Wirtschaft in Tunesien Warten auf ein Wirtschaftswunder

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Gegen die religiösen Fanatiker

Bei der Abstimmung im Dezember hat Mounawer den Sieger Caid Essebsi gewählt: „Ich wollte mit einem System Schluss machen, das die religiösen Fanatiker akzeptierte!“ Die Ennahda-Islamisten, immer noch eine relativ starke Opposition, verhalten sich viel gemäßigter und toleranter als Islamisten sonstwo in der arabischen Welt. Trotzdem oder vielleicht gerade darum haben sich schätzungsweise 3000 junge Tunesier der Terrororganisation „Islamischer Staat“ angeschlossen. Aus keinem weit entfernten Land hat das selbst ernannte Kalifat in Syrien und im Irak so viele Kämpfer rekrutiert wie aus Tunesien. Und noch schlimmer für Tunesien selbst ist die kleine Gruppe dschihadistischer Kämpfer, die im Lande geblieben ist und mit Anschlägen auf Politiker und das Militär für Schlagzeilen sorgt.

Schreinerin Leila Msalbi. Quelle: Francesca Oggiano für WirtschaftsWoche

Der mörderische islamische Radikalismus hat den politischen Umschwung im Land sicher befördert: Die neue Regierungspartei Nidaa Tunes mit Essebsi an der Spitze hat bis auf die strenge Ablehnung der Islamisten aller Couleur wenig klare Programmpunkte. Den Wählern erschien das als Versicherung gegen irakische, syrische und auch ägyptische Verhältnisse. Und der 88-jährige neue Präsident mit seiner langen politischen Biografie erscheint als Garant der Rückkehr in eine gute alte Zeit. Da macht es auch nichts, wenn er 15 Jahre älter ist als der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer bei seinem Amtsbeginn 1949.

Jetzt wartet Mounawer auf ein Wirtschaftswunder unter dem Präsidenten seiner Wahl und darauf, dass Essebsi sein Versprechen wahr macht, das Land zu einen und die Wirtschaft anzukurbeln. Auch wenn seine Kundschaft noch die Preise drückt und für eine Autowäsche statt umgerechnet knapp fünf Euro oft nur vier bezahlen will. Über eine gemeinnützige tunesische Organisation hat die Europäische Union dem Kleinunternehmer einen fast 4000 Euro teuren Kompressor bezahlt. Damit kann er drei Dampfstrahler gleichzeitig betreiben und dreimal so viele Autos waschen wie früher. Er hat darum einen Jugendlichen aus dem Ort einstellen können: ein Arbeitsloser weniger in Sidi Bouzid.

Manager verraten: Das hat mich nach oben gebracht
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„Allein dass es unsere Organisation gibt, ist schon ein Erfolg der Revolution. Ohne Parteibuch wäre das früher undenkbar gewesen“, sagt Sabra Amri. Die 27-Jährige, die gerade ihren Abschluss als Architektin macht, gehört zu den Gründungsmitgliedern der Hilfsorganisation „Solidarité Emploi Mohamed Bouazizi“, welche die Spende aus Brüssel angeleiert hat. Dick eingepackt in Strickpullis und Jacken, weil sie sich im Büro nur einen kleinen Heizstrahler leisten können, durchkämmen Amri und ihre Mitstreiter das Internet nach Fördermaßnahmen für junge Unternehmer in Sidi Bouzid und Arbeitslose, die sich selbstständig machen wollen: „Von den Politikern, das hat sich gezeigt, können wir nicht viel erwarten. Es ist die Zivilgesellschaft, die die Dinge verändern muss.“

So konnte auch Leila Msalbi ihre Schreinerei erweitern und die Zahl ihrer Mitarbeiter von zwei auf vier verdoppeln. Die Luft ist dick von Staub, es fehlt eine funktionierende Lüftung. Aber dank der EU-Hilfe konnte die 34-Jährige immerhin eine große Sägemaschine anschaffen, mit der sich auch besonders dicke Stämme alter Olivenbäume zerkleinern lassen, zudem eine weitere Maschine zur Politur der fertigen Stücke. In dem kleinen Ort Bir el Hafay, etwa 30 Kilometer von Sidi Bouzid entfernt, stellt die diplomierte Designerin Schneidebretter, Salatbesteck und neuerdings auch Haarschmuck her.

Utensilien aus dem Holz der Olivenbäume, die sich kilometerweit bis an den Fuß der Sidi Bouzid umgebenden Berge reihen, gehören zu den wichtigsten Exportartikeln der Region. Solche Produktion bietet in ländlichen Regionen auch eine der raren Verdienstmöglichkeiten für Frauen. Für die gibt es in Sidi Bouzid bisher nur einen wichtigen Arbeitgeber: Steiff, der deutsche Spielwarenhersteller, lässt vor allem Frauen hier seine Plüschtiere fertigen. Tunesien als billige Werkbank für Produktion, die keine besondere Qualifikation erfordert – das war jahrzehntelang das Wirtschaftsmodell für Tunesien: erfolgreich, aber kaum noch ausbaufähig.

Ausbildung tut not, und hier erfüllt Europa wenigstens im kleinen Rahmen einige seiner Versprechen an die junge Demokratie auf der anderen Seite des Mittelmeers. In Tunis finanziert die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gemeinsam mit Volkswagen die Ausbildung junger Leute zu Kfz-Mechanikern: ein Versuch, Deutschlands Modell der dualen Berufsausbildung in Ansätzen zu exportieren. Und in Meknessi, nahe bei Sidi Bouzid, beginnt die GIZ im Februar mit der Ausbildung von 20 arbeitslosen jungen Frauen und Männern zu Olivenholzschnitzern.

Kleine Ansätze für den Aufschwung, den das kleine Musterland des Arabischen Frühlings so dringend braucht. Sabra Amri, Leila Msalbi und Mounawer Mnassria wollen alle mit ihren Familien in ihrer Heimatstadt Sidi Bouzid bleiben und dort etwas bewegen. „Als die Revolution begann, fand ich das toll: Das passiert direkt vor meiner Tür, was für eine großartige Chance!“, erinnert sich Amri. „Diese Chance will ich nicht vergeben.“

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