Wladimir Putin in Hannover Ein Staatsbesuch zur Eiszeit

Russlands Präsident Wladimir Putin trifft am Sonntag zur Eröffnung der Hannover Messe auf Kanzlerin Angela Merkel. Die bilateralen Beziehungen sind angespannt wie nie, obwohl der Handel immer neue Rekord erreicht. Eine Trennung von politischen und ökonomischen Interessen ist geboten.

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Putins beste Sprüche
Putins beste Sprüche„Ich weiß nicht, womit sie heizen wollen. Atom wollen sie nicht, Gas wollen sie nicht. Wollen sie wieder mit Holz heizen?“ Putin über die Energiedebatte in Deutschland, November 2010
„Wir werden unser Volk nicht vergiften.“  Zum Importverbot für EU-Gemüse wegen Ehec, 11.6.2011
„Wo man nicht zusammen kommen kann, bekommt man den Knüppel auf die Rübe“   Zum Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten, 6.9.2010.
„Wer das getan hat, wird den Preis dafür bezahlen und im Suff oder Drogenkonsum enden“ Über den Verrat russischer Spione in den USA, 2.8.2010.
„Ich habe vielleicht in der Universität nicht das allermeiste gelernt, weil ich in der Freizeit viel Bier getrunken habe. Aber einiges habe ich doch behalten, weil wir sehr gute Dozenten hatten.“ Über sein Studium, Mai 2005.
„Die Russen kommen hier nicht mit Kalaschnikow und mit Panzern her, sondern Russland bringt das Geld mit.“ Zu Investitionen russischer Unternehmen in Deutschland, Oktober 2006.
„Niemand will, dass die G8 zu einer Ansammlung fetter Kater wird.“ Über die Rolle Russlands in der Gruppe der führenden Industrienationen, Januar 2006.

Es spricht für die globale Relevanz der eigenen Industrie, wenn ein Staat als Partnerland der Hannover Messe geadelt wird. Vergangenes Jahr war China Premium-Gast auf der weltweit wichtigsten Industriegüter-Messe, im Jahr zuvor war es die Industrienation Frankreich. Dieses Jahr ist Russland an der Reihe: Mehr als 200 Unternehmen aus Russland nehmen teil – nie war Moskau bei einer Auslandsmesse derart präsent.

Tatsächlich wird Russland als Wirtschaftspartner oft unterschätzt. Dabei ist das Land dank üppiger Öl-, Gas- und Metalllieferungen schon seit vielen Jahren einer der Top-10-Handelspartner Deutschlands auf der Importseite; auch als Export-Destination wird das Riesenreich im Osten immer wichtiger: Im vergangenen Jahr stiegen die deutschen Ausfuhren nach Russland um 10,4 Prozent auf 38 Milliarden Euro. Damit ist Russland nach China und den USA der größte Abnehmer deutscher Waren außerhalb der EU.

Dabei arbeitet die russische Industrie weiterhin mit veralteten Anlagen aus Sowjetzeiten. Die müssen allmählich ersetzt werden, was über die kommenden Jahrzehnte Ersatz-Investitionen in Milliardenhöhe zur Folge hat. Schon jetzt profitieren die deutschen Ausrüster von Aufträgen einer Industrie, die sich auch ohne Hilfe vom Staat ein bisschen selbst modernisiert.

Die Wachstumsmärkte von morgen
Platz 9: MalaysiaMit einer verhältnismäßig kleinen Bevölkerung von 28 Millionen Einwohnern kann Malaysia kaum punkten. Auch die verhältnismäßig hohen Arbeitskosten von 15,6 Dollar (absolutes BIP geteilt durch BIP pro Person) machen das Land nicht außergewöhnlich attraktiv. Spannend ist Malaysia vielmehr als Beschaffungsmarkt. Die Befragten der Studie von Valuneer und ICC zu Trends internationaler Einkaufsmanager bewerteten den Markt überaus positiv. Quelle: Exklusivranking für die WirtschaftsWoche in Kooperation mit Valueneer. Für das Ranking wurde nach der Attraktivität als Absatz- sowie als Beschaffungsmarkt unterschieden und Indikatoren wie Lohnkosten, Wachstumsraten, Importvolumen, Rohstoffreichtum und Bevölkerungsgröße herangezogen und unterschiedlich gewichtet. Quelle: AP
Platz 8: GhanaDas afrikanische Land kann mit seinem starken Wachstums punkten. 2011 stieg das BIP um 13,5 Prozent. Kein anderer der 50 betrachteten Wachstumsmärkte wies solche Steigerungsraten auf. Dazu lockt Ghana mit günstigen Arbeitskosten. Allerdings gilt das westafrikanische Land nach wie vor als wenig sicher und sehr korrupt. Quelle: REUTERS
Platz 7: Polen Das Land punktet bei deutschen Investoren vor allem durch seine räumliche Nähe als günstiger Beschaffungsmarkt. Die politische Lage ist stabil. 39 Millionen Einwohner freuen sich über ausländische Waren. 2011 gingen immerhin Importe im Wert von 170 Milliarden Dollar ins Land. Auch wenn die Lohnkosten verhältnismäßig hoch sind - Polen bleibt ein attraktiver Markt. Quelle: dpa
Platz 6: AlgerienDas Land erreicht in keiner Kategorie Bestwerte, kann aber als Beschaffungsmarkt überzeugen (Platz 2). Einkaufsmanager sehen viel Potenzial, außerdem verfügt das Land über immense Rohstoff-Ressourcen im Wert von 72 Milliarden Dollar. Die Arbeitskosten sind mit 7,3 Dollar noch deutlich geringer als z.B. in der Türkei (14,5 Dollar) oder Mexiko (14,6 Dollar). Damit erreicht Algerien insgesamt Platz 6. Quelle: AP
Platz 5: TürkeiIm Ranking der besten Absatzmärkte erreicht die Türkei mit einer durchschnittlich kaufkräftigen, aber dafür umso größeren Bevölkerung von 75 Millionen Einwohnern einen guten dritten Platz. Im Jahr 2011 wuchs das BIP um satte 8,5 Prozent. Als Beschaffungsmarkt ist das Land dafür weniger attraktiv (Platz 10 von 50). Insgesamt: Platz 5. Quelle: dpa
Platz 4: MexikoBereits 328 Milliarden Dollar Direktinvestitionen flossen 2011 nach Mexiko - der höchste Wert im Ranking. Dazu locken 112 Millionen Einwohnern. Diese Kombination macht Mexiko zum zweitbesten Absatzmarkt der Welt für die deutsche Wirtschaft - so die Experten von Valuneer. Als Beschaffungsmarkt kann das Land weniger überzeugen: Platz 11. Insgesamt reicht es für Rang vier. Quelle: dpa
Platz 3: Südkorea1723 Dollar pro Kopf steckte Südkorea im Jahr 2011 in Forschung und Entwicklung - und damit mehr als alle anderen untersuchten Ländern. Als Beschaffungsmarkt belegt Südkorea den vierten Platz. Als Absatzmarkt überzeugt der asiatische Staat, weil er bereits im Jahr 2011 Importe im Wert von 525 Milliarden Euro einführte. Quelle: dpa

Hinter der Bauchpinselung steckt Kalkül

Insofern steckt Kalkül dahinter, dass die Messe-Veranstalter und Industrie-Lobbyisten die Russen mit dem Status „Gastland“ bauchpinseln: Viele Fleischtöpfe sind noch unberührt – und die deutsche Wirtschaft lässt nichts unversucht, sich den Russen als Lieblingspartner anzubiedern. Ein Manko dabei ist allerdings, dass die Eröffnung der Hannover Messe immer auch ein politisches Ereignis ist. An der Leine treffen am Sonntag und Montag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Russlands Präsident Wladimir Putin (parteilos) zwei Persönlichkeiten aufeinander, die diesem Leben keine Freunde mehr werden.

Selten waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland so frostig wie heute. Akut echauffiert sich die deutsche Politik darüber, dass Russland internationale Organisationen wie die deutschen Stiftungen als „ausländische Agenten“ brandmarkt, Ermittler deren Räume durchsuchen und Unterlagen beschlagnahmen. Allgemein schockiert die Deutschen, wie repressiv Putin auch mit der Hetzjagd auf außerparlamentarische Oppositionelle die Protestwelle des vergangenen Jahres kontert. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen waren zehntausende Russen – überwiegend die gebildete und wohl situierte Mittelschicht – auf die Straße gegangen, um mehr Freiheiten einzufordern. Der plötzliche Widerstand der Straße muss Putin ins Mark getroffen haben.

Niemand lockt den Autokraten aus der Reserve

Vladimir Putin und Angela Merkel als Babuschkas-Figuren in Moskau an einem Verkaufsstand vor dem Kreml: Bei Werte-Fragen kommen beide Länder nicht überein. Quelle: dpa

In Hannover wird es Ärger geben. Denn in den deutsch-russischen Beziehungen stimmen zwar die Interessen (Handel), aber bei Werte-Fragen kommen beide Länder nicht überein. Im politischen Berlin reift allmählich die Einsicht, dass die so genannte Modernisierungspartnerschaft mit Russland ein Missverständnis war: Moskau verstand hierbei die Lieferung moderner Anlagen, die deutsche Politik interpretierte Modernisierung auch im gesellschaftlichen Sinne als Liberalisierung und Öffnung eines autoritären Regimes.

Umgekehrt sendet Wladimir Putin keinerlei Signale, die auf ein breites Verständnis westlicher Werte und ihrer Notwendigkeit schließen lassen. Im ARD-Interview mit einem sichtlich überforderten Jörg Schönenborn wiegelte er kritische Fragen zu repressiven Gesetzen immer wieder mit USA-Vergleichen ab und wich den Interviewer aus, indem er Gegenfragen stellte und überlegen in sich hinein lachte. Einen wie überzeugten Autokraten wie Putin mit Argumenten aus der Reserve zu locken, gelingt weder Journalisten noch Politikern.

Politisch ist von Russland also nicht viel zu erwarten. Natürlich muss der deutschen Politik daran gelegen sein, dass die russische Gesellschaft mehr Freiheiten und demokratische Rechte bekommt. Nur wenn sich Russland öffnet, kann es jenseits von Öl und Gas wettbewerbsfähig werden, nur wenn die Menschen frei sind, können sie echte Innovationen hervorbringen. Letzteres sollte auch im langfristigen Interesse der deutschen Wirtschaft liegen, so es denn in der Wirtschaft Langfrist-Interessen gibt.

Somit verbietet sich Kritik an der Putin-Kritik vonseiten der Bundesregierung – mit Samthandschuhen darf und will Moskau nicht angefasst werden. Umgekehrt gilt aber auch: Der Handel sollte nicht leiden, weil sich die Politiker nicht mögen. Die Entzerrung von politischen Werten und ökonomischen Interessen ist in dieser Eiszeit das Gebot der Stunde. Das klappt ja auch mit China.

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