Wirtschaftspolitik Starökonomen entwickeln radikales Konzept für ukrainische Wirtschaft

Eine zerstörte Fabrik für Isolationspaneele in der Ukraine. Quelle: imago images

Wie lässt sich die Ukraine während des Krieges makroökonomisch stabilisieren? Ein hochkarätiges Ökonomenteam hat jetzt ein politisches und fiskalisches Konzept entwickelt – mit einer radikalen Deregulierung der Wirtschaft.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Auf ein schnelles Ende des russischen Krieges in der Ukraine deutet aktuell nur wenig hin. Experten rechnen damit, dass sich die Kämpfe bis weit ins nächste Jahr ziehen werden. Für die Ukraine ist dies nicht nur eine militärische und humanitäre Herausforderung, sondern auch ein massives volkswirtschaftliches Problem. Um die immensen Kriegskosten zu stemmen, dürfen Wirtschaft und Finanzsystem nicht zusammenbrechen, müssen Unternehmen und Arbeitskräfte möglichst weiter tätig bleiben.

Was also kann die Wirtschaftspolitik tun? Auf Initiative des ukrainischen Berkeley-Ökonomen Juri Gorodnichenko haben jetzt neun internationale Top-Wissenschaftler unter dem Dach des Londoner „Center for Economic Research“ (CEPR) ein Konzept zur makroökonomischen Stabilisierung der Ukraine erarbeitet. Darunter sind unter anderem die frühere deutsche Wirtschaftsweise und heutige CEPR-Präsidentin Beatrice Weder di Mauro, der Harvard-Ökonom und ehemalige IWF-Chefvolkswirt Kenneth Rogoff und der US-Ökonom und Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen.

Das Papier mit dem Titel „Macroeconomic Policies for Wartime Ukraine“ ist noch nicht veröffentlicht, soll aber in Kürze erscheinen. Das CEPR ist ein 1983 gegründeter globaler Thinktank, bei dem mehr als 1600 Wirtschaftswissenschaftler aus aller Welt mitarbeiten. Bereits vor einigen Wochen hatte die Denkfabrik mit einem an den Marshallplan angelehnten Wiederaufbauplan für die Ukraine für Aufsehen gesorgt.

Lesen Sie auch: Wie sollte der Marshall-Plan für die Ukraine aussehen?

Die Autoren empfehlen der ukrainischen Regierung eine „neue makroökonomische Strategie“, da die bisherige Wirtschaftspolitik, die mit einem Abbau von Währungsreserven einhergeht, „zunehmend unhaltbar“ werde. Ohne eine Veränderung des Kurses, so die Studie, „droht eine große Wirtschaftskrise, welche die Fähigkeit der Ukraine lähmt, ihre Kriegsanstrengungen über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.“

Vor 75 Jahren hob der damalige US-Außenminister seinen Marshallplan aus der Taufe. Was das milliardenschwere Hilfsprogramm bewirkte – und was wir daraus für den Wiederaufbau der Ukraine lernen können.
von Bert Losse, Silke Wettach

Als ein zentrales Reformelement sehen die Autoren eine „radikale Deregulierung der Wirtschaftstätigkeit, die Vermeidung von Preiskontrollen und eine produktive Umverteilung der Ressourcen“. Infolge der russischen Invasion ist die Wirtschaftstätigkeit in der Ukraine in verschiedenen Branchen und Regionen erloschen, anderswo hingegen funktioniert sie noch vergleichsweise gut. Die ukrainische Regierung hat daher die Unternehmen in umkämpften Gebieten ermutigt, ihre Geschäftstätigkeit in die Westukraine zu verlagern, wo die Sicherheitsrisiken geringer sind. Doch die Resonanz war bisher verhalten, laut Studie ist nur eine dreistellige Zahl von Betrieben umgezogen.

Wirtschaftsdynamik für die Ukraine

Es wären aber deutlich mehr nötig, um industriellen Output und Produktivität wieder zu erhöhen. „Frei werdende Ressourcen müssen anderswo eingesetzt werden, und die Politik sollte diese Umschichtung erleichtern“, schreiben die Studienautoren. Das Problem könne „durch eine radikale Liberalisierung der Märkte angegangen werden, um die Abwanderung von Arbeitskräften und Kapital in Sektoren und Regionen zu beschleunigen, in denen die Wirtschaft solide funktionieren kann.“ Die so erzeugte Wirtschaftsdynamik wiederum soll die Steuereinnahmen des Staates erhöhen und damit auch die ukrainische Kriegskasse gegen die russischen Besatzer füllen.



Generell setzen die Wissenschaftler auf „marktwirtschaftliche Mechanismen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln und eine größere Steuerbasis zu schaffen“. Zu diesem Zweck sollte die Regierung bürokratische Hürden für die Wirtschaft auf ein Minimum reduzieren. Die Studie rät, einen hochrangigen „Deregulierungsleiter“ zu ernennen, der die Liberalisierungsprozesse koordiniert und vorantreibt. Da viele Länder die Beschränkungen für Importe aus der Ukraine ausgesetzt haben, könne „die Deregulierung exportorientierter Sektoren einen unmittelbaren wirtschaftlichen Impuls geben“.

Als Positivbeispiel nennt die Studie die Stromerzeugung: „Der überschüssige Strom in der Ukraine wird nun in die EU geliefert – was nicht nur der Ukraine Einnahmen verschafft, sondern auch der EU hilft, die von Russland verursachte Energiekrise abzufedern.“

Erbschaftsteuer Der Gesetzgeber hebelt steuerzahlerfreundliche Urteile aus

Unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit hat der Gesetzgeber im viel diskutierten Wachstumschancengesetz auch neue Regeln für Erbschaften und Schenkungen versteckt. Es geht um die Steuer. Ein Gastbeitrag.

Steuern auf Kryptowährungen „Die Finanzverwaltung sitzt am deutlich längeren Hebel“

Das jüngste Rekordhoch der Kryptowährung Bitcoin wirft auch steuerliche Fragen auf: Wer muss wie viel Steuern zahlen? Was droht Anlegern, wenn sie Einkünfte nicht angeben? Steuerexperte Joerg Andres gibt die Antworten.

Supermarktkette Mercadona Lidls und Aldis Angstgegner

Fast in jedem Markt, den sich Lidl und Aldi vornehmen, haben sie Erfolg. Anders in Spanien: Dort zeigt die Kette Mercadona, wie man die deutschen Billigheimer auf ihrem Terrain schlagen kann.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Fazit der Studie: „Außergewöhnliche Herausforderungen erfordern eine außergewöhnliche Politik – und eine außergewöhnliche Unterstützung durch die internationalen Partner der Ukraine.“

Lesen Sie auch: Schlussverkauf bei H&M und Ikea in Russland

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%