Wirtschaft Chinas Wirtschaftswunder im westlichen Hinterland

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Monatlich verfügbares Pro-Kopf-Einkommen in China (Zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken) Quelle: Nationales Chinesisches Staatsbüro, eigene Recherche

Immer mehr ausländische Firmen folgen dem Ruf des chinesischen Westens. Chiphersteller Infineon hat bereits vor vier Jahren ein Designzentrum in der ehemaligen Seidenstraßen-Stadt Xian eröffnet, Intel hat über eine halbe Milliarde Dollar in eine Fabrik in Chengdu in der Provinz Sichuan investiert. Dort eröffnete IBM im vergangenen Jahr auch eines seiner neuen globalen Servicezentren. Der amerikanische Autohersteller Ford produziert bereits in Chongqing. Hier bauen auch Evonik, Degussa und BASF neue Fabriken.

Westchina ist ein strategischer Markt geworden und die Millionenmetropole Chongqing zum wichtigsten Wirtschaftszentrum des lange vergessenen chinesischen Westens. Der Mobilfunkkonzern China Mobile gewinnt hier jeden Monat rund acht bis neun Millionen neue Kunden. An der Ostküste besitzt inzwischen fast jeder ein Handy. Die Neukunden wohnen in den Dörfern des Westens. Auch der Pharmakonzern AstraZeneca konzentriert sich inzwischen auf das Hinterland und verkauft dadurch im ganzen Land mehr verschreibungspflichtige Medikamente als jeder andere ausländische Konzern. Zwischen 2001 und dem vergangenen Jahr stieg der Absatz um mehr als das Fünffache.

Li Shirong ist Vizedirektorin der Wirtschaftskommission von Chongqing. Sie trägt ein strenges grünes Kostüm und spricht sehr schnell in perfektem Englisch. Chinesische Beamte beginnen ihre Vorträge gewöhnlich mit langen Zahlenkolonnen und Li ist keine Ausnahme: 20 der 32 Millionen Einwohner wohnen noch immer im Umland, doch in zwei Jahren soll die Urbanisierungsrate 54 Prozent erreichen. Im vergangenen Jahr sind die ausländischen Direktinvestitionen in Chongqing um 55 Prozent gewachsen, und 2008 werden sie sich sogar verdoppeln. 5.000 ausländische Firmen sitzen inzwischen hier.

Es ist eine gewaltige Aufgabe, die Infrastruktur dafür zu schaffen. Bis 2010 wollen die Chinesen die Strecke der Autobahnkilometer hier auf über 2.000 verdoppeln und eines der größten Flughafendrehkreuze der Welt schaffen. Auch bei der Bildung will Chongqing führend werden. Die Stadt hat bereits 57 Universitäten. Nach diesen Zahlen macht Li eine kurze Pause. „Wir wollen das chinesische Chicago werden“, sagt sie.

Blick nach Europa

Solche Chicagos könnte es bald mehrere geben. Denn der größte Infrastrukturnachteil des Westens ist die dünne Besiedelung. Die Regierung will deshalb Millionen chinesischer Bauern in den kommenden Jahren in die Städte umsiedeln. Der Reichtum, den Deng seinem Volk verkündete, ist nur in den Städten möglich.

Inzwischen hat auch der Westen seine ersten Wirtschaftsstars. Die Lifan Industrial Group aus Chongqing gehört mit rund 14.000 Angestellten zu den größten privaten Konzernen des chinesischen Westens. 1992 startete der schillernde Unternehmer Yin Mingshan seine Firma als Motorradwerkstatt mit sieben Mitarbeitern. Im vergangenen Jahr produzierte das Unternehmen 1,6 Millionen Motorräder und gehört damit zu den größten Herstellern der Welt. „Motorräder sind eine komische Industrie“, sagt Yin. „Wenn die Menschen reicher werden, kaufen sie mehr Motorräder. Doch wenn sie noch reicher werden, kaufen sie weniger und steigen aufs Auto um.“

Lifan will den Trend nicht verpassen und hat deshalb vor zwei Jahren schon mit der Automobilproduktion begonnen. Inzwischen produziert der Konzern drei Fahrzeuge. Das günstige Einsteigermodell Lifan 320 soll im Oktober auf den Markt kommen – für umgerechnet 3.000 bis 4.000 Euro. Der Einstieg in die Autoproduktion soll Lifan zu einem globalen Konzern machen. Vier Autofabriken hat Lifan in den vergangenen Monaten bereits im Ausland eröffnet, in Vietnam, Äthiopien, Russland und Iran. Bald sollen weitere folgen: in Pakistan, Uruguay, Ägypten und Mexiko.

Lifan dürfte der erfolgreichste Konzern Westchinas sein. Doch Firmengründer Yin Mingshan will noch weiter nach Westen vordringen. „Wir brauchen noch zwei Jahre, um die Umwelt- und Sicherheitsauflagen in Europa zu erfüllen“, sagt Yin. Dann will er seine Autos auch in die entwickelten Märkte in Frankreich, Deutschland und England exportieren. Ganz tief im Westen.

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