Verstehe jemand diese Welt: Auf der einen Seite suchen global gut 200 Millionen Menschen neue Jobs, schlagen sich in großer Zahl als Flüchtlinge bis in die vermeintlich geweihten Volkswirtschaften des Westens durch – während am anderen Ende der global-ökonomischen Nahrungskette Länder um die weltweit besten Arbeitskräfte wetteifern. Das Problem: beides fügt sich leider so recht nicht zusammen.
Man kann das sehr schön am Beispiel Deutschland sehen: Während nicht wenige Deutsche angesichts von mehr als einer Millionen geflüchteter Zuwanderer seit Januar 2015 dem Eindruck verfallen, ihre wirtschaftwunderlich gesegnetes Land werde zum Magneten für die halbe Welt, ergibt der Blick des nüchternen Ökonomen etwas anders: Insbesondere bei den Menschen, die gemeinhin als förderlich für die Entwicklung einer Volkswirtschaft gehalten werden, verliert Deutschland an Boden.
Ein wichtiger Grund: Fehlende Offenheit in Wirtschaft und Gesellschaft. Das jedenfalls ist eines der Kernergebnisse des Global Talent Competitiveness Indexes, den der Zeitarbeitskonzern Adecco und die Wirtschaftshochschule Insead zum Auftakt des Weltwirtschaftsforums in Davos vorstellten.
Statt Flüchtlingsmagnet Deutschland, das sogar aus den Top 10 der Länder fällt, die weltweit am attraktivsten für junge, hochqualifizierte Arbeitnehmer und Gründer sind, macht eine Reihe kleiner Staaten das Rennen. Für Studienleiter Bruno Lanvin, Ökonom an der Insead, hat das vor allem einen Grund: „Kleine Länder haben eher gelernt, dass sie sich öffnen müssen, wenn sie Wohlstand schaffen wollen.“ Demzufolge haben in dem Ranking erfolgreiche Länder besonders hohe Quoten an im Ausland geborenen Arbeitnehmern von bis zu 50 Prozent.
Und diese Offenheit, das nehmen die Forscher an, zieht auch junge Top-Talente weltweit an. Das, übrigens, mahnen die Forscher, ist längst kein weicher Faktor mehr. Denn die digitale Revolution verändert das Kräfteverhältnis im Dreieck Gesellschaft-Arbeitnehmer-Wirtschaft: „Heute müssen nicht mehr Top-Talente dahin, wo die beste Arbeit ist, sondern die beste Arbeit geht dorthin, wo die besten Leute sitzen“, schreiben die Forscher, die für die Studie 109 Länder aufgrund von Makrodaten anhand von sechs Kriterien bewerteten – von Bildung bis zu Arbeitsmarktgestaltung und Wachstumsorientierung.
Das sind die zehn Länder, die das nach Ansicht der Studienautoren derzeit am besten hinbekommen:
Diese 10 Länder werden die weltbesten Talente anwerben
Finnland
Wenig überraschend ist es bei dem Pisa-Dauersieger aus dem hohen Norden das Bildungssystem, das das Land in den Augen der Studien-Autoren zur Weltspitze gehören lässt.
Kanada
Ein herausragendes Bildungssystem sorgt in dem Land dafür, dass sowohl für Einwanderer wie für ursprüngliche Kanadier die soziale Mobilität besonders hoch ist.
Norwegen
Wie bei allen Skandinaviern sorgen auch bei Norwegen vorbildliche soziale Durchlässigkeit und eine hervorragende Gleichstellung der Geschlechter für einen vorderen Platz.
Großbritannien
Das Königreich ist aus zwei Punkten interessant: Zum einen, weil es bei keinem der untersuchten Punkte außerordentlich gut ist, sondern eher durch konstante Unauffälligkeit auffällt. Zum anderen, weil es dem Land besser gelingt, junge Talente von außen anzulocken, als dem eigenen Nachwuchs besonders attraktive Entwicklungschancen zu bieten. Das Königreich ist gut im integrieren von ausländischen Talenten, aber schlecht bei der Durchlässigkeit des eigenen Bildungssystems.
Schweden
Nahezu Gleichberechtigung, gute soziale Durchlässigkeit und hohe Aufgeschlossenheit und Fremdsprachenkompetenz der Bevölkerung, sind die Werte, die Schweden weit nach oben in dem Ranking spülen.
Dänemark
Obwohl derzeit eher durch rechtspopulistische Eigentümelei auffallend, bescheinigen die Studien-Autoren dem skandinavischen Land eine hohe Attraktivität für die großen Talente dieser Welt. Unangefochtener Spitzenreiter ist das Land beim Thema soziale Durchlässigkeit.
USA
Das erste Nicht-Zwergenland unter den Top 10. Den USA kommt bei der vorliegenden Studie vor allem ihre beispiellose Landschaft an Elite-Universitäten zu Gute. Zudem hätten die USA es verstanden, vor allem jene Ausländer auf Dauer in den Arbeitsmarkt zu integrieren, von denen das Land profitiere.
Luxemburg
Wenn auch unter europäischen Politikern nicht mehr sonderlich beliebt, schneidet der Zwergenstaat gut ab. Begründung: Luxemburgs Arbeitsmarkt sei für Menschen aus aller Welt hervorragend geöffnet, das Wirtschaftsmodell sei nachhaltig erfolgreich.
Singapur
Der Stadtstaat überzeugt die Studien-Autoren vor allem durch die Möglichkeiten, die er Wachstumsbranchen bietet und seine Aufgeschlossenheit gegenüber Expats. Große Schwäche: Das mäßig demokratisch regierte Land schafft es nicht, die eigenen Einwohner hervorragend auszubilden. Was angesichts des Angebots an hochqualifizierten Expats womöglich ein Anreizproblem ist.
Schweiz
Das Ergebnis scheint angesichts des Werts der gesellschaftlichen „Offenheit“ zunächst paradox. Doch hier stellen die Studien-Autoren fest: Scheinbar negative Entwicklungen wie das Referendum zur Begrenzung der Einwanderung hätten bisher kaum praktische Folgen. Stattdessen beeindrucke die Schweiz durch ein sehr gutes und durchlässiges Bildungssystem, seine gute Berufsausbildung und die gute soziale Mobilität. Aufholbedarf hat das Land allein beim Thema Frauen in Führungspositionen – hier landet die Schweiz unter 109 Ländern auf Platz 76.
Und Deutschland? Gute Ergebnisse bescheinigt die Studie dem Exportweltmeister in Sachen Qualifikation der Arbeitskräfte, Lebensbedingungen und Nachhaltigkeit.
Großes Manko ist die fehlende Offenheit, insbesondere auch der Wirtschaft, für ausländische Talente. Hier stufen die Forscher Deutschland nur auf Platz 22 ein.