Wie ein Deutscher in China sein Land sieht Deutschland - das Land der Freizeitoptimierer

Seite 2/3

An der Spitze der Maslow-Pyramide

Peking verschwindet unter Smogglocke
Millionen von Pekingern der Mittelschicht erfüllen sich den Traum vom eigenen Auto. Doch jetzt folgt das böse Erwachen: Die dichte Smogwolke über Peking hat in den Krankenhäusern der chinesischen Hauptstadt zu einem Anstieg von Atemwegserkrankungen geführt. Flaggenzeremonien und Sportstunden an Schulen wurden am Montag wegen der anhaltend hohen Feinstaubwerte nach innen verlegt Quelle: dpa
Nachdem die Werte am Wochenende mit 700 Mikrogramm pro Kubikmeter die Messskala gesprengt hatten, sanken sie am Montag wieder auf 245 Mikrogramm. Auch dieser Wert lag aber noch deutlich über den 25 Mikrogramm pro Kubikmeter, ab der laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Gesundheitsgefährdung besteht. Quelle: dpa
Die Behörden verordneten eine Senkung der Emissionen in Fabriken, Baustellen wurden mit Wasser besprüht, um zu verhindern, dass Staub von dort den schädlichen Dunst, der seit Ende vergangener Woche über Peking hängt, noch weiter verschlimmert. Quelle: dpa
Angesichts des gesundheitsgefährdenden Smogs wächst in China die Wut auf die Behörden. Im Internet kritisierten viele Nutzer am Montag den ungebremsten Wachstumskurs der Regierung, bei dem auf Umweltaspekte zu wenig Rücksicht genommen werde. Quelle: dpa
Am Dienstag soll sich die Lage nach Angaben der Wetterbeobachtungsstelle von Peking wieder verbessern. Wissenschaftler machten die extreme Windstille für den dichten Smog verantwortlich, durch den die Sonne schon kaum mehr durchdringt. Quelle: dpa
Selbst die staatliche Zeitung „China Daily“, die als Sprachrohr der Kommunistischen Partei gilt, schrieb auf Seite eins: "Ein besseres China zu schaffen beginnt damit, dass man gesund atmen kann.“ Es müsse vermieden werden, dass es wegen des Urbanisierungsprozesses "der Umwelt immer schlechter und schlechter geht". Quelle: dpa
Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua erreichte die Luftverschmutzung in Peking und anderen Städten am Wochenende Werte fast 40 Mal über dem von der Weltgesundheitsorganisation definierten Idealwert. Quelle: dpa

Das dritte Paar ist (noch) kinderlos. Eine Journalistin in Ausbildung arbeitet auch spät nachts noch an ihren Beiträgen, weil sie von ihrem Job fasziniert ist. Ihr Freund, ein gut bezahlter Unternehmensberater, ist nicht von seinem Job, sondern von seinem Hobby, dem Klavierspielen, fasziniert. Ein Angebot, für drei Monate für ein Projekt nach Indien zu gehen, hat er gerade ausgeschlagen - zu anstrengend, zu wenig Freizeit.

Positiv über die eigene Arbeit hat sich bis auf die Radio-Journalistin niemand geäußert. Im Gegenteil - für die meisten stellte ihr Job die momentan größte Baustelle ihres Lebens vor; keiner meiner Freunde verdient weniger als 30.000 Euro im Jahr, manche sogar 80.000 Euro und mehr. Niemand prahlt damit, viel Geld zu verdienen. Für alle aber ist es von höchstem Wert, wenig zu arbeiten. Ein Job wird von ihnen danach bemessen, wie viel Persönlichkeitsentfaltung er ermöglicht, oder, wenn ersteres nicht der Fall ist, wie viel Zeit für Familie, Hobbys und Urlaub bleibt. Nur einer meiner Freunde arbeitet als Ingenieur bei einer großen Automobilfirma, schafft also tatsächlich die Werte, für die Deutschland in China verehrt wird. Alle kaufen ihre Lebensmittel größtenteils in Bio-Supermärkten und denken immer wieder darüber nach, ihren Fleischkonsum ganz aufzugeben, oder zumindest zu reduzieren.

Die zitierten Beispiele sind zunächst einmal mein ganz persönliches Umfeld. Ich bin ein Mittelschichtskind und so sind es die meisten meiner Freunde. Ich bin im Umland von München geboren, wo die Mittelschicht vielleicht noch ein wenig wohlhabender und gesättigter ist als in anderen Teilen Deutschlands. Mir ist bewusst, dass sich die allermeisten jungen Paare mit Kindern in Deutschland in weniger privilegierten Situationen befinden.

Von China aus betrachtet aber verschwimmen diese kleine Unterschiede. Der BIP pro Kopf in China liegt bei 3.350 US-Dollar im Jahr, das in Deutschland bei 37.000. Aus der Ferne erkennbar bleibt: junge, gesunde, intelligente und gut ausgebildete Eltern, deren Nachwuchs mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ein erfülltes Leben vor sich hat. Aus der Ferne erkennbar bleibt auch: Arbeit ist zu einem kleinen, stetig nach Optimierung verlangenden Problembereich geworden. Sie ist entweder Vehikel zur Selbstverwirklichung (die spätnachts arbeitende Radio-Journalistin) oder zur tendenziell lästigen Funktion (bei nahezu alle anderen) geworden, um Miete und vor allem Urlaub zu bezahlen. Bewundert werden nicht die Vielarbeiter und Großverdiener, sondern die Selbstverwirklicher und Freizeitjongleure. Diese Haltung speist sich weniger aus Überzeugung als aus der Urerfahrung, dass Geld und materieller Wohlstand in der westdeutschen Mittelschicht schon immer vorhanden waren. Eine Erfahrung des Mangels kennen die wenigstens nach 1970 geborenen Deutschen. Fleisch und Gemüse standen bei uns jeden Tag auf dem Tisch. Wir stehen an der Spitze der Maslow-Pyramide und arbeiten Sisyphus gleich am nie vollendbaren Ziel der Selbstverwirklichung. Eine leichte Unterversorgung mit Krippenplätzen kann in dieser Komfort-Zone Katastrophenstimmung auslösen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%