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