Weltwirtschaft „Eine globale Rezession ist jetzt wahrscheinlich“

Die Invasion Russlands auf die Ukraine könnte Chinas Blaupause für Taiwan werden. Quelle: imago images

Die russische Invasion in der Ukraine könnte die Weltwirtschaft stärker nach unten ziehen als gedacht, warnt der US-Ökonom Nouriel Roubini in einem Gastbeitrag. Die Inflation droht weiter zu steigen – und vielen Staaten fehlen nach zwei Jahren Pandemie die finanziellen Mittel, um die Konjunktur zu stützen.

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Nouriel Roubini, ist emeritierter Professor für Ökonomie an der Stern School of Business der New York University sowie Chefökonom des Fintech-Unternehmens Atlas Capital Team.

Mit der russischen Invasion in der Ukraine erleben wir in diesen Tagen eine massive Eskalation eines zweiten Kalten Krieges – und es besteht die Gefahr, dass die Märkte und die politischen Analysten die wirtschaftlichen Folgen unterschätzen. Dabei ist jetzt eine globale stagflationäre Rezession sehr wahrscheinlich.

Analysten fragen sich, ob die Fed und andere großen Zentralbanken diese Krise und ihre Folgen abfedern können. Darauf sollten wir uns aber nicht verlassen: Der Krieg in der Ukraine wird einen massiven negativen Angebotsschock für die Weltwirtschaft auslösen, das Wachstum verringern und die Inflation weiter steigern – zu einem Zeitpunkt, an dem die Inflationserwartungen bereits in die Höhe gehen.

Der kurzfristige Effekt des Krieges auf die Finanzmärkte ist bereits absehbar: Angesichts eines massiven stagflationären Schocks mit entsprechender Risikoflucht könnten die weltweiten Aktienmärkte von der momentanen Korrekturphase (minus zehn Prozent) in einen Bärenmarkt übergehen (minus 20 Prozent oder mehr). Sichere Staatsanleihen dürften eine Weile im Kurs fallen und dann, wenn die Inflation in die Höhe schnellt, steigen. Öl und Erdgas werden – mit weit über 100 Dollar pro Barrel – neue Preisspitzen erreichen, ebenso wie viele andere Rohstoffe, da sowohl Russland als auch die Ukraine große Exporteure von Rohmaterialien und Nahrungsmitteln sind. Auch ist damit zu rechnen, dass der Goldpreis und Sichere-Hafen-Währungen wie der Schweizer Franken weiter steigen.

Der wirtschaftliche und finanzielle Effekt des Krieges und des nachfolgenden stagflationären Schocks werden natürlich in Russland und der Ukraine am stärksten sein – gefolgt von der Europäischen Union, die massiv von russischem Gas abhängig ist. Aber auch die USA können sich der Krise nicht entziehen. Da die weltweiten Energiemärkte stark integriert sind, werden weltweite Preisspitzen beim Öl der Sorte Brent auch die Preise für US-Rohöl (West Texas Intermediate) erheblich beeinflussen. Zwar sind die USA inzwischen im Energiesektor ein Nettoexporteur, aber die makroökonomischen Effekte des Schocks wirken sich trotzdem unter dem Strich negativ aus. Ein paar Energieunternehmen könnten höhere Gewinne machen, aber Haushalten und Unternehmen droht ein massiver Preisschock – was die Ausgaben nach unten treibt.

Angesichts dieser Dynamik bahnt sich sogar in der starken US-Wirtschaft ein scharfer Rückgang und eine Rezession an. Weiter verschärft werden die negativen makroökonomischen Effekte der russischen Invasion durch restriktivere Finanzierungsbedingungen und die daraus entstehenden Folgen für Unternehmen, Verbraucher und das Investorenvertrauen – sowohl in den USA als auch weltweit.

Auch die bevorstehenden Sanktionen gegen Russland – wie umfangreich sie auch ausfallen und wie nötig sie für zukünftige Abschreckung auch sein mögen – schmerzen nicht nur Russland, sondern auch die USA, den Westen und die Entwicklungsländer. Darüber hinaus ist es möglich, dass Russland auf westliche Sanktionen mit Gegenmaßnahmen reagiert, etwa mit einer stark verringerten Ölförderung, um die weltweiten Ölpreise noch weiter in die Höhe zu treiben. So lange die Preissteigerungen größer sind als der Rückgang der Ölexporte, würde dies für Russland einen Nettogewinn bedeuten. Putin weiß, dass er den westlichen Volkswirtschaften und Märkten asymmetrisch schaden kann, da er den größten Teil des vergangenen Jahrzehnts damit verbracht hat, seine Kriegskasse aufzufüllen und sich finanziell gegen zusätzliche Wirtschaftssanktionen abzuschirmen.

Wie werden die Zentralbanken auf die neue Lage reagieren? Ein stagflationärer Schock ist für sie ein Albtraum. In einem Umfeld steigender Inflation könnte eine langsamere geldpolitische Straffung die Inflationserwartungen weiter beschleunigen und die Stagflation verschlimmern. Aber wenn die Zentralbanken die Zinsen erhöhen, erhöhen sie die Rezessionsgefahr.


Für die Zentralbanken kommt der Moment der Wahrheit

Obwohl die Zentralbanken die Rückkehr der Inflation aggressiv bekämpfen sollten, dürften sie nun wahrscheinlich (wie in den Siebzigerjahren) zunächst versuchen, sie unter den Tisch zu kehren – mit dem Argument, das Problem sei vorübergehend, und die Geldpolitik könne exogene negative Angebotsschocks nicht beeinflussen. Doch irgendwann kommt der Moment der Wahrheit.

Die Politiker werden unterdessen versuchen, den negativen Angebotsschock zu dämpfen. Die USA könnten ihre strategischen Ölreserven anzapfen und Saudi-Arabien dazu drängen, die Ölförderung zu erhöhen. Ein Vorstoß mit überschaubarem Effekt: Die Ängste vor weiteren Preisspitzen führt wahrscheinlich dazu, dass weltweit Energieressourcen gehortet werden.



Auch die Haushaltspolitik steht als Krisenfeuerwehr nicht wirklich bereit. Erstens geht den USA und vielen anderen Industrienationen die fiskale Munition aus, da sie gegen die Pandemie bereits alle monetären Dämme eingerissen haben. Und zweitens sind haushaltspolitische (Nachfrage-)Stimuli die falsche Antwort auf einen stagflationären Angebotsschock. Sie können zwar die negativen Wachstumseffekte verringern, tragen aber zum Inflationsdruck bei. Und wenn die Politiker gegen den Schock sowohl geldpolitische als auch haushaltspolitische Maßnahmen einsetzen, werden die stagflationären Folgen aufgrund immer stärker steigender Inflationserwartungen noch schlimmer.

Es ist verführerisch zu glauben, der russisch-ukrainische Konflikt hätte nur geringe und kurzfristige wirtschaftliche und finanzielle Folgen. Immerhin trägt Russland nur drei Prozent zur Weltwirtschaft bei, und die Ukraine noch viel weniger. Man sollte aber nicht vergessen: Die arabischen Staaten mit ihrem Ölembargo von 1973 und das revolutionäre Iran im Jahr 1979 hatten einen noch kleineren Anteil am globalen BIP als Russland heute.

Fakt ist: Putins Krieg wird dem weltweiten Vertrauen einen massiven Schlag versetzen – in Zeiten eines ohnehin fragilen Aufschwungs, der von Unsicherheit und steigendem Inflationsdruck begleitet ist. Die Folgen der Ukraine-Krise werden alles andere als vorübergehend sein.

Mehr zum Thema: Lange haben die Börsen Inflationsgefahr und Ukrainekrise unterschätzt. Das wird jetzt nachgeholt. Öl und Gold boomen, der Euro schmiert ab. Wie geht es weiter? Was zeigen frühere Krisen?

Dieser Artikel wurde erstmals am 28. Februar 2022 veröffentlicht und später aktualisiert.

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