Robert Habeck kann nicht behaupten, dass ihn niemand gewarnt hätte. Aber er will da jetzt rein, vorbei an den Ästen mit Dornen so lang wie ein kleiner Finger, hin zu den Büschen und Palmen im satten Grün. Der Weg sei quasi unpassierbar, bekommt der Wirtschaftsminister zu hören. Er marschiert trotzdem los. Einmal Regenwald riechen, die zehn Minuten müssen doch wohl drin sein?
Fast eine Stunde lang ist Habeck gerade mit dem Schnellboot den Rio Negro runtergefahren, der 2253 Kilometer lange Fluss mündet hier kurz hinter Manaus in den Amazonas. Rund 60 Kilometer von der Stadt entfernt lebt am Flussufer eine indigene Gemeinschaft der Kambeba, Três Unidos heißt sie – ausgerechnet.
Die Ampel-Koalition ist so gar nicht „unido“
Denn die drei Ampel-Partei sind gerade ganz und gar nicht „unido“ bei Themen wie Verbrennern, Heizungen und Steuererhöhungen, da dürfte es Robert Habeck und Cem Özdemir nicht ungelegen kommen, sich für ein paar Tage aus der dreifaltigen Verkeiltheit der Hauptstadt herauszuziehen – zumindest physisch.
Denn bei ihrer sechstägigen Reise durch Brasilien und Kolumbien werden die beiden grünen Minister, die nach dem Amtsantritt von Lula da Silva die wirtschafts- und agrarpolitischen Beziehungen zu Brasilien stärken und das EU-Mercosur-Abkommen voranbringen wollen, immer wieder von der Heimat eingeholt. Sogar bei den Kambebas, denn die haben ein ähnliches Problem wie Habeck selbst: sie brauchen dringend Energie.
Eine Gesichtsbemalung für den Vizekanzler
Nur für drei Steckdosen pro Familie, einen Kühlschrank, eine Lampe und einen Fernseher würde der Strom reichen, der mit der Solarpaneelen auf den Hüttendächern erzeugt werde, erklären sie. Deshalb müssen sie weiter Diesel nutzen, obwohl sie lieber auf die Kraft der Sonne setzen wollen. Vielleicht hat ja Habeck eine Idee?
Der Häuptling begrüßt die beiden Minister an diesem Dienstag höchstpersönlich, kaum haben sie den Strand betreten, bekommen sie erstmal eine Gesichtsbemalung verpasst, zwei orange Balken unter den Augen. Was in Berlin-Prenzlauer Berg schnell eine Diskussion über kulturelle Aneignung auslösen dürfte, gilt bei den Kambebas als Gastgeschenk: die Gesichtsbemalung soll den Träger schützen.
32 Familien leben hier auf diesem kleinen Flussabschnitt, rund 150 Menschen insgesamt. Kleine Hütten reihen sich nebeneinander, in einer Schule lernen 77 Kinder – und zwar mehr als Rechnen, Schreiben, Lesen. Denn in der Gemeinschaft gibt es zwar nur drei Lehrerinnen, doch via Video können sie Kollegen aus Manaus zuschalten. Auch der Arzt von der Universitätsklinik wird bei medizinischen Fragen zugeschaltet. Digitalisierung funktioniert im Dschungel offensichtlich teilweise besser als in Deutschland.
Warnung vor Naivität
Die Stammmitglieder wollen, dass Três Unidos weiter wächst, aber bitte nachhaltig. Bereits zum Amtsantritt hatte Brasiliens Präsident Lula versprochen, auf eine Null-Abholzungsstrategie zu setzen. Doch im Februar wurde so viel Wald gerodet wie noch nie zuvor in einem Vergleichsmonat, zeigen Satellitenbilder. Nachhaltigkeit geht anders.
Südamerika-Experte Günther Maihold von der Stiftung und Politik warnt Deutschland vor Naivität: „Der Amazonas wird in Brasilien von allen politischen Kräften als Ressource für die nationale Entwicklung betrachtet“, erklärt er: „Wer nun mit der Idee eines ausschließlichen Waldschutzes kommt, wird auf kein gutes Echo stoßen.
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Wenn Deutschland nun also von Lula weniger Fällungen fordert, muss die Bundesregierung auch erklären, wie ein Business jenseits der Bäume aussehen kann. Schon heute leiden rund 30 Millionen Menschen in Brasilien an starkem Hunger, zeigen Zahlen vom Entwicklungshilfeministerium.
Ein Business-Modell gegen die Abholzung
Zwar geht nur ein Bruchteil der Abholzung auf indigene Stämme zurück, sondern wird vor allem von Banden betrieben, doch je mehr sich neue, legale Geschäftsmodelle lohnen, desto unattraktiver wird das illegale Holzgeschäft.
Die Kambeba setzen beispielsweise auf nachhaltigen Tourismus, rund 150 Leute pro Woche besuchen die Insel, sie haben ein Restaurant und ein kleines Hotel aufgemacht, Marktwirtschaft in der Manaus-Mündung. Doch wer Gäste beherbergen will, braucht Strom. Habeck legt deshalb jetzt noch einmal nach.
Etwa 30 bis 50 Millionen Euro will der Wirtschaftsminister noch einmal insgesamt über die Internationale Klimaschutz Initiative für den Regenwald-Schutz bereitstellen – auch, um Lulas Anti-Abholzungsstrategie zu stärken. „Ich jedenfalls kann Tränen in die Augen bekommen, dass eine Regierung das Ruder so rumreißt“, hatte er wenige Tage zuvor gesagt.
In China bekommt derweil niemand Tränen in die Augen. Die Volksrepublik ist Brasiliens größter Handelspartner und will seine Investitionen weiter ausbauen. Wenn Lula Ende der kommenden Woche seinen Amtskollegen Xi Jinping besucht, dürften neue Projekte und möglicherweise auch Zollsenkungen verkündet werden. Das Thema Regenwald dürfte hingegen nicht auf der Agenda stehen.
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