Fakt ist: Aufgrund des niedrigen Ölpreises und der Sanktionen des Westens als Antwort auf die Annexion der Krim befindet sich die russische Wirtschaft im freien Fall. Die in London ansässige Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) korrigierte ihre Erwartungen an das Wirtschaftswachstum Russlands zu Beginn der Woche drastisch nach unten und rechnet nun für 2015 mit einem Minus von 4,8 Prozent. Im September war sie noch davon ausgegangen, dass die russische Konjunktur in diesem Jahr um lediglich 0,2 Prozent nachgibt.
„Wenn der Ölpreis in diesem Jahr bei 50 US-Dollar pro Barrel bleibt, werden große Einsparungen im öffentlichen Haushalt in Russland nötig“, sagt Russland-Kenner Sergei Guriev. Egal wie stark die Einschnitte werden: Der Ökonom geht davon aus, dass die Rücklagen dann auch bis zum Ende des Jahres aufgezehrt sein werden. „Das russische BIP dürfte um mindestens 5,0 Prozent sinken bei dem oben genannten Ölpreis“, glaubt auch Guriev. „Möglicherweise auch stärker, wenn die Regierung Löhne kürzen muss und so die Binnennachfrage weiter einbricht.“
Die russische Führung versucht anderweitig zu punkten; mit einer expansiven Außenpolitik etwa. „Russland wird die USA herausfordern und ihre geopolitische Stellung angreifen wollen“, erklärt der New Yorker Politologe und Präsident des renommierten Thinktanks Eurasia Group Ian Bremmer in Davos. Putin habe seinen Expansionsdrang längst noch nicht abgeschlossen. „Vor allem Moldawien halte ich neben der Ukraine für gefährdet“, sagt der US-Amerikaner.
Die spektakulärsten WEF-Gäste 2015
Anders als Angela Merkel hat der französische Präsident bisher das Gipfeltreffen in den Schweizer Bergen gemieden. Er schickte im Vorjahr seinen Finanzminister vor. Schon im Herbst reifte der Wunsch Hollandes, 2015 beim WEF auf die Wirtschaft zuzugehen, um der französischen Volkswirtschaft neues Leben einzuhauchen.
Seit August 2005 ist Abdullah der absolutistische König und Premierminister von Saudi-Arabien, dem Land – nach Venezuela – mit den zweitgrößten Erdölreserven der Welt. Der fallende Ölpreis ist eines der großen Themen in Davos. Die internationalen Spitzenmanager reißen sich hinter den Kulissen um ein Treffen mit Abdullah. Aber nicht, weil sie über den Ölpreis sprechen wollen, sondern weil das große Geschäft winkt.
Die Bundeskanzlerin, bereits 1993 vom Weltwirtschaftsforum zum „Young Global Leader“ gekürt, ist Dauer-Gast in Davos. Während sie sich in den Vorjahren kritische Fragen zu ihrer Euro-Rettungspolitik gefallen lassen musste, spricht sie in diesem Jahr über die „Globale Verantwortung im digitalen Zeitalter“.
Ein weiteres großes Thema beim WEF ist die Ukraine-Krise. Der Präsident des Krisenlandes reist persönlich nach Davos, um seine Zukunftsvisionen für sein Land darzulegen. Anders als die Ukraine ist Russland dieses Mal nicht mit der ersten Reihe seiner politischen Führung vertreten.
China kommt mit einer fünfköpfigen Delegation in die Schweiz, darunter Regierungschef Li Keqiang. Das ist die ranghöchste Delegation seit 2009. Die Unternehmer interessiert besonders, wie China auf die nachlassenden Wachstumsraten reagieren will.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds ist ebenfalls Dauergast in Davos. Während sie in den Vorjahren die Politik der Troika gegenüber den Kreditnehmerländern wie Griechenland verteidigte, wird sie dieses Mal über Wirtschaftswachstum und die zunehmende soziale Ungleichheit sprechen.
Der ehemalige US-Vizepräsident und Friedensnobelpreisträger schwört die Unternehmen auf den Klimaschutz ein. Diese Frage dürfte vor allem im zweiten Halbjahr 2015 an Gewicht gewinnen: Ende des Jahres stehen in Paris Klimaverhandlungen an. Al Gore erklärt vorab, was bei den Verhandlungen auf dem Spiel steht.
Der Rapper und Hip-Hop-Produzent hat sich in den vergangenen beiden US-Wahlkämpfen für Präsident Barack Obama stark gemacht. Neben der Musik und der Politik engagiert sich das Mitglied der „Black Eyed Peas“ in der Wirtschaft. Er gilt als Vordenker, ist Chief Creative Officer (CCO) des 3D-Druck-Unternehmens „3D Systems“ und hat eine eigene Automarke mit dem Namen IAMAUTO gegründet.
Der Volkswagen-Chef wird ebenfalls in Davos erwartet. Er führt eine ganze Reihe von Dax-Vorständen an, die in die Schweiz reisen. So sind unter anderem auch Siemens-Boss Joe Kaeser, der Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain oder der CEO der Deutschen Post AG, Frank Appel, vor Ort.
In der abtrünnigen Region Transnistrien stehen schon lange russische Truppen. Zudem beäugt Moskau die Annäherung Moldawiens an den Westen, das ähnlich wie die Ukraine mehr Geschäfte mit der EU machen will, skeptisch. Nicht nur Moldawien sorgt sich. Von der Ostsee bis zum Pazifik reich die Kette der Länder, denen die Krim-Krise Angst macht. Verständnis für Moskaus Kurs hat kaum einer.
Russland sucht nach neuen Partnern
Dass Russland zunehmend international isoliert ist, sorgt auch in Moskau für Bauchschmerzen. Die Folge: Das Land sucht nach neuen Partnern, flirtet vor allem mit China. Doch das Riesenreich zeigt sich unbeeindruckt. Kreml-Kritiker Sergei Guriev wundert das nicht. „China ist unglücklich, dass Moskau immer nur auf das Land zukommt, wenn es in Not ist und Probleme mit dem Westen hat“, weiß der Ökonom. „Der zweite Grund ist: China will es sich nicht mit dem Westen verscherzen. Die Beziehungen zu den USA sind den Chinesen viel wichtiger als etwaige Geschäfte mit Putin.“
Folgerichtig spricht die chinesische Führung beim WEF auch lieber über sich (und mit Geschäftspartnern aus dem Westen) als über Russland. Auch die Türkei oder Ungarn zeigen sich zum Gespräch mit Russland bereit; mehr als vage Sympathiebekundungen sind bei den Treffen der Regierungsspitzen aber bisher nicht herausgekommen.
Wie also geht es nun weiter mit Moskau? Sergei Guriev hofft, dass sich die kritischen Stimmen in Russland – die es durchaus gibt – am derzeitigen Kurs durchsetzen und die Kreml-Führung doch noch reagiert bzw. reagieren muss. „Klar ist: Man darf Putin in der Öffentlichkeit nicht kritisieren. In kleiner Runde aber gibt es Leute, die auf ihn einwirken können und von dieser Option auch Gebrauch machen“, weiß Guriev.
Beratungsresistent sei Putin nicht, sagt Guriev. Nur: Auf Stimmen aus den Westen hört er derzeit nicht. Die Abwesenheit der russischen Führung in Davos zeigt dies deutlich.