Das dämlichste Argument gegen einen Boykott der Winterspiele in Sotschi ist dieses: Olympische Spiele sind eine Sportveranstaltung. Ein Boykott bedeutet, politische Konflikte auf dem Rücken der Sportler auszutragen.
Quatsch. Wären die Olympischen Spiele allein auf den Sport ausgerichtet, dann könnte sich die Sportwelt auf je einen einzigen ständigen Austragungsort für die Sommerspiele und für die Winterspiele festlegen. Das wäre Abermilliarden billiger, als die Austragungsstätten alle vier Jahre komplett neu aus dem Boden zu stampfen und blühende Wiesen zu beschneien. Das gesparte Schmiergeld für die korrupten Funktionäre noch gar nicht mitgerechnet. Olympia bedeutet knallharte wirtschaftliche Interessen und nationales Prestige. Und wenn ein Regime wie das russische die Menschenrechte mit Füßen tritt (nicht nur die der homosexuellen Menschen), dann trifft ein Boykott genau die, die es treffen soll. Die Politiker.
Die Sportler hingegen können ihre Wettkämpfe auch austragen, wenn Zuschauer wegbleiben.
Das zweitdämlichste Argument gegen einen Boykott ist: Wenn man Russland wegen der Schwulen boykottiert, dann muss man auch die USA wegen Guantanamo boykottieren.
Das erinnert mich an den Vorwurf von Günther Jauch an eine seiner Kandidatinnen bei "Wer wird Millionär". Die Frau erzählte, sie sei Vegetarierin, weil ihr die Tiere leid tun. Da raunzte Jauch sie an: "Und warum tragen Sie dann Lederschuhe?"
Wer Tiere an den Füßen hat, sollte also konsequenterweise auch Tiere im Magen haben. Weil sonst ist man ja total unglaubwürdig. Oje!
Also, ich trage Lederschuhe. Und dennoch boykottiere ich Sotschi. Das fällt mir auch sehr leicht, denn Winterspiele interessieren mich so überhaupt nicht und Putin ist mir unsympathisch.
Aber von mir aus, spielen wir es mal durch. Was müsste nach dem Jauchschen Konsequenz-Modell denn sonst noch alles boykottiert werden, wenn man mit Sotschi anfängt?
Was ist mit den USA und Guantanamo? Und der Todesstrafe? Und was ist mit der NSA samt abgehörtem Kanzlerinnen-Handy? Ich habe im Freundeskreis herumgefragt: "USA boykottieren?"
Immer die gleiche Antwort: "Nö!"
Warum nicht? Weil die USA anders als Russland in ihren Grundfesten mit unseren Werten übereinstimmen. Weil sie sich zu den gleichen Menschenrechten bekennen, die wir auch unterschreiben würden. Und weil sie sich dazu bekennen, winken wir es durch, wenn sie sich im Namen der Terrorabwehr nicht dran halten?
Was ist übler? Ein Staat, der sagt: "Nervt uns nicht mit euren Menschenrechten. Wir lassen uns nicht die vom Westen vorgefertigte Moral aufdrücken" oder ein Staat, der die Menschenrechte einst mit aus der Taufe gehoben hat, sie auf der Welt mit Macht zu etablieren versucht, und sie scheinbar nach Belieben für sich selber an- und ausknipst?
Ich boykottiere die USA nicht. Begründung: keine Lust. Und an alle, die das so nicht gelten lassen: Mit welcher Begründung boykottieren Sie denn Sotschi nicht?