Im zweitgrößten Land der Währungsunion fielen in der ersten Runde der Wahlen 44 Prozent der Stimmen auf absolute Extreme. Die „etablierten“ Parteien mussten dagegen in Frankreich eine verheerende Niederlage hinnehmen. Weder der konservative Kandidat Fillon noch der Sozialist Hamon schafften es in die Stichwahl. Das ist ein weiterer Beleg für den Vertrauensverlust, unter dem das traditionelle Parteiensystem in Europa erleidet.
Nicht nur in Frankreich, auch in vielen anderen EU-Ländern genießen die politischen Parteien immer weniger Rückhalt in der Bevölkerung. Sehr eindrucksvoll hat das eine Umfrage der EU-Kommission (Eurobarometer) im November 2016 aufgezeigt. Im EU-Durchschnitt gaben 78 Prozent der Befragten an, tendenziell kein Vertrauen in die etablierten politischen Parteien zu haben. In den großen EU-Ländern Spanien, Italien und Frankreich sieht es mit Anteilen von rund 90 Prozent sogar noch schlimmer aus. Deutschland liegt mit 64 Prozent zwar deutlich dahinter, doch auch hierzulande geben damit immerhin fast zwei Drittel der Befragten an, das Vertrauen in den traditionellen Politikbetrieb verloren zu haben.
Wo liegen die Gründe für diesen Vertrauensverlust und das gleichzeitige Erstarken populistischer Strömungen? Sicherlich unterscheiden sich die Erklärungen von Land zu Land, es gibt aber auch einige Gemeinsamkeiten. Als wichtigste Faktoren werden häufig die Wachstumsschwäche der vergangenen Jahre, die hohe Arbeitslosigkeit, eine wachsende Ungleichheit sowie die starke Einwanderung der letzten Jahre genannt. Die zunehmende Ungleichverteilung der Einkommen ist in Kontinentaleuropa weniger deutlich zu beobachten als in Großbritannien und den Vereinigten Staaten.
Dagegen dürfte im Euro-Raum die Situation auf den Arbeitsmärkten eine zentrale Rolle spielen. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland unterminiert offensichtlich das Vertrauen in das Wirtschaftssystem und macht nicht nur die von Arbeitslosigkeit Betroffenen, sondern weite Teile der Bevölkerung anfällig für eine fundamentale Kritik und extremistische Positionen.
Anders als in Deutschland, sind die Arbeitslosenquoten in Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland in den vergangenen zehn Jahren kräftig gestiegen, gleichzeitig ist das Vertrauen in die nationalen Regierungen drastisch zurückgegangen. Man könnte das so interpretieren, dass die Regierungen mit ihrer Unfähigkeit, den Arbeitsmarkt zu reformieren und zu flexibilisieren, das Vertrauen der Bevölkerung verspielt haben.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch in der Bevölkerung so etwas wie eine Reformunwilligkeit. In Frankreich war das der wichtigste Grund dafür, dass in den vorigen Jahren von den jeweiligen Regierungen keine grundlegenden Reformen umgesetzt werden konnten. Sozialpolitische Reformen haben es schwer, weil sie üblicherweise zunächst von negativen Effekten begleitet werden. Eine Verbesserung der Situation tritt für die Menschen meist erst nach einer Weile ein. Zudem sind die positiven Effekte nicht gleichmäßig in der Bevölkerung verteilt, sie sind häufig schwerpunktmäßig bei den gut ausgebildeten und mobilen Menschen festzustellen.
Auch in der Vergangenheit hat es immer wieder Krisen gegeben. Diese wurden immer begleitet von Phasen eines Vertrauensverlustes und den entsprechenden politischen Verwicklungen. Hohe Arbeitslosigkeit und Geldentwertung haben auch früher schon den populistischen Parteien kräftig Auftrieb gegeben. Oft führte das sogar zu einer Regierungsbeteiligung oder -übernahme, mit oft schlimmen Folgen für das Land. Insofern sollte die aktuelle Entwicklung nicht überraschen. Sie stellt vielmehr eine „normale“ gesellschaftliche Reaktion dar.
Die Globalisierung übernimmt heute gewissermaßen die Funktion der Inflation in früheren Phasen. Denn Geldentwertung geht einher mit hohen Verlustängsten, und ähnlich ist es mit der Globalisierung. Sie hat dazu beigetragen, dass die Arbeitsplätze eines Teils der Gesellschaft in den westlichen Ländern in lohnkostengünstigere Ländern verlagert wurden.
Dieser ökonomisch unvermeidliche Prozess wurde politisch unterschätzt. Entsprechend wurden von den Regierungen keine Maßnahmen, wie Umschulungsangebote oder Investitionsförderung ergriffen, um der aufkommenden Perspektivlosigkeit in den betroffenen Gesellschaftsschichten entgegenzuwirken. Die Angst vor sozialem Abstieg und die damit einhergehenden Verlustängste wurden in Europa durch die stark gestiegene Zahl der Flüchtlinge noch verstärkt. In der Folge verlieren die Menschen das Vertrauen in die etablierten Parteien und verlassen sich auf einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen.
Die böse Globalisierung
Einig sind sich links- und rechtspopulistische Bewegungen in der Regel in einer Betonung der nationalen Souveränität in der Wirtschaftspolitik. Das wird in Europa zumeist interpretiert in einer Ablehnung der Europäischen Union und des Euros, sowie ganz allgemein in einer Ablehnung des Freihandels. Die Globalisierung wird für das Übel verantwortlich gemacht, insbesondere für den Verlust traditioneller Arbeitsplätze im Industriebereich. Einwanderung wird generell abgelehnt, zum einen um zusätzliche Konkurrenten um vorhandene Arbeitsplätze auszuschließen, zum anderen vor allem bei rechten Bewegungen aus „völkischen“ Ideologien heraus.
Einig ist man sich auch in einer großen „Staatsgläubigkeit“, die konträr steht zur Ablehnung der herrschenden Politik. Wirtschaftspolitisch übersetzt wird das in einen Staatsdirigismus, der vor allem über protektionistische Maßnahmen und höhere Staatsausgaben versucht, die heimischen Produzenten zu begünstigen und die Konkurrenz auszuschließen. Dies führt in der Regel zu kräftig steigenden Staatsausgaben. Die höheren Staatsausgaben beleben das Wachstum und führen zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Der Preis ist eine kräftig steigende Staatsverschuldung, die wieder abgebaut werden muss, was spätestens dann zu wirtschaftspolitischen Einschränkungen führt.
Einem solchen wirtschaftspolitischen Vorgehen kann kein Erfolg beschieden sein, jedenfalls nicht in der mittleren und längeren Sicht. Kurzfristig, das heißt auf Sicht von ein oder zwei Jahren, sind aber durchaus „Erfolge“ möglich, etwa in Form eines stärkeren Wachstums und einer steigenden Beschäftigung. Das dürfte auch der Grund sein, warum die Finanzmärkte populistischen Bewegungen nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Die mittel- und langfristigen Folgen einer solchen Politik lassen sich zurzeit in Venezuela betrachten. Ein eigentlich sehr reiches Land steht nach fast 20 Jahren eines links-populistischen Regimes vor dem Ruin.
Das Aufkommen des Populismus lässt sich nach Phasen wie der letzten Immobilien- und Staatsschuldenkrise wahrscheinlich nicht verhindern. Die Anfälligkeit der Bevölkerung kann man aber verringern. Die etablierten Parteien und die verantwortlichen Regierungen müssen die Politik, ihre Entscheidungen und die zugrundeliegenden Entwicklungsströmungen erklären. Damit kann man den Raum für vermeintlich einfache populistische Antworten auf teilweise komplexe Fragen verkleinern. Außerdem sollte man den Teilen der Gesellschaft, die von wirtschaftlichen Entwicklungen besonders negativ betroffen sind, eine staatlich geförderte Perspektive geben. Solche Maßnahmen werden populistische Tendenzen nicht verhindern, aber deren Wählerpotenzial verringern.
In Europa werden die populistischen Bewegungen nicht so schnell wieder verschwinden. Die wirtschaftliche Krise lastet schwer und hat in einigen Ländern tiefe Spuren hinterlassen. In den aktuellen Wahlen konnten sich bislang die gemäßigten Kräfte durchsetzen, wenn auch etablierte Parteien von den Wählern merklich abgestraft wurden.
Wenn die jetzt verantwortlichen Parteien und Regierungen jedoch die wirtschaftliche Situation der Menschen nicht verbessern und die Ängste abbauen, dürfte es nur eine Zwischenstation sein, hin zu populistischen Regierungen bei den nächsten Wahlen.