Wo Welten aufeinander prallen Kalifornien: Im Tal der Paradoxe

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Ewiges Leben statt Antibiotika

Im Silicon Valley und San Francisco wimmelt es vor Absurditäten. Hier wird die Zukunft des Verkehrs ersonnen – seien es autonome Autos, Flugtaxen oder Hyperloop – während der Verkehr vor der Haustür kurz vor dem Infarkt steht. In San Francisco auch deshalb, weil Fahrdienste wie Uber und Lyft die Stadt verstopfen. Der öffentliche Nahverkehr wird seit Jahren vernachlässigt.

Silicon-Valley-Hightech-Giganten wollen mittels ihrer Produkte Freiheit und Demokratie in die Welt tragen und brüsten sich gern damit. Aber nur, wenn es keine Marktanteile in China gefährdet.
Hunderte Millionen Dollar werden in die Suche nach dem ewigen Leben investiert, doch kaum etwas in die Entwicklung neuer Antibiotika. Auch wenn es viel wahrscheinlicher ist, dass eine Neuauflage der Spanischen Grippe weite Teile der Menschheit ausrottet, bevor das Bewusstsein für alle Ewigkeit in einen virtuellen oder extra gezüchteten Körper geladen wird.

Apple, Google und Facebook offerieren die digitalen Werkzeuge, mit denen sich angeblich von überall her arbeiten lässt. Die eigenen Mitarbeiter hingegen werden in immer größeren Bürokomplexen zusammengezogen und konzentriert. Google ist mittlerweile der größte Büro- und Landeigentümer im Silicon Valley. Jeder, der es sich leisten kann, zieht deshalb näher an den Arbeitsplatz, um seinen Anfahrtsweg zu verkürzen. Das treibt die Preise so stark, dass selbst das Gros der hochbezahlten Programmierer und Ingenieure sich kein eigenes Haus mehr leisten kann. Ein halbwegs anständiges Einfamilienhaus kostet in Palo Alto rund drei Millionen Dollar, bei einer traditionellen Hypothek sind 600.000 Dollar als Anzahlung nötig. Für eine junge Familie unerreichbar.

Die Immobilienkrise von 2006 war hier kaum spürbar. Wer vor 20 Jahren gekauft hat, kann sich glücklich preisen. Gerade Zugezogene haben es hingegen schwer.

Wer reich und gesund ist, kann in Kalifornien immer noch gut leben. Vor ein paar Tagen erzählte mir ein Bekannter stolz, dass ihm der Stromausfall nichts ausgemacht habe. Er hätte kürzlich die Solaranlage seines Hauses mit einem Akku aufgerüstet und diesen vor dem Abschalten des Stroms nochmal richtig aufgetankt. Kostenpunkt für das System: Etwa 5000 Dollar. Gut für ihn. Nach zwanzig Jahren Leben in den USA habe ich den deutschen Neid abgelegt – okay, fast vielleicht.

Aber der persönliche Komfort wohlhabender Einzelner ändert nichts daran, dass die Lebensbedingungen der Mehrheit sich weiter verschlechtern, sei es durch den Verkehrswahnsinn, die bedrohte Wasserversorgung, galoppierende Gesundheitskosten oder das marode Stromnetz. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass man sich in Kalifornien auch deshalb so stark mit der Zukunft beschäftigt, um so die Probleme der Gegenwart zu verdrängen.

Mix aus Hightech und Vorsintflut

Denn die Herausforderungen der Energieversorgung sind nicht neu. Im November 1998 – als ich gerade nach Kalifornien übergesiedelt war – saß ich mit meinem „Handelsblatt“-Kollegen Rudi Kulzer in einer Veranstaltung in San Francisco. Plötzlich fiel der Strom aus und blieb für Stunden weg. Zumindest hatte der Raum Fenster, so dass wir nicht in der Dunkelheit saßen. Wir amüsierten uns, weil der Referent ohne seine Powerpoint-Folien hilflos wirkte. Rudi, der schon seit Ende der Achtzigerjahre im Silicon Valley lebte, prophezeite mir: „An den Stromausfall wirst du dich gewöhnen müssen.“ Rudi ist kürzlich in München verstorben; er sollte recht behalten.

Die Mischung aus Hightech und überirdischen Stromleitungen ist heute ähnlich wie vor 21 Jahren. Nur der Zusammenbruch ist häufiger, weil die öffentlich finanzierte Infrastruktur mit dem Techboom nicht mithalten konnte.

Kalifornien gleicht Deutschland, weil auch hier gern Probleme in die Zukunft verschoben und durch Überregulierung verschärft werden. Nachdem es nach einer langen Dürreperiode in Strömen regnete und die Wasserrationierung aufgehoben werden konnte, redete kaum jemand über langfristige Lösungen. Sondern beschwerte sich, dass das Wasserwerk die Preise erhöhte, weil wegen des bewussteren Umgangs mit Wasser der Umsatz eingebrochen war.

Das ab ersten Januar alle Neubauten in Kalifornien mit Solaranlagen ausgerüstet werden müssen, ist fortschrittlich. Aber es verteuert dringend benötigte Häuser und macht sie für potentielle Käufer noch unerschwinglicher. Auch weil die meisten Banken die Finanzierung der Anlagen nicht in die Hypothek aufnehmen.

Was Kalifornien jedoch auszeichnet, ist ein unerschütterlicher Optimismus. Irgendwie geht es weiter. Und wer schon mal ein starkes Erdbeben mitgemacht und überstanden hat, wie das Loma-Prieta-Beben vor dreißig Jahren, hat ohnehin eine unaufgeregtere Sicht auf die Dinge.

Beim ersten Stromausfall im Oktober musste der örtliche Supermarkt-Betreiber zwar seinen Laden schließen, grillte stattdessen aber einfach Hotdogs auf dem Gasgrill und lud seine Kunden ein. Die wiederum untereinander Tipps austauschten, wie sich der Kühlschrank besser isolieren lässt.

Und da ist natürlich noch die atemberaubende Schönheit der Landschaft. Wenn nicht gerade ein Feuer tobt oder die Erde wackelt.

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