Weltwirtschaftsforum Angst vor neuer Eskalation im Ukraine-Konflikt

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko gab sich beim Weltwirtschaftsforum kämpferisch, wenig später reiste er ab - weil russische Truppen in die Ukraine eingedrungen sein sollen. Was treibt Russland an?

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Spitzentreffen im Goldenen Ei
Das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos will angesichts der neuen globalen Unsicherheiten vor allem zur Bildung von Vertrauen beitragen. Die Welt stehe vor der Entscheidung zwischen einem Schulterschluss oder einem Auseinanderdriften, warnte der Initiator der Eliterunde, Klaus Schwab. Quelle: REUTERS
Der aus Ravensburg stammende Ökonomie-Professor Klaus Schwab hat das als Nonprofit-Unternehmen angelegte WEF einst gegründet. Der heute 75-Jährige will die unabhängige Stiftung nach eigenem Bekunden noch mindestens bis zum 50. Weltwirtschaftsforum im Jahr 2020 leiten. Quelle: dpa
Dem Forum gehören mehr als 1000 Unternehmen an – darunter 122 der weltweit größten als sogenannte strategische Partner. Erklärtes Ziel des World Economic Forum ist es, „den Zustand der Welt zu verbessern“. Quelle: REUTERS
Für dieses Jahr hat sich eine Rekordzahl von mehr als 2500 Topmanagern, Spitzenpolitikern und Wissenschaftlern aus gut 140 Ländern angesagt. Auch für sie gibt es diese neuen Hinweistafeln. Quelle: AP
Zwischen den Vorträgen und Diskussionsrunden lohnt ein Abstecher mit der Bahn auf das Weissfluhjoch. Russlands Ministerpräsident Dmitri  Medwedew ließ sich bei einem früheren Treffen schon beim Skifahren ablichten. Quelle: AP
Mehr als 40 Staats- und Regierungschefs werden in diesen Tagen in Davos erwartet. Die Sicherheitsvorkehrungen sind entsprechend hoch. Quelle: AP
Mit Fernglas und Schusswaffe ist dieser Polizist auf einem Dach postiert. Wie viele Polizisten insgesamt das Forum überwachen, bleibt ein Geheimnis. Im Einsatz sind außer ihnen rund 3000 Soldaten. Eurofighter sichern während des Forums den Luftraum. Quelle: REUTERS

Petro Poroschenko hatte beim Weltwirtschaftsforum in Davos die große Bühne für sich. Da weder Wladimir Putin noch Ministerpräsident Dmitri Medwedew aus Russland anreisten, hatte der ukrainische Präsident die Möglichkeit, der Elite in Davos seine Sicht der Dinge zu schildern – ohne Widerspruch. Das tat er zunächst auch.

Poroschenko betonte der Presse gegenüber, er habe keinerlei Vertrauen mehr zu Putin. Dennoch versuche er, den Dialog aufrecht zu halten und mindestens alle zwei Wochen mit dem russischen Präsidenten zu sprechen. „Wir brauchen eine politische Lösung.“

Gleichwohl machte er klar, dass die ukrainische Armee inzwischen wieder kampfbereit sei. „Wir haben ausgebildete Soldaten, die gut ausgerüstet sind und eine hervorragende Kampferfahrung haben“, so Poroschenko. Bislang versuche die Ukraine, auf die Aggressionen der Russen nicht einzugehen. Aber: „Ich werde Putin keine Möglichkeit geben, uns irgendein Stück der Ukraine wegzunehmen“. Und weiter: „Wir sind bereit, unser Land zu verteidigen.“

Die wichtigsten WEF-Termine 2015

Unmittelbar nachdem Poroschenko seine kämpferischen Aussagen vor Medienvertretern und später im Kongresszentrum von Davos getätigt hatte, machte sich der ukrainische Präsident – überraschend und entgegen den eigentlichen Plänen – auf den Rückflug nach Kiew.

Zur Begründung sagte Poroschenko, er hätte Hinweise, dass „2000 russische Soldaten und 200 Panzer“ in die Ukraine einmarschiert seien. Später geisterten Gerüchte über 10.000 russische Soldaten durch die Gänge von Davos. Das russische Verteidigungsministerium wies diese Vorwürfe als „kompletten Müll“ zurück.

Bestätigen ließen sich die Gerüchte vorerst nicht. Ukrainer, Russen und ihre Separatisten schaukeln sich in Übertreibungen seit Monaten hoch. Aufnahmen russischer Panzerkolonnen, mit denen Journalisten internationaler Medien im Sommer die materielle Unterstützung der Separatisten durch Russland dokumentiert hatten, liefen am Mittwoch nicht über die Ticker.

Dass Russland in der Ost-Ukraine einen „hybriden Krieg“ ohne Kriegserklärung und ohne Hoheitsabzeichen führt, zieht kaum ein ernstzunehmender Beobachter in Zweifel. Zu welchen Teilen Separatisten aber Ukrainer, ob und in welchem Umfang sie von professionellen Soldaten, Freiwilligen und Söldnern aus Russland unterstützt werden, bleibt indes im Nebel.

Was treibt Russland an?

Es herrscht Krieg im Osten der Ukraine, schon seit acht Monaten. Und ohne einen Deal mit Russland wird ihn Petro Poroschenko nicht gewinnen können. Jedes Mal, wenn seine Armee die Separatisten zu besiegen scheint, kommt Hilfe. Zuletzt bewies die russische Armee im August mit der Schlacht bei Ilowajsk, dass sie blitzschnell mit regulären Einheiten eingreifen – und den Konflikt zu Gunsten der Separatisten drehen kann. So hält der Kreml diesen sinnlosen Krieg am Köcheln.

Was treibt Russland an? Die Antwort ist einfach, sagt der russische Ökonom Sergei Guriev im  Gespräch mit WirtschaftsWoche Online. „Die Regierung hat wahre Existenzängste. Sie kämpft um ihr Überleben.“ Guriev war einst Rektor der Moskauer „New Economic School“; er beriet Medwedew in wirtschaftlichen Fragen und wurde vom Weltwirtschaftsforum in den Eliteclub der „Young Global Leader“ aufgenommen. Ende April 2013 – Guriev galt inzwischen als einer der prominentesten Kritiker von Medwedew-Nachfolger Wladimir Putin – floh er nach Paris. Nun beobachtet aus der Ferne, wie sich sein Heimatland immer weiter isoliert.

Dass Putin von der großen Mehrheit der Russen gestützt wird, glaubt er nicht – trotz offizieller Zustimmungsraten von 85 Prozent. „Diese Zahlen sollte man tunlichst nicht überbewerten und weiterverbreiten; das wäre eine gefährliche Übernahme der russischen Propaganda“, sagt Guriev und führt aus: „Rumäniens Diktator Nicolae Ceausescu hatte eine Zustimmungsrate von angeblich 99 Prozent der Bürger, zwei Tage bevor er getötet wurde.“ Die Zahlen über Putin seien unglaubwürdig, so der Ökonom und ein Ausdruck dafür, wie stark die russische Propaganda derzeit sei.

International isoliert

Fakt ist: Aufgrund des niedrigen Ölpreises und der Sanktionen des Westens als Antwort auf die Annexion der Krim befindet sich die russische Wirtschaft im freien Fall. Die in London ansässige Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) korrigierte ihre Erwartungen an das Wirtschaftswachstum Russlands zu Beginn der Woche drastisch nach unten und rechnet nun für 2015 mit einem Minus von 4,8 Prozent. Im September war sie noch davon ausgegangen, dass die russische Konjunktur in diesem Jahr um lediglich 0,2 Prozent nachgibt.

Welchen Staaten der niedrige Ölpreis besonders schadet
Erdölförderung Quelle: dpa
Ölförderung in Saudi-Arabien Quelle: REUTERS
Ölförderung in Russland Quelle: REUTERS
Oman Ölpreis Quelle: Richard Bartz - eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons
Öl-Leitung im Niger-Delta Quelle: dpa
Ölförderpumpe in Bahrain Quelle: AP
Venezuela Ölförderung Quelle: REUTERS

„Wenn der Ölpreis in diesem Jahr bei 50 US-Dollar pro Barrel bleibt, werden große Einsparungen im öffentlichen Haushalt in Russland nötig“, sagt Russland-Kenner Sergei Guriev. Egal wie stark die Einschnitte werden: Der Ökonom geht davon aus, dass die Rücklagen dann auch bis zum Ende des Jahres aufgezehrt sein werden. „Das russische BIP dürfte um mindestens 5,0 Prozent sinken bei dem oben genannten Ölpreis“, glaubt auch Guriev. „Möglicherweise auch stärker, wenn die Regierung Löhne kürzen muss und so die Binnennachfrage weiter einbricht.“

Die russische Führung versucht anderweitig zu punkten; mit einer expansiven Außenpolitik etwa. „Russland wird die USA herausfordern und ihre geopolitische Stellung angreifen wollen“, erklärt der New Yorker Politologe und Präsident des renommierten Thinktanks Eurasia Group Ian Bremmer in Davos. Putin habe seinen Expansionsdrang längst noch nicht abgeschlossen. „Vor allem Moldawien halte ich neben der Ukraine für gefährdet“, sagt der US-Amerikaner.

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In der abtrünnigen Region Transnistrien stehen schon lange russische Truppen. Zudem beäugt Moskau die Annäherung Moldawiens an den Westen, das ähnlich wie die Ukraine mehr Geschäfte mit der EU machen will, skeptisch. Nicht nur Moldawien sorgt sich. Von der Ostsee bis zum Pazifik reich die Kette der Länder, denen die Krim-Krise Angst macht. Verständnis für Moskaus Kurs hat kaum einer.

Russland sucht nach neuen Partnern

Dass Russland zunehmend international isoliert ist, sorgt auch in Moskau für Bauchschmerzen. Die Folge: Das Land sucht nach neuen Partnern, flirtet vor allem mit China. Doch das Riesenreich zeigt sich unbeeindruckt. Kreml-Kritiker Sergei Guriev wundert das nicht. „China ist unglücklich, dass Moskau immer nur auf das Land zukommt, wenn es in Not ist und Probleme mit dem Westen hat“, weiß der Ökonom. „Der zweite Grund ist: China will es sich nicht mit dem Westen verscherzen. Die Beziehungen zu den USA sind den Chinesen viel wichtiger als etwaige Geschäfte mit Putin.“

Folgerichtig spricht die chinesische Führung beim WEF auch lieber über sich (und mit Geschäftspartnern aus dem Westen) als über Russland. Auch die Türkei oder Ungarn zeigen sich zum Gespräch mit Russland bereit; mehr als vage Sympathiebekundungen sind bei den Treffen der Regierungsspitzen aber bisher nicht herausgekommen.

Wie also geht es nun weiter mit Moskau? Sergei Guriev hofft, dass sich die kritischen Stimmen in Russland – die es durchaus gibt – am derzeitigen Kurs durchsetzen und die Kreml-Führung doch noch reagiert bzw. reagieren muss. „Klar ist: Man darf Putin in der Öffentlichkeit nicht kritisieren. In kleiner Runde aber gibt es Leute, die auf ihn einwirken können und von dieser Option auch Gebrauch machen“, weiß Guriev.

Beratungsresistent sei Putin nicht, sagt Guriev. Nur: Auf Stimmen aus den Westen hört er derzeit nicht. Die Abwesenheit der russischen Führung in Davos zeigt dies deutlich.

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