„WM der Diplomatie“ Uno-Gipfeltreffen ohne Merkel

Das jährliche Gipfeltreffen der Vereinten Nationen findet kommende Woche in New York statt. Mehr als 130 Staats- und Regierungschefs kommen zusammen, um über Flucht und Migration zu debattieren. Lediglich Merkel fehlt.

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Merkel wohnt dem Gipfeltreffen rund um Flüchtlinge und Migration nicht bei. Aufgrund der anstehenden Wahlen fehlt ihr die Zeit. Quelle: AP

New York/Berlin Für die jährliche Großveranstaltung bei den Vereinten Nationen hat Uno-Sprecher Stéphane Dujarric gleich eine ganze Reihe von Vergleichen parat: „Es ist die Fußball-WM der Diplomatie, die Oscar-Verleihung der Diplomatie, es ist auch eine interessante Mode-Woche.“ Mehr als 130 Staats- und Regierungschefs werden kommende Woche am New Yorker East River erwartet, um mit der Uno-Generaldebatte das neue Sitzungsjahr der Weltpolitik einzuläuten.

Es steht viel auf dem Spiel. Mehr als 65 Millionen Menschen sind nach Uno-Angaben weltweit auf der Flucht, etwa zwei Drittel davon sind Flüchtlinge im eigenen Land. Die Zahl der Migranten lag vergangenes Jahr bei rund 244 Millionen. Mit gleich zwei Gipfeltreffen rund um Flucht und Migration soll die drängendste Krise des Jahres global angepackt werden: Montag mit einem breiten Uno-Gipfel und Dienstag – parallel zum Auftakt der Generaldebatte – mit einem vom Gastgeberland USA ausgerichteten Gipfeltreffen zum Thema.

Monatelang haben Diplomaten über die politische Abschlusserklärung gestritten, die beim Gipfel am Montag angenommen werden soll. Laut Kritikern ist das nicht-bindende Dokument nur eine Auflistung bereits bestehender Gesetze und Richtlinien zum Umgang mit Flüchtlingen und Migranten. Bei US-Präsident Barack Obamas Gipfel am Dienstag hoffen Beobachter dagegen auch auf konkretere Zusagen. Erklärtes Ziel ist, die Zahl der weltweit umgesiedelten Flüchtlinge zu verdoppeln und die Zahl der Flüchtlingskinder, die Schulen besuchen, und die der Flüchtlinge mit Arbeitsgenehmigungen um je eine Million zu steigern.

Eigentlich war erwartet worden, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich zu Obamas Flüchtlingsgipfel anreist. Sie hatte im Juli selbst angekündigt, dass Deutschland dabei die Rolle des Co-Gastgebers übernimmt und „angesichts des enormen Ausmaßes der Flüchtlingstragödie einen Schwerpunkt auf die humanitäre Dimension“ legt. Doch dann hieß es, Merkel habe einfach zu wenig Zeit für eine Reise nach New York.

Die CDU-Vorsitzende war schon am 5. September, am Tag nach der für ihre Partei desaströsen Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, beim G20-Gipfel in China. So musste sie in mehr als 8.000 Kilometern Entfernung versuchen, das Porzellan zusammenzukleben, das nach Ansicht vieler Politiker durch ihre Flüchtlingspolitik zu Bruch gegangen war und Wähler in die Arme der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) getrieben hat.


Politik in Deutschland wichtiger

Mit einer Teilnahme an Obamas Flüchtlingsgipfel wäre Merkel gleich zwei Wochen später wieder nach einer Wahl (jetzt in Berlin) in der Ferne unterwegs gewesen, nur diesmal im Westen. Merkel mag es da wichtiger erscheinen, ihre Politik in Deutschland zu erklären und nicht eingebettet in die Weltpolitik. Vertreten wird sie bei den Gipfeln nun von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und bei der Generaldebatte von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Vor einem Jahr wurde sie dort übrigens dafür bejubelt, dass sie Tausende in Ungarn festsitzende syrische Flüchtlinge unbürokratisch in Deutschland aufnahm. Fast jedes ihrer Gespräche mit anderen Staats- und Regierungschefs während des Uno-Nachhaltigkeitsgipfels drehte sich um die Flüchtlingskrise. Selbst Diplomaten fotografierten Merkel mit dem Smartphone. Und U2-Sänger Bono, Mitbegründer der Entwicklungshilfe-Lobbyorganisation One, schwärmte, es sei unglaublich, was diese Frau und ihr Land geleistet hätten.

Diesen Hype wird kommende Woche vermutlich eher Ban Ki Moon auslösen, der seinen Posten des Uno-Generalsekretärs zum Ende des Jahres abgibt. Während der frühere Chef des Uno-Flüchtlingshilfswerks, der Portugiese Antonio Guterres, bereits als Favorit für die Nachfolge gehandelt wird, versucht Ban, das Pariser Abkommen zum Klimaschutz endlich unter Dach und Fach zu bringen. Denn damit dieses in Kraft tritt, müssen es 55 Staaten ratifizieren, die für mindestens 55 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind. Von diesem Ziel ist Ban auch nach den jüngsten Beitritten Chinas und der USA noch klar entfernt.

Auch neben den Debatten um Flüchtlinge und Klima gibt es genug offene Baustellen: Trotz einer mühsam ausgehandelten Waffenruhe steht in Syrien noch ein weiter Weg bis zum Ende des Bürgerkrieges bevor, der in fünfeinhalb Jahren mehr als 300.000 Menschen das Leben gekostet hat. Der Nahost-Konflikt wird von der umstrittenen Rhetorik des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu überschattet. Und eine passende, wirklich wirksame Antwort auf die Atomversuche Nordkoreas hat der Uno-Sicherheitsrat ebenfalls noch nicht gefunden.

Da mit Ban und Obama beim Schaulaufen der Mächtigen zwei der wichtigsten Player vor dem baldigen Ende ihrer Amtszeit stehen, hängt der Erfolg der großen Uno-Woche auch vom Nachspiel der kommenden Monate ab. Mark Hertfield, Präsident der Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS), die Flüchtlingen bei der Umsiedlung hilft, meint: Was auch immer in New York geschehe, müsse die „sehr geringe Haltbarkeit“ des US-Präsidenten und des Uno-Generalsekretärs unbedingt überdauern.

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