Wirtschaftswachstum Automatisierung trifft Schwellenländer besonders hart

Textilfabrik in China: Durch die niedrigen Löhne ist die chinesische Wirtschaft schnell gewachsen. Quelle: dpa

China profitiert von seinen niedrigen Gehältern, die Wirtschaft wuchs rasant. Durch die Automatisierung spielen Lohnkosten aber kaum noch eine Rolle. Dadurch drohen heutige Schwellenländer den Anschluss zu verlieren.

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Das Land gilt als die Werkbank der Welt: China. Ein riesiger Markt, in dem Firmen aus Europa und Amerika zu günstigen Preisen ihre Produkte fertigen lassen. Die Wirtschaft wuchs auch deshalb so rasant, weil sich China dank niedriger Löhne viele Aufträge sichern konnte. Jahrzehnte zuvor stieg der Wohlstand in Europa durch die Industrialisierung, durch Fortschritte in Technik, Wissenschaft und Forschung.

Ob Europa im 19. Jahrhundert oder die asiatischen Tigerstaaten in den vergangenen Jahrzehnten: Die Konstellationen waren beide Male günstig, um wirtschaftlich wachsen zu können. Für die Staaten, die sich derzeit vom Schwellen- zum Industrieland entwickeln wollen, sind die Vorzeichen ganz andere. Denn niedrige Lohnkosten spielen angesichts der fortschreitenden Automatisierung eine geringere Rolle als noch vor 20 oder 30 Jahren.

Wovon China profitierte, könnte für Länder wie Südafrika, Thailand oder Mexiko zur Wachstumsbremse werden. Denn sie sind zu spät in ihrer Entwicklung und der Abstand zu den Industrienationen droht sich zu vergrößern. „Die Automatisierung macht den Entwicklungsländern einen Strich durch ihre Wachstumsrechnung“, sagt Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). „Sie werden es schwerer haben wirtschaftlich zu wachsen als die Länder, die in den vergangenen Jahrzehnten zu den Schwellenländern zählten.“ Burkert und seine Kollegen haben analysiert, welche Folgen die Automatisierung für Schwellenländer hat. Die Studienergebnisse liegen der WirtschaftsWoche exklusiv vor.

„Schwellenländer drohen verfrüht zu de-industrialisieren“

Zur Theorie: Idealtypisch ist es, wenn ein Land zunächst eine landwirtschaftliche Produktion aufbaut und später eine Industrie – sozusagen als solides Standbein. Gerade dadurch werden Stellen geschaffen, an denen Menschen den Umgang mit Technologie lernen und welche die Produktivität eines Landes erhöhen. Damit die Volkswirtschaft weiter wachsen kann, müssen Menschen irgendwann das verarbeitende Gewerbe verlassen, um so dynamische und produktivere Sektoren in der Dienstleistungsbranche zu erschließen.

In der Praxis zeigte sich, dass China noch einen beträchtlichen Teil seiner Arbeitskräfte im verarbeitenden Gewerbe beschäftigen konnte. „Den heutigen Schwellenländern wird dieser Weg allerdings durch die Automatisierung versperrt“, sagt Burkert. Dadurch werden nicht mehr so viele Beschäftige in Landwirtschaft und Industrie benötigt. „Die Schwellenländer drohen verfrüht zu de-industrialisieren.“
Die Automatisierung ist für Entwicklungsländer wesentlich gefährlicher als für den Westen. Zwar droht in Deutschland nach Weltbank-Berechnungen jeder zehnte Job durch Automatisierung wegzufallen, in Kenia liegt dieser Anteil nur bei zwei Prozent. Aber: „Die Schwellenländer müssen praktisch zu früh ihre wirtschaftliche Entwicklung im Dienstleistungssektor suchen“, erklärt LBBW-Ökonom Burkert.

Gefahr durch Protektionismus

Die entwickelten Länder haben es einfacher, im Dienstleistungsbereich neue hochqualifizierte Stellen zu schaffen – zum Beispiel im Bereich Künstlicher Intelligenz. Um derartige Jobs anbieten zu können, sind die meisten Schwellenländer allerdings noch nicht weit genug entwickelt. Ihnen entgeht die Chance auf höhere Produktivität. Und zu nachhaltig höherem Einkommen.

Hinzu kommt, dass der 3D-Druck in den nächsten Jahren eine individuelle Massenfertigung ermöglichen könnte. Die Massenproduktion in großen Fabrikhallen, wie wir sie heute kennen, könnte damit an Bedeutung verlieren. Die Folge: Industrieländer könnten wieder im eigenen Land herstellen, Ökonomen sprechen vom „Re-Shoring“.

Afrikas Bevölkerung wird stark wachsen, viele junge Afrikaner wollen nach Europa. Nicht nur für die Migration, sondern auch für fruchtbare Handelsbeziehungen müssen Europa und Afrika gemeinsam dauerhafte Lösungen finden.
von Andreas Freytag

Eine weitere Gefahr für weniger gut entwickelte Länder: der verstärkte Protektionismus. Der Erfolg der früheren Schwellenländer wäre nicht ohne ihre immensen Exporterfolge möglich gewesen. Ökonom Burkert sagt dazu: „Die Schwellenländer leiden unter dem feindlichen und abgeschotteten Handelsumfeld.“
Die Automatisierung betrifft die Schwellenländer in unterschiedlichem Ausmaß – und zwar in Abhängigkeit vom Lohnniveau. In Billiglohnländern wie Bangladesch kann es weiterhin Sinn ergeben, die Textilien von Menschen anfertigen zu lassen, denn die Anschaffungskosten eines Roboters sind im Verhältnis zu hoch. In Ländern mit höheren Gehältern, Vietnam etwa, wäre die Automatisierung aber wirtschaftlich, erläutert Burkert.

Automatisierung bedroht Afrika

Der größte Verlierer der Entwicklung ist Afrika. 43 Prozent der Menschen in Sub-Sahara-Afrika sind jünger als 15 Jahre, zeigen Daten der Stiftung Weltbevölkerung. 20 Millionen Jugendliche drängen jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt. Gerade diese Gesellschaft bräuchte die Perspektiven durch eine Industrialisierung ihrer Volkswirtschaft. Verschärft werden diese Umstände durch den Klimawandel. „Afrika trägt die ökonomische Hauptlast der steigenden Temperaturen“, sagt der LBBW-Chefökonom. Trinkwasserquellen versiegen, Äcker vertrocknen – das führt zu geringeren landwirtschaftlichen Erträgen.

Und zu mehr Migration nach Europa. Bis Mitte des Jahrhunderts könnten bis zu 143 Millionen Klimaflüchtlinge ihre Heimat verlassen – 86 Millionen allein aus Afrika, zeigen Daten der Weltbank. Gegen die drohenden Völkerwanderungen sind die aktuellen Flüchtlingszahlen eine Kleinigkeit.

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