Es war der 8. Februar 1984. Ich war ein kleiner Junge, als die Winterspiele in Sarajevo eröffnet wurden. Das wollte ich unbedingt sehen, denn eigentlich hatte ich an diesem Tag Klavierstunde. Ich hatte aber die Woche über nicht geübt und auch keine Lust und so lag ich meiner Mutter so lange in den Ohren, ich wolle lieber die spektakuläre Eröffnungsfeier im Fernsehen gucken ("einmaliges Ereignis/ unvergesslich / willst doch, dass ich mich für Sport interessiere/ historisch/ Klavierlehrerin blöde Kuh"), bis sie die Klavierlehrerin entnervt anrief und mir einen winterlichen Fernsehnachmittag ermöglichte.
Das war der Olympia-Höhepunkt meines Lebens. Er wurde nicht mehr getoppt.
Heute spiele ich freiwillig (und sehr klimperlich) Klavier. Und frage mich: Muss das wirklich sein mit Rio? Lässt das ganze Brimborium die Menschen nicht verhältnismäßig kalt im Verhältnis zum Aufwand?
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Den Sportlern sei es ja gegönnt. Eine Riesenparty, eine unvergessliche Zeit. Aber selbst von den Athleten gibt es Kritik: am gesundheitlich bedenklich verdreckten Wasser in der Segler-Bucht, an fehlenden Notstrom-Aggregaten für die Wasserpumpen auf dem See der Kanuten, an den spartanischen Unterkünften, an der fehlenden Stimmung im olympischen Dorf.
Und da haben wir schon den ersten Knackpunkt: die Organisation des Ganzen. Für Schwellenländer wie Brasilien mag der Zuschlag für die Spiele ein Kompliment sein, ist aber eben auch eine dramatische wirtschaftliche Belastung und überfordert die Verwaltung. Und die Fußball-WM 2014 in Brasilien hat gezeigt: Da spielt der Gastgeber einmal 1:7 und alles war umsonst. Fragen Sie mal einen Brasilianer, was ihm von diesem Turnier am stärksten in Erinnerung geblieben ist.
In wirtschaftlich starken, in der Organisation von Großevents erfahrenen Ländern wie Deutschland wiederum haben die Menschen gar keine große Lust mehr auf diesen Aufwand einer Olympia-Riesenshow. Man könnte auch sagen: Wir haben es nicht mehr nötig, es uns zu beweisen. Wir wissen auch so, wie man eine U-Bahn und einen Flughafen nicht rechtzeitig fertig kriegt.
Und das ist der allergrößte Knackpunkt. Das alte Prinzip von "höher, schneller, weiter" zieht nicht mehr, zumindest nicht mehr in unserer satten nordwestlichen Welt. Wir wissen, was wir können. Und wir wissen, dass das, was wir können, oftmals einfach zu teuer ist. Es scheitert nicht am Know-how, sondern am Geld. Man könnte auch sagen: an der Vernunft.
Wozu sollen wir uns die höchsten Hochhäuser der Welt in unsere Städte bauen? Unsere Ingenieure bauen sie lieber für andere in die Wüste, wo so etwas noch was zählt. Für uns selber bauen wir kleiner und bescheidener.
Kleiner und bescheidener
Das gilt im Nordwesten mittlerweile auch sonst oft. Statt in gigantischen Einkaufspalästen mit goldenen Springbrunnen shoppen wir in kleinen Popup-Stores, in denen sich Start-Ups mit witzigen Ideen und cleverem Design probieren.
Kommt jemand mit einem dröhnenden Ferrari durch die 30er-Zone gejuckelt, machen wir uns gleich Sorgen um das kümmerliche Selbstbewusstsein des Fahrers.
Unsere neuen ICE fahren nicht mehr 300 Spitze, sondern nun noch 250.
Welche Fähigkeiten im Sport und bei der Karriere wichtig sind
„Leistungssportler lernen von der Pike auf Disziplin. Sie lernen, die Zeit optimal zu nutzen“, erklärt Diplom-Sportwissenschaftler und Sportpsychologe Moritz Anderten. Sportler könnten sich zielorientiert sehr gut konzentrieren. Außerdem haben Leistungssportler häufig einen physischen Vorteil: Es sei bekannt, dass sich gute konditionelle Werte positiv auf die Konzentrationsfähigkeit auswirken, erklärt Anderten.
Zig Stunden Training in der Woche, regelmäßige Trainingslager, Wettkämpfe, kaum freie Wochenenden, rackern und schuften bis der Körper nicht mehr kann – das alles ist für Topathleten selbstverständlich. Leistungssportler hätten gelernt, „ihre Ärmel hochzukrempeln“, erklärt der Bundestrainer des Deutschland-Achters Ralf Holtmeyer. „Sie sind gewohnt, ihre Freizeitinteressen hinten anzustellen.“ Vielleicht mache sie das ja dann auch im Job erfolgreicher, wenn sie nicht immer schon an den Feierabend dächten, vermutet der Erfolgscoach.
Was ist tatsächlich an der These dran, dass Hochleistungsathleten erfolgreicher in ihrem Studium oder im Beruf sind als Nichtsportler? Eine Studie, die 2015 in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthilfe entstand, legt einen Zusammenhang nahe. Die Wissenschaftler untersuchten den beruflichen Erfolg anhand des Einkommens. Das Ergebnis: Je nach Analyse weisen die rund 260 befragten ehemaligen Leistungssportler ein um 600 bis 900 Euro höheres monatliches Einkommen auf als Nichtsportler. Ehemalige Mannschaftssportler verdienen nochmals mehr.
Eine eindeutige Erklärung dafür finden die Wissenschaftler nicht. Doch eine Vermutung liegt nahe: Sie schlussfolgern, dass der Sport Charaktereigenschaften wie zum Beispiel Ehrgeiz, Ausdauer und Leistungsbereitschaft fördert, die auch im Beruf von Vorteil sind.
„Du musst die Ziele klar definieren – im Sport und im Beruf. Umso größer ist der Erfolg“, sagt etwa der ehemalige Hockey-Spieler Michael Green, der inzwischen als Orthopäde arbeitet. Einer der wichtigsten Faktoren sei zudem die Organisationsfähigkeit. Während andere auf den Zugfahrten zu den Spielstätten rumdaddelten und Musik hörten, schlug Green seine Medizin-Bücher auf. „Und normal gefeiert habe ich auch“, nur Zeit für einen Nebenjob blieb da nicht. Deshalb weist er darauf hin, wie wichtig die finanzielle Unterstützung der Stiftung Deutsche Sporthilfe war.
Statt Caramel Macchiato mit Schlagsahne und bunten Streuseln trinken wir wieder Cappuccino.
Wer was auf sich hält, trägt Kleidung ohne fette Marken-Embleme.
Apple hat eine Billig-Version vom iPhone auf den Markt gebracht.
Wir freuen uns über kostenloses WLAN und faire Wasserpreise am Flughafen. Champagner vorm Abflug wäre sowas von "Airport '80".
Statt großer Samstag-Abendshows wie früher sorgt heute das kleine Neomagazin für die Schlagzeilen.
An der Straßenecke stehen mit Freunden und mit einem Bier in der Hand ist das neue Ausgehen.
Der Eurovision Song Contest war früher von Jahr zu Jahr größer und spektakulärer. Heute zählt: Wie ist die Stimmung?
Was kann in diesen Zeiten das hundertste Feuerwerk vom Dach eines Olympia-Stadions in uns noch auslösen, wenn wir gigantischere Feuerwerke jederzeit googlen können?
Damals war es eine technische Sensation, dass sich die sportliche Jugend der Welt an einem Ort trifft und dass die ganze Welt dabei zugucken kann. In Farbe! Heute fliegt Familie Meier in den Urlaub und überträgt die Mahlzeit an Bord per WLAN live auf Facebook. Normal.
Und so bestimmen die Fehlschläge die Schlagzeilen, weil das immerhin noch etwas Besonderes ist. Tolles Feuerwerk? Möh. Falsch bedruckte chinesische Flaggen mit verdrehten Sternen? OHO! Eigentlich können die Organisatoren doch nur verlieren.
Dazu kommt beim durchschnittlichen Zuschauer der fehlende Überblick: Wer hat gedopt und ist nicht dabei und wer hat gedopt und darf mitmachen? Olympia - da ist irgendwie der Lack ab. Wie schon bei der Tour de France, die ihren Glanz verloren hat. Anders als bei Fußball-Großereignissen kenne ich keinen, der sagt: "Komm, wir gucken zusammen Olympia."
Haben die Verantwortlichen die olympische Idee ruiniert? Weil sie vergessen haben, worauf es heute ankommt?
Einige Olympia-Fans fordern jetzt mit Herzblut: Die Spiele müssen wieder zeitgemäß werden. Sympathischer und bescheidener eben. Was soll heute, da die Weltpolitik in nationale Egoismen zurückfällt, noch das nationale Medaillen-Sammeln? Das fördert bloß das staatlich organisierte Doping in Ländern, die zumindest noch eine sportliche Weltmacht sein wollen. Warum stattdessen nicht in internationalen Teams antreten und so nationale Sportverbände weltweit Brücken schlagen lassen? Ein weltweites Erasmus-Austauschprogramm für die Sportlichsten der Sportlichen.
Warum alle Wettkämpfe in einer einzigen Stadt, die sich dann mit neuen U-Bahnen und Autobahnen überhebt? Warum nicht mehrere Städte gemeinsam, die dann nicht komplett umgebaut werden, wo dann keine Menschen zwangsumgesiedelt werden? Basel-Freiburg-Straßburg statt immer nur die Metropolen.
Die Menschheit wird demnächst zum Mars fliegen. Wir müssen uns nicht mehr daran erregen, welche Nation das größte Feuerwerk und welches die meisten Medaillen hat. Schon gar nicht mitten in der Nacht.