Petro Poroschenko hatte beim Weltwirtschaftsforum in Davos die große Bühne für sich. Da weder Wladimir Putin noch Ministerpräsident Dmitri Medwedew aus Russland anreisten, hatte der ukrainische Präsident die Möglichkeit, der Elite in Davos seine Sicht der Dinge zu schildern – ohne Widerspruch. Das tat er zunächst auch.
Poroschenko betonte der Presse gegenüber, er habe keinerlei Vertrauen mehr zu Putin. Dennoch versuche er, den Dialog aufrecht zu halten und mindestens alle zwei Wochen mit dem russischen Präsidenten zu sprechen. „Wir brauchen eine politische Lösung.“
Gleichwohl machte er klar, dass die ukrainische Armee inzwischen wieder kampfbereit sei. „Wir haben ausgebildete Soldaten, die gut ausgerüstet sind und eine hervorragende Kampferfahrung haben“, so Poroschenko. Bislang versuche die Ukraine, auf die Aggressionen der Russen nicht einzugehen. Aber: „Ich werde Putin keine Möglichkeit geben, uns irgendein Stück der Ukraine wegzunehmen“. Und weiter: „Wir sind bereit, unser Land zu verteidigen.“
Die wichtigsten WEF-Termine 2015
Während die russische Delegation mit wenig bekannten Gesichtern auskommen muss, reist für die Ukraine der Präsident Pedro Poroschenko persönlich nach Davos. Er spricht am Mittwoch, 15.30 Uhr, über die Zukunftsperspektiven seines Landes.
Mario Draghi dürfte am Donnerstag die umstrittenen ausgeweiteten Anleihenkäufe der EZB bekanntgeben. Einen Tag später, Freitag, 23. Januar, 13 Uhr, debattieren Finanzminister Wolfgang Schäuble, der britische Schatzkanzler George Osborne und Investor George Soros über die Geldpolitik der EZB. Dass die deutsche Sichtweise von der angloamerikanischen abweicht, dürfte die Debatte beleben.
Ebenfalls am Freitag, 23. Januar, steht der Kampf gegen den Terrorismus auf der Tagesordnung. Neben dem französischen Präsidenten François Hollande, der ab 11.30h kurz auf die Anschläge von Paris eingehen wird, werden sich US-Außenminister John Kerry (16.40h) und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi äußern, wie der islamistische Terrorismus eingedämmt werden kann (Do., 11.30h).
Al Gore ist einer der bekanntesten Warner und Mahner in der Klimapolitik. Der ehemalige US-Vizepräsident und Friedensnobelpreisträger ruft die Welt am Mittwoch, 10 Uhr, zum Handeln auf. In weiteren Diskussionsrunden erklärt er, was er vom Klimagipfel Ende 2015 erwartet.
Unmittelbar nachdem Poroschenko seine kämpferischen Aussagen vor Medienvertretern und später im Kongresszentrum von Davos getätigt hatte, machte sich der ukrainische Präsident – überraschend und entgegen den eigentlichen Plänen – auf den Rückflug nach Kiew.
Zur Begründung sagte Poroschenko, er hätte Hinweise, dass „2000 russische Soldaten und 200 Panzer“ in die Ukraine einmarschiert seien. Später geisterten Gerüchte über 10.000 russische Soldaten durch die Gänge von Davos. Das russische Verteidigungsministerium wies diese Vorwürfe als „kompletten Müll“ zurück.
Bestätigen ließen sich die Gerüchte vorerst nicht. Ukrainer, Russen und ihre Separatisten schaukeln sich in Übertreibungen seit Monaten hoch. Aufnahmen russischer Panzerkolonnen, mit denen Journalisten internationaler Medien im Sommer die materielle Unterstützung der Separatisten durch Russland dokumentiert hatten, liefen am Mittwoch nicht über die Ticker.
Dass Russland in der Ost-Ukraine einen „hybriden Krieg“ ohne Kriegserklärung und ohne Hoheitsabzeichen führt, zieht kaum ein ernstzunehmender Beobachter in Zweifel. Zu welchen Teilen Separatisten aber Ukrainer, ob und in welchem Umfang sie von professionellen Soldaten, Freiwilligen und Söldnern aus Russland unterstützt werden, bleibt indes im Nebel.
Was treibt Russland an?
Es herrscht Krieg im Osten der Ukraine, schon seit acht Monaten. Und ohne einen Deal mit Russland wird ihn Petro Poroschenko nicht gewinnen können. Jedes Mal, wenn seine Armee die Separatisten zu besiegen scheint, kommt Hilfe. Zuletzt bewies die russische Armee im August mit der Schlacht bei Ilowajsk, dass sie blitzschnell mit regulären Einheiten eingreifen – und den Konflikt zu Gunsten der Separatisten drehen kann. So hält der Kreml diesen sinnlosen Krieg am Köcheln.
Was treibt Russland an? Die Antwort ist einfach, sagt der russische Ökonom Sergei Guriev im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online. „Die Regierung hat wahre Existenzängste. Sie kämpft um ihr Überleben.“ Guriev war einst Rektor der Moskauer „New Economic School“; er beriet Medwedew in wirtschaftlichen Fragen und wurde vom Weltwirtschaftsforum in den Eliteclub der „Young Global Leader“ aufgenommen. Ende April 2013 – Guriev galt inzwischen als einer der prominentesten Kritiker von Medwedew-Nachfolger Wladimir Putin – floh er nach Paris. Nun beobachtet aus der Ferne, wie sich sein Heimatland immer weiter isoliert.
Dass Putin von der großen Mehrheit der Russen gestützt wird, glaubt er nicht – trotz offizieller Zustimmungsraten von 85 Prozent. „Diese Zahlen sollte man tunlichst nicht überbewerten und weiterverbreiten; das wäre eine gefährliche Übernahme der russischen Propaganda“, sagt Guriev und führt aus: „Rumäniens Diktator Nicolae Ceausescu hatte eine Zustimmungsrate von angeblich 99 Prozent der Bürger, zwei Tage bevor er getötet wurde.“ Die Zahlen über Putin seien unglaubwürdig, so der Ökonom und ein Ausdruck dafür, wie stark die russische Propaganda derzeit sei.