Weltwirtschaftsforum in Davos Warum Davos (ein bisschen) besser ist als sein Ruf

Flüchtlingsdebatte, Terrorangst, Ölpreis-Kollaps und Börsencrash in China: Die Welt leidet unter multiresistenten Krisen, die ganz wichtigen Staatschefs bleiben zu Hause. Fünf Gründe, warum sich Davos dennoch lohnt.

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Vom 20.-23. Januar findet das Weltwirtschaftsforum in Davos statt. Quelle: AP

Natürlich ist es der Job des ehemaligen deutschen Vize-Kanzlers Philipp Rösler (FDP) gutes und glamouröses über das heute beginnende Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos zu verbreiten. Und so sollte es nicht wundern, wenn der für politische Beziehungen zuständige Vorstand des Weltwirtschaftsforums an diesem Montag der Süddeutschen Zeitung sagte: "In einer Zeit, in der es so viele Krisen gibt, gibt es einen großen Wunsch, sich persönlich auszutauschen. Man braucht uns gerade jetzt und heute."

Und dann blickt man auf die offiziellen Verlautbarungen zum Programm dieses Jahres und wundert sich doch: Die „Vierte industrielle Revolution“ soll demnach in den Alpen von den 2500 Teilnehmern aus Wirtschaft und Politik, darunter 50 Staats- und Regierungschefs, behandelt werden. Ein wichtiges Thema, zweifelsohne, zudem das WEF mit einer eigenen Studie, die den Verlust von fünf Millionen Arbeitsplätzen durch Roboterisierung in den Industrieländern beschwört, die Dringlichkeit selbst unterstreicht.

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Nur ist das Thema angesichts von Flüchtlingskrise und Nationalismus in Europa, Wirtschaftseinbruch in China und Ölpreisverfall, Donald Trump in den USA und Terror in der halben Welt wirklich das drängendste? Oder droht das WEF das Schicksal seines eingeschneiten, nur über eine kleine Straße und die Räthische Eisenbahn zu erreichenden Gastgeberortes zu ereilen – und etwas abseits des Geschehens zu landen.

Skeptiker sehen sich bestätigt, da doch die wirklich entscheidenden Regierungschefs dieser Welt, die Barack Obamas, Angela Merkels, David Camerons und Wladimir Putins dieses Mal fehlen.

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Nun sind aber Abgesänge auf das Eliten-Stelldichein so alt wie die Veranstaltung selbst. „Abgehoben“, „abseitig“, „überkommen“ sind seit Jahre Adjektive, die sich zum Forum gesellt haben. Und vermutlich lässt sich wirklich diskutieren, ob es noch zeitgemäß ist, dass sich 2500 überwiegend weiße, ältere Herren (der Frauenanteil liegt bei unter 20 Prozent) für vier Tage in ein schlecht erschlossenes Städtchen in den Schweizer Alpen zurückziehen, um über dies und das zu reden.

Andererseits: Was wäre die Alternative? Und ist die Veranstaltung nicht bei genauerem Hinsehen doch besser als ihr Ruf? Diese fünf Gründe jedenfalls sprechen für das Jahrestreffen in Davos:

Die Hinterzimmer entscheiden

Die Themen sind breiter, als das Leitmotto vermuten lässt


Man darf sich vom jährlichen Übermotto nicht täuschen lassen – das Hauptthema gibt traditionell eher einen ungefähren Eindruck der behandelten Themen. In der Vergangenheit wurden gerne Allgemeinplätze a la „Die Welt ist schlimm, wir schaffen es aber“ formuliert.

Dass das Thema dieses Jahr ungewöhnlich konkret benannt wurde, soll da nicht weiter irritieren. Zudem sich die großen Sitzungen und Treffen ohnehin entlang der internationalen Krisenagenda hangeln: Die Chefin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde etwa spricht über die Krise in China, der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck sowie die Regierungschefs aus Frankreich oder Schweden über die Flüchtlingskrise, UBS-Präsident Axel Weber über das versiegende Weltwirtschaftswachstum oder Deutsche Bank-Chef John Cryan über die Krisen des Finanzgewerbes. Alles abgedeckt also.

Der Pharma-Konzern Merck hat es sogar geschafft, das Thema „Moonshots“ (also bahnbrechende Neuerfindungen) gegen Krebs auf die Tagesordnung zu schmuggeln.

Nicht das offizielle Programm, die Hinterzimmer entscheiden


Sehr zum Ärger von WEF-Organisator Klaus Schwab gilt: Entscheidend ist neben dem Platz. Das offizielle Programm aus 250 Diskussionen und Work-Shops ist vor allem zum staunen, gucken und Alphatierchen bewundern. Entscheidender ist, was sowohl politisch als auch pekuniär auf den Gängen des Kongresszentrums, in den Suiten der vielen Davoser Hotels oder den inoffiziellen Parties besprochen wird. Deswegen muss man das von den aktuellen Krisen losgelöste Motto des Rummels gar nicht so ernst nehmen.

Hier kommt zusammen, was sonst nicht zusammen findet

Ob nun womöglich Saudi Arabiens Außenminister auf seinen iranischen Kollegen trifft oder Uber-Chef Travis Kalanick auf jene europäischen Politiker und Beamten, die seinem Geschäftsmodell das Leben schwer machen – Davos führt noch immer Herren (leider fast ausschließlich) zusammen, die sonst nur selten miteinander sprechen, obwohl sie sich mutmaßlich einiges zu sagen haben.

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Man muss nicht wie Roland Berger – Chef Charles-Edouard Bouée gleich das kitschige Jahrmarkt-Bild aufgreifen, um zu teilen, was ein Dax-Chef zur Rechtfertigung für den Gipfel-Trubel sagt: „Hier treffe ich in drei Tagen Menschen, für die ich sonst Monate lang auf Reisen wäre.“

Beste aller schlechten Möglichkeiten

Die Promi-Dichte aus Politik und Wirtschaft ist die höchste der Welt


Die größte Delegation wird aus den USA erwartet, mit Vize-Präsident Joe Biden an der Spitze. Die zweitstärkste Gruppe bilden die Briten. Dann folgen bereits die Deutschen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt zwar nicht, dafür werden mehrere Regierungsmitglieder wie Finanzminister Wolfgang Schäuble und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (beide CDU) sowie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dort sein. Letzter nutzt die Gunst, um Donnerstagmorgen deutsche Unternehmer zum Frühstück zu treffen.

Auch die Exoten des Polit- und Unternehmerjetsets sind da: der afghanische Präsidenten Ashraf Ghani, der neue argentinische Regierungschef Mauricio Macri oder Nigerias Präsident Muhammadu Buhari. Insgesamt vermelden die Veranstalter 1500 Unternehmenschefs – wie Post-Chef Frank Appel, Deutsche Bank-Boss John Cryan oder Bill Gates, 40 Staats- und Regierungschefs und 40 Show-Stars wie Schauspieler Kevin Spacey.

Das Forum ist die beste aller schlechten Möglichkeiten

Wen all das nicht überzeugt, der muss sich fragen lassen: Was wäre die Alternative zu diesem informell-formellen-Zusammenkommen? Wer einmal vermeintlich demokratisch legitimierten offiziellen Gipfeln beigewohnt hat – den Klimakonferenzen, Euro-Ratssitzungen oder UN-Runden – weiß erst richtig zu schätzen, mit welch geschäftsmäßiger Effizienz Davos über die Bühne geht. Das soll gar nicht undemokratischen Heimlichtu-Zirkeln das Wort reden. Nur: Davos-Besucher verhandeln oder taktieren nicht nur miteinander, sie sprechen miteinandern.

Und auch, wenn schon am Vorabend des Treffens klar war: Die meisten angereisten Promis stellen anders als in der Vergangenheit vor allem Fragen und bringen keine Antworten mit. So gilt doch: Die Weltwirtschaft steht vor einem derartigen Cocktail an Problemen, dass nicht drüber zu reden auch keine Lösung wäre.

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