Wirtschaft in Tunesien Warten auf ein Wirtschaftswunder

Vier Jahre nach der Revolution hat sich das Land für Demokratie und Stabilität entschieden. Was fehlt, ist ein Wirtschaftswunder – vor allem im armen Hinterland.

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Kleinunternehmer Mounawer Mnassria. Quelle: Francesca Oggiano für WirtschaftsWoche

Mounawer Mnassria weiß genau, was er sich für 2015 wünscht: „Ich möchte meine eigene Autowaschanlage aufmachen.“ Das Gebäude von der Größe einer Doppelgarage am Stadtrand von Sidi Bouzid, wo drei Angestellte emsig Kotflügel, Felgen und Windschutzscheiben polieren, hat der 29-Jährige bisher nur gemietet. „Wenn alles klappt, kann ich noch mehr jungen Leuten Arbeit geben. Das ist wichtig in dieser Region.“

Hier in Sidi Bouzid, im tristen Landesinnern von Tunesien, hat sich vor vier Jahren der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi selbst verbrannt und damit die Revolution gegen Diktator Zine al Abidine Ben Ali ausgelöst. An der Fassade des Postamts hängt noch immer sein riesiges Konterfei, nur wenige Meter von dem Platz, wo Bouazizi sich mit Benzin übergoss und anzündete. An den Transparenten, die an den Jahrestag erinnern, zerrt der Wind. Die größte Gewerkschaft UGTT ist den Gedenkveranstaltungen ferngeblieben. Aus Protest, weil sich in den vergangenen vier Jahren zwar zahlreiche Regierungen in der Hauptstadt Tunis abgewechselt haben, aber die Lage der Menschen keinen Deut besser wurde.

Präsident Béji Caid Essebsi. Quelle: AP

Im vierten Jahr nach der Revolution sind 16 Prozent der Tunesier arbeitslos. Die Wirtschaft erholt sich nur langsam, das Pro-Kopf-Einkommen erreicht umgerechnet 4300 Dollar. Seit einem Vierteljahr hat Tunesien ein demokratisch gewähltes Parlament und seit einem Monat einen vom Volk gewählten Präsidenten. Schaffen die Tunesier also, was in allen anderen arabischen Ländern nicht gelingen will?

Zu wenig Touristen

In Sidi Bouzid sieht es nicht danach aus. Gewiss: Seit der Revolution dürfen die ambulanten Händler ihr Obst und Gemüse überall ohne Lizenz feilbieten und riskieren dafür nicht, wie einst der Märtyrer Bouazizi, Schläge und Schikanen von korrupten Polizeibeamten. Aber das reicht nicht. Tunesiens Hinterland leidet unter jahrzehntelanger wirtschaftlicher Vernachlässigung.

Was Sie für Ihren beruflichen Erfolg tun können
Eigentlich liegt es auf der Hand: Lesen Sie mehr. Wer liest, tut etwas für seinen Wissenshorizont und für seinen Wortschatz. Dabei müssen es nicht nur Fachbücher sein, auch ein Roman hin und wieder tut den grauen Zellen gut. Quelle: dpa
Außerdem kann es nie schaden, zu verfolgen, was draußen in der Welt so vor sich geht. Interessieren Sie sich für Zusammenhänge und dafür, welche Trends Ihre Branche bewegen. Quelle: dapd
Und falls Sie noch nicht lange in Ihrer Branche tätig sind, sollten Sie sie genau unter die Lupe nehmen: Wie funktioniert die Branche, welche Abhängigkeiten gibt es, welche Subventionen, welche Regeln und wer sind die größten Akteure? Vielleicht arbeiten Sie, was eine Karriere anbelangt, im völlig falschen Unternehmen. Quelle: Fotolia
Unabhängig von der Branche bieten sich Fortbildungen, Messen und Kongresse zum Dazu lernen und Kontakte knüpfen an. Natürlich sind Weiterbildungsmaßnahmen auch Sache des Arbeitgebers, Eigeninitiative hat aber noch keinem geschadet. Weder dem eigenen Horizont, noch dem Ansehen. ine tolle Möglichkeit sich fortzubilden, bieten Vorträge, Kongresse, Tagungen oder Messen. Quelle: dpa
Wer rastet, rostet. Also probieren Sie neues aus und üben Sie das Gelernte. Erfahrungen sind immer nützlich und je nach dem, mit was Sie herumexperimentieren, kann es Ihnen auch beruflich etwas bringen. Quelle: dpa
Ohne Vitamin B geht fast gar nichts. Also hocken Sie nicht nur zuhause oder in ihrem Büro, sondern lernen Sie neue Leute kennen und erweitern Sie Ihr Netzwerk. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob sie das virtuell - beispielsweise bei Xing oder LinkedIn - oder beim Stammtisch nebenan tun. Das erweitert ihren persönlichen Horizont und kann ihnen beruflich von Nutzen sein. Quelle: REUTERS
Machen Sie sich Gedanken darüber, wo Sie beruflich einmal hinwollen. Gibt es jemanden, den Sie sich zum Vorbild nehmen könnten? Wenn nicht, denken Sie über positive Eigenschaften nach, die Sie gerne hätten: mehr Kreativität, mehr Zielstrebigkeit oder Ähnliches. Dann können Sie versuchen, diesem Ideal näher zu kommen. Quelle: dpa

Wohlstand und Arbeitsplätze konzentrieren sich auf die Hauptstadt Tunis und die Küstenorte mit den Touristen. Aber auch mit den Urlaubern verdient das Land viel weniger Geld als zu Zeiten der Ben-Ali-Diktatur bis 2011: Nachrichten über politische Unruhen wirken abschreckend auf potenzielle Touristen. Sicher auch ein Grund dafür, dass die Tunesier bei den Wahlen dieses Winters auf Super-Stabilität gesetzt haben. Neuer Präsident ist der 88-jährige frühere Innen- und Außenminister Béji Caid Essebsi, Abkömmling einer der vornehmsten und reichsten Familien des Landes. Sein designierter Ministerpräsident Habib Essid war sogar unter der Diktatur eine Weile Staatssekretär im Innenministerium. Alles nicht so wichtig, meint die Mehrheit ihrer Landsleute, solange sie das Land endlich auf Wachstumskurs bringen und die Islamisten in Schach halten.

Auch das unterscheidet Tunesien von anderen Ländern: Hier gibt es eine starke islamistische Partei, die Ennahda („Wiedergeburt“). Die war unmittelbar nach der Revolution mit Abstand stärkste Partei, beherrschte mehrere Übergangsregierungen und verlor jetzt haushoch die Wahlen. Nicht nur, weil die Mehrheit der Tunesier nichts von religiösem Zwang hält, sondern vor allem, weil sie schlechte oder vielmehr gar keine Wirtschaftspolitik machte. Doch auch die jetzt gewählten Politiker um Caid Essebsi sind bisher keineswegs mit wirtschaftspolitischen Ideen hervorgetreten.

Das sind die zehn beliebtesten Urlaubsländer
10. Platz: Dominikanische RepublikZwischen Atlantik und der Karibik liegt eine der beliebtesten Inseln für Touristen und Urlauber. Die Dominikanische Republik lockt mit endlos weißen Stränden, heißen Temperaturen und rhythmischer Musik. Aber Vorsicht: Die Kriminalität im Lande ist laut des Auswärtigen Amts hoch. Die Behörde warnt Reisende deswegen vor möglichen Gefahren.Quelle: Das Ranking beruht auf einer Auswertung des Online-Vergleichsportals Check24.de aller gebuchten Pauschalreisen für die Sommerferien 2014. Berücksichtigt wurden Daten zu Reiseziel, -dauer, -zeitraum und Verpflegung. Quelle: dpa
9. Platz: Vereinigte Arabische EmirateNeun Millionen Menschen leben in dem Land am Persischen Golf, das durch seinen Reichtum, seine Scheichs und Ölvorkommen bekannt ist. Vor allem für Urlauber ist die stetig wachsende Skyline der Hauptstadt Abu Dhabi ein Muss. Wem das tagsüber zu viel Trubel bei knapp 40 Grad werden, der taucht am Abend in die muslimische Kultur ein. Sorgen machen müssen sich Reisende nicht: Der Staat gilt als einer der sichersten im Mittleren Osten. Quelle: AP
8. Platz: PortugalDer Staat an der Iberischen Halbinsel ist der westlichste Punkt Europas und lockt mit vielen Sehenswürdigkeiten. Ob Lissabon oder die Hafenstadt Porto: Ein Besuch in den Altstädten lohnt sich für Touristen. Beliebt ist Portugal vor allem bei den Badetouristen. 25 Millionen Ausländer lassen sich jährlich im Sommer an den Stränden der Algarve nieder. Quelle: dpa
7. Platz: ItalienDie mittelalterliche Stadt San Gimignano liegt auf einem 324 Meter hohen Hügel im Chianti-Land und ist umgeben von Weinbergen und Olivenhainen. Beliebte Ziele in Italien sind aber auch die Alpen, die Küstengebiete sowie die Toskana und Sizilien – auch in diesem Sommer. Jährlich reisen mehr als 40 Millionen Touristen nach Italien. Quelle: dpa
7. Platz: TunesienWie so viele Nationen lebt auch der nordafrikanische Staat Tunesien von seinen Urlaubern. Und die kommen jährlich in Scharen. Kein Wunder: Die Küste ist 1300 Kilometer lang, zumeist mit Sandstränden. 816 Herbergen mit fast 230.000 Betten stehen den Reisenden während der Hauptsaison zur Verfügung. Quelle: dpa
5. Platz: BulgarienDer Tourismus in Bulgarien ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und gliedert sich in mehrere Bereiche: Erholungs- und Badetourismus, Jagdtourismus, Wintersport und Kulturtourismus. Seit Ende der 1990er Jahre sind vor allem Ziele an der Schwarzmeerküste sehr beliebt. 2011 kamen 8,5 Millionen Urlauber nach Bulgarien. Quelle: dpa
4. Platz: ÄgyptenVorbei ist die Zeit der Stille an den Pyramiden: Nachdem das Auswärtige Amt mehrere Reisewarnungen für Ägypten zurückgenommen hat, werden einige ägyptische Urlaubsgebiete wieder angesteuert. Große Anziehungskraft erfreut sich vor allem das letzte erhaltene der Antiken Sieben Weltwunder, die Pyramiden von Gizeh. Doch auch die Sphinx, eine Gestalt mit Löwenkörper und Menschengesicht, wird immer wieder gerne besichtigt. Ägypten ist allerdings auch für Badeurlauber wie geschaffen. Quelle: dpa

Bei den jungen Tunesiern ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch. 73 000 junge Männer und Frauen machen jährlich einen Universitätsabschluss, ungefähr ein Drittel jedes Geburtsjahrgangs, und viele von ihnen finden dann keinen Job. Auf der Prachtstraße Avenue Bourguiba in Tunis, wo vor vier Jahren die Revolutionäre demonstrierten, sind seitdem etliche elegante Geschäfte und Straßencafés verschwunden. An ihrer Stelle finden sich oft winzige Bankfilialen von Western Union und ähnlichen Instituten. Überweisungen tunesischer Gastarbeiter an ihre Familien zu Hause sind zum überlebenswichtigen Faktor der Volkswirtschaft geworden.

Gegen die religiösen Fanatiker

Bei der Abstimmung im Dezember hat Mounawer den Sieger Caid Essebsi gewählt: „Ich wollte mit einem System Schluss machen, das die religiösen Fanatiker akzeptierte!“ Die Ennahda-Islamisten, immer noch eine relativ starke Opposition, verhalten sich viel gemäßigter und toleranter als Islamisten sonstwo in der arabischen Welt. Trotzdem oder vielleicht gerade darum haben sich schätzungsweise 3000 junge Tunesier der Terrororganisation „Islamischer Staat“ angeschlossen. Aus keinem weit entfernten Land hat das selbst ernannte Kalifat in Syrien und im Irak so viele Kämpfer rekrutiert wie aus Tunesien. Und noch schlimmer für Tunesien selbst ist die kleine Gruppe dschihadistischer Kämpfer, die im Lande geblieben ist und mit Anschlägen auf Politiker und das Militär für Schlagzeilen sorgt.

Schreinerin Leila Msalbi. Quelle: Francesca Oggiano für WirtschaftsWoche

Der mörderische islamische Radikalismus hat den politischen Umschwung im Land sicher befördert: Die neue Regierungspartei Nidaa Tunes mit Essebsi an der Spitze hat bis auf die strenge Ablehnung der Islamisten aller Couleur wenig klare Programmpunkte. Den Wählern erschien das als Versicherung gegen irakische, syrische und auch ägyptische Verhältnisse. Und der 88-jährige neue Präsident mit seiner langen politischen Biografie erscheint als Garant der Rückkehr in eine gute alte Zeit. Da macht es auch nichts, wenn er 15 Jahre älter ist als der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer bei seinem Amtsbeginn 1949.

Jetzt wartet Mounawer auf ein Wirtschaftswunder unter dem Präsidenten seiner Wahl und darauf, dass Essebsi sein Versprechen wahr macht, das Land zu einen und die Wirtschaft anzukurbeln. Auch wenn seine Kundschaft noch die Preise drückt und für eine Autowäsche statt umgerechnet knapp fünf Euro oft nur vier bezahlen will. Über eine gemeinnützige tunesische Organisation hat die Europäische Union dem Kleinunternehmer einen fast 4000 Euro teuren Kompressor bezahlt. Damit kann er drei Dampfstrahler gleichzeitig betreiben und dreimal so viele Autos waschen wie früher. Er hat darum einen Jugendlichen aus dem Ort einstellen können: ein Arbeitsloser weniger in Sidi Bouzid.

Manager verraten: Das hat mich nach oben gebracht
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Mark Wössner Quelle: dpa Picture-Alliance Stephan Görlich

„Allein dass es unsere Organisation gibt, ist schon ein Erfolg der Revolution. Ohne Parteibuch wäre das früher undenkbar gewesen“, sagt Sabra Amri. Die 27-Jährige, die gerade ihren Abschluss als Architektin macht, gehört zu den Gründungsmitgliedern der Hilfsorganisation „Solidarité Emploi Mohamed Bouazizi“, welche die Spende aus Brüssel angeleiert hat. Dick eingepackt in Strickpullis und Jacken, weil sie sich im Büro nur einen kleinen Heizstrahler leisten können, durchkämmen Amri und ihre Mitstreiter das Internet nach Fördermaßnahmen für junge Unternehmer in Sidi Bouzid und Arbeitslose, die sich selbstständig machen wollen: „Von den Politikern, das hat sich gezeigt, können wir nicht viel erwarten. Es ist die Zivilgesellschaft, die die Dinge verändern muss.“

So konnte auch Leila Msalbi ihre Schreinerei erweitern und die Zahl ihrer Mitarbeiter von zwei auf vier verdoppeln. Die Luft ist dick von Staub, es fehlt eine funktionierende Lüftung. Aber dank der EU-Hilfe konnte die 34-Jährige immerhin eine große Sägemaschine anschaffen, mit der sich auch besonders dicke Stämme alter Olivenbäume zerkleinern lassen, zudem eine weitere Maschine zur Politur der fertigen Stücke. In dem kleinen Ort Bir el Hafay, etwa 30 Kilometer von Sidi Bouzid entfernt, stellt die diplomierte Designerin Schneidebretter, Salatbesteck und neuerdings auch Haarschmuck her.

Utensilien aus dem Holz der Olivenbäume, die sich kilometerweit bis an den Fuß der Sidi Bouzid umgebenden Berge reihen, gehören zu den wichtigsten Exportartikeln der Region. Solche Produktion bietet in ländlichen Regionen auch eine der raren Verdienstmöglichkeiten für Frauen. Für die gibt es in Sidi Bouzid bisher nur einen wichtigen Arbeitgeber: Steiff, der deutsche Spielwarenhersteller, lässt vor allem Frauen hier seine Plüschtiere fertigen. Tunesien als billige Werkbank für Produktion, die keine besondere Qualifikation erfordert – das war jahrzehntelang das Wirtschaftsmodell für Tunesien: erfolgreich, aber kaum noch ausbaufähig.

Ausbildung tut not, und hier erfüllt Europa wenigstens im kleinen Rahmen einige seiner Versprechen an die junge Demokratie auf der anderen Seite des Mittelmeers. In Tunis finanziert die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gemeinsam mit Volkswagen die Ausbildung junger Leute zu Kfz-Mechanikern: ein Versuch, Deutschlands Modell der dualen Berufsausbildung in Ansätzen zu exportieren. Und in Meknessi, nahe bei Sidi Bouzid, beginnt die GIZ im Februar mit der Ausbildung von 20 arbeitslosen jungen Frauen und Männern zu Olivenholzschnitzern.

Kleine Ansätze für den Aufschwung, den das kleine Musterland des Arabischen Frühlings so dringend braucht. Sabra Amri, Leila Msalbi und Mounawer Mnassria wollen alle mit ihren Familien in ihrer Heimatstadt Sidi Bouzid bleiben und dort etwas bewegen. „Als die Revolution begann, fand ich das toll: Das passiert direkt vor meiner Tür, was für eine großartige Chance!“, erinnert sich Amri. „Diese Chance will ich nicht vergeben.“

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